Romanbiografie:Werden Sie nie so wie ich!

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Jules und Jim, 1961, François Truffaut. (Foto: JULES UND JIM/obs)

Michael Degen hat ein wunderbares Buch über seinen exzentrischen Schauspielerkollegen, den legendären Oskar Werner geschrieben.

Von Helmut Schödel

Das Gedächtnis der Schauspieler funktioniert nicht selten anekdotisch. Diese Anekdoten leben von berühmten Namen oft schon verblichener Größen, sind Bonmots aus dem Theaterleben oder auch reine Kantinenobsessionen. Da kann es dann sein, dass sich früher ein Kleindarsteller in Tetschen-Bodenbach aus dem Weihnachtsmärchen hinausintrigiert fühlte, unerklärlicherweise durch Gründgens. Oder Fehling. Oder viel später durch Peter Zadek, aber dann schon in Ulm. So verhelfen die Anekdoten einer vergänglichen Kunst zu Nachruhm.

Anekdotenalarm bestand auch bei einem Buch, das der Schauspieler und Schriftsteller Michael Degen vorlegt: "Der traurige Prinz. Roman einer wahren Begegnung". Es geht um die Begegnung mit dem Schauspieler-Mythos Oskar Werner, einem Manieristen und Selbstdarsteller vor dem Herrn, um den sich unzählige Anekdoten ranken. Aber Michael Degen war immer auch schon als Schauspieler sehr reflektiert, der Protagonist als Gentlemen, die alte Schule, die auch in diesem Buch alle Klippen überwindet.

Michael Degen ist ein Mann, der überdies Kultur immer als einen Auftrag verstand, der sich nicht bloß in der Kunst, sondern im Leben behaupten muss. Obwohl er schon als Junge in Berlin unter der Verfolgung durch die Nazis leiden musste und später mit den antisemitistischen Umtrieben der Neonazis konfrontiert wurde. Nichts konnte seine Haltung brechen, nie ließ er sich zum Opfer machen, nie verlor er seine Souveränität. Und so ist auch dieses Buch keine Anekdotensammlung, sondern ein erhellender, stets spannender Beitrag über das Unglück des Erfolgs, der nicht nur Oskar Werner erklärt, ohne sich über dessen Fehler zu erheben.

Das Buch beginnt mit einer Gastspielvorstellung in Vaduz, wo Degen den Jean in Strindbergs "Fräulein Julie" spielte. Oskar Werner passt ihn nach der Vorstellung ab und bittet ihn in sein liechtensteinisches Domizil, einsam und mit Panoramafenstern zur Berglandschaft. Seine Mitbewohner sind Fernet-Branca- und Weinflaschen. Er hat ein Bedürfnis nach Gespräch und fordert auch Degen zu Erzählungen aus seinem Leben auf. ". . . ich liebe den Erfolg und die Literatur", schwärmt Oskar Werner, und Michael Degen versucht, dessen Redeschwall, in dem sich Traum und Wirklichkeit gute Nacht sagen, für eine mitfühlende, aber auch analytische Sicht zu präparieren. Er hat ihn nicht nur einmal getroffen und will uns etwas zeigen über diese Gegensätze von Schein und Sein, der künstlerischen Behauptung und der persönlichen Schwäche, zwischen Oskar Werner und Oskar Josef Bschließmayer, wie er eigentlich hieß, diese ganze Schizophrenie des Erfolgs.

Wer von Michael Degen sonst gar nichts weiß, kennt ihn wenigstens als Vorgesetzten von Commissario Brunetti in zahllosen Donna-Leon-Verfilmungen, denn er kann auch Unterhaltung. Aber er war schon nach Hitlers Krieg der Hamlet bei Horst Caspar, hat später bei dem schwedischen Film- und Theaterregisseur Ingmar Bergman gespielt und in Peter Zadeks Berliner Inszenierung von Sobols "Ghetto". Er überlebte in der Zeit der Verfolgung in Berliner Laubenpieper-Kolonien, worüber er ein bewegendes Buch schrieb: "Nicht alle waren Mörder. Eine Kindheit in Berlin". Er fühlte sich in politisierten Zeiten mehr zu als konservativ verschrienen Regisseuren wie Rudolf Noelte hingezogen, der wie er selbst eher als Könner denn als Aufreger arbeiten wollte. Michael Degen wurde bekannt und blieb zurückhaltend.

Oskar Werner war ein Österreicher aus Wien, seine Mutter arbeitete in einer Hutfabrik. Er spielte schon als junger Mann am Burgtheater, machte eine internationale Filmkarriere, zum Beispiel bei François Truffaut ("Jules und Jim", "Fahrenheit 451"), trat im "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen auf und ist vor allem noch als großer Rezitator im Gedächtnis, manieriert und mit neurotischen Zügen, gefeiert als österreichisches Genie voller aufbrausender Gefühle.

Diese beiden, der große Irrationale und der subtile Denker, treffen sich und reden über ihren Beruf. Einen "Hurenberuf" nennt ihn Oskar Werner wegen des ständigen Zwangs zur Anbiederung. Er sagt: "Schauspieler ist doch kein Beruf für einen Erwachsenen." Da schmiert sich immer noch jemand das Gesicht an, steigt in fremde Kleider und behauptet, König Lear zu sein. Drückt sich in dieser Ablehnung die Unlust des Verwandlungsschauspielers an der Zurücknahme der eigenen Person aus? Hat vielleicht ein Künstler, der seine ganze Persönlichkeit ins Spiel bringt, solche Probleme nicht? Dient Schauspielerei der Illusion, oder soll sie enthüllen? Wer dieses Buch liest, wird nicht kalmiert mit Geschichtchen, sondern denkt mit, ganz ohne Fernet und Wein und Co. Man hat das Gefühl, dass man dabei ist.

Degen mischt sich immer nur sehr behutsam in Werners Reden ein, um das egozentrische Genie ruhig zu halten, fordert aber vom Künstler auch eine ethische Verantwortung. Natürlich kann sich Degen auch nicht dazu verstehen, im Schauspieler nur den Gaukler zu sehen, kann er Oskar Werners masochistischer Selbstverachtung nicht folgen. Zu klug, zu differenziert war seine eigene Arbeit.

Er zollt bei diesem Nachtgespräch, das bis zum Morgen dauert, seinem Gegenüber aber Respekt und bedauert dessen Traurigkeit, wenn Werner ihm zuprostet: "Auf einen guten und ruhigen Tod im eigenen Bett." Auch Oskar Werners Vorstellung vom Theater als Klassiker-Museum teilt er nicht, aber es gelingt ihm über die vielen Stunden hin, das Gespräch immer in der Balance zu halten.

Natürlich ist auch viel von der Hitlerzeit die Rede und von deren Folgen, die für Michael Degen bis in die Gegenwart reichen. Oskar Werner war nach Bombenangriffen in Wien verschüttet und desertierte am Ende. Degen erhielt noch in seiner Zeit am Bayerischen Staatsschauspiel unter Kurt Meisels Intendanz einen Drohbrief von einem neidischen Kollegen, der sich als Mitglied einer Terrorgruppe ausgab und von ihm verlangte, er solle das Theater unverzüglich verlassen, sonst würde man ihn "vergasen" wie seine "Glaubensgenossen im Dritten Reich".

Am Ende kann es Degen nicht verhindern, dass ihn der schwerst alkoholisierte Oskar Werner mit seinem Auto zum Hotel fährt: "Ich betete seit langer Zeit zum ersten Mal, aber mit tiefer Inbrunst . . ." Zum Abschied sagt ihm sein berühmter Chauffeur: "Werden Sie nie so wie ich, nie."

In einem kurzen Epilog berichtet Michael Degen von Oskar Werners Tod in Marburg, wo er eine Lesung halten wollte, die abgesagt werden musste, weil nur zehn Karten verkauft worden waren. Am Abend zuvor hatte Werner, "das Debakel vor Augen", kurz vor Mitternacht einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. "Der traurige Prinz" ist ein wunderbares Buch über die Last der Begabung, das Gift der Träume und den Triumph der Banalität.

Michael Degen: Der traurige Prinz. Roman einer wahren Begegnung. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 256 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.

© SZ vom 09.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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