Steinmeier in Wolgograd:Balanceakt des Außenministers

Hier fügte die Rote Armee der Wehrmacht ihre verheerendste Niederlage zu. Außenminister Steinmeier gedenkt mit seinem russischen Kollegen Lawrow im heutigen Wolgorad der Kriegsopfer. Dabei erinnern sie plötzlich an jene zwei Außenminister, die sich noch vor wenigen Jahren fast wie enge Freunde behandelt haben.

Von Stefan Braun, Wolgograd

Die Fahrzeugkolonne düst kilometerlang über eine holprige Betonpiste. Starker Wind treibt tiefdunkle Wolken über die grüngraue Steppe. Der Horizont ist ein Strich, der Duft von Wermut, einem Steppenkraut, das hier wuchert, füllt die Luft. Dann, mitten in der weiten Leere dieser Landschaft, tauchen die beiden Soldatenfriedhöfe auf. Links der Straße wird der gefallenen Sowjetsoldaten gedacht, rechts davon hat der Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge einen Friedhof für Angehörige der Wehrmacht errichtet. Es hat lange gedauert, bis die Friedhöfe 1999 eingeweiht werden konnten. Hier liegen die Soldaten, die in Stalingrad starben.

Zwei Tage bevor in der Stadt, die Wolgograd heißt, aber hier zum großen Feiertag am 9. Mai stets zur Heldenstadt Stalingrad wird, hat sich der deutsche Außenminister hierher aufgemacht. Frank-Walter Steinmeier will mit seinem russischen Kollegen Sergey Lawrow der Kriegsopfer gedenken. Er ist der erste deutsche Außenminister überhaupt, der sich seit 1945 auf den Weg an die Wolga gemacht hat. Hierher, wo der Zweite Weltkrieg seine wohl entscheidende Wende nahm. Wo die Rote Armee der Wehrmacht ihre verheerendste Niederlage zufügte, wo Hunderttausende Sowjetsoldaten und geschätzt mehr als 200 000 Angehörige der Wehrmacht starben, in Gefangenschaft gerieten, verschwanden.

Ohne viele Worte hat Lawrow Steinmeier am Flughafen empfangen, ohne Worte legen sie nun zwei Kränze nieder, um der Gefallenen auf sowjetischer Seite zu gedenken. Hunderte kleine Grabsteine mit Namen und alten Armeehelmen erinnern an dieToten. Wenig später wiederholt Steinmeier diese Geste auf der anderen Seite der Straße, gedenkt nun den gefallenen Deutschen. Ein Schritt, den Lawrow von der Seite beobachtet, aber nicht mitmacht. Er kann hier keinen Kranz ablegen. Zu schwer wiegt die Erinnerung daran, dass die Deutschen die Aggressoren waren und die Sowjets sich ihrer ganz furchtbar erwehren mussten.

Trotzdem stehen die beiden hier eng zusammen und werden später erzählen, dass sie das gemeinsame Gedenken angerührt habe. Dabei erinnern sie plötzlich an jene zwei Außenminister namens Steinmeier und Lawrow, die sich noch vor wenigen Jahren fast wie enge Freunde behandelt haben. Zwei Außenminister, die hofften, das Verhältnis zwischen beiden Ländern in eine bessere, eine wirklich gute Zukunft zu führen. Dann kam der Konflikt um die Ukraine, mit allem, was dieser Konflikt an Vertrauen zerstört hat.

So gesehen ist die Visite auch ein Balanceakt. Allerdings einer, den Steinmeier bewusst eingeht. "Wenn ich eines mitnehme, dann dass ich noch entschlossener dafür kämpfe, dass Menschen sich nie wieder so etwas antun." Gerade im Angesicht von Stalingrad müsse man sich dafür einsetzen, "die Ukrainekrise friedlich zu lösen." Als er am Abend vor gut tausend Wolgogradern auftritt, lobt er die "Helden der Stadt" und bittet "um Vergebung für das maßlose Leid, das Deutsche anderen zugefügt haben." Trotz aller Trauer um die Toten, dafür erntet er lauten Beifall. Hier ist man stolz: man hat am Ende gewonnen.

Wie es von russischer Seite später heißt, sei die Geste Steinmeiers sehr gut angekommen. Zumal sie gut passt zum Besuch Angela Merkels am Sonntag in Moskau. Jedenfalls wird das von vielen erzählt, die den russischen Außenminister an diesem Tag begleiten. Lawrow selbst will öffentlich so weit nicht gehen. Aber es gefällt ihm sichtlich, mal wieder von seinem ,,Kollegen und Freund Frank-Walter'' zu sprechen. Und er erklärt fast nebenbei hier, auf dem ,,Heiligen Boden Stalingrads'', wie er es ausdrückt, dass Deutschland Russlands "wichtigster Partner in europäischen und internationalen Angelegenheiten" sei. Die Ukraine-Krise hat vieles zum Schlechten verändert. An einem Tag wie diesem spürt man beiden Außenministern an, dass ihnen das alles andere als recht ist.

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