Wahl in Großbritannien:Debakel im Norden

Labour hat die Wahl in der früheren Hochburg Schottland verloren - auch wegen ihres oft linkisch auftretenden Parteivorsitzenden Ed Miliband. Auch die Liberaldemokraten stürzen ab.

Von Björn Finke, London

Der Vorsitzende geht auf die Bühne, seine Krawatte knallig rot wie das Logo seiner Partei. Die Mitglieder, die sich in der Parteizentrale in London versammelt haben, jubeln ihm zu. Er greift erst einmal zum Wasserglas, nimmt einen Schluck, dann hebt er die Arme und zeigt an, dass seine Anhänger sich nun bitte beruhigen sollen. Ed Miliband will mit seiner Rede beginnen. Einer Rede, in der er die Verantwortung für die herbe Wahlniederlage übernimmt und als Chef der Oppositionspartei Labour zurücktritt.

Bei den britischen Parlamentswahlen am Donnerstag hofften die Sozialdemokraten auf Zugewinne und einen Machtwechsel. Doch tatsächlich fuhren sie das schlechteste Ergebnis seit 1987 ein. In ihrer einstigen Hochburg Schottland verlor die Partei 40 von 41 Sitzen - eine Katastrophe, von der sie sich wohl lange nicht erholen wird. Neue Mandate im Rest des Königreichs gleichen den Absturz nicht aus, weswegen im Parlament in Westminster nun insgesamt 26 Labour-Abgeordnete weniger sitzen werden. Der Partei droht jetzt eine schmerzhafte Debatte über Fehler im Wahlkampf und die zukünftige politische Ausrichtung. Und darüber, wer Ed Miliband nachfolgt.

Auch der Chef der Liberaldemokraten, Nick Clegg, trat am Freitag zurück. Er hatte seine Partei 2010 in die Koalition mit den Konservativen geführt. Die Liberaldemokraten erzielten nun das schlechteste Ergebnis seit 1970. Sie verloren 49 Sitze und stellen nur noch acht Abgeordnete.

In der Labour-Zentrale ist es 12.13 Uhr, als Ed Miliband die wohl schwerste Rede seiner politischen Laufbahn beginnt. Dass diese Wahl für ihn im Desaster endet, hat sich allerdings schon 14 Stunden vorher abgezeichnet. Um 22 Uhr schließen die Wahllokale, und im Fernsehen wird direkt danach die erste Prognose veröffentlicht. Die sagte Verluste für Labour voraus und eine Mehrheit für den konservativen Premier David Cameron. Eine Riesenenttäuschung, denn Umfragen prophezeiten bis zuletzt Gewinne für Labour und Verluste für die Tories. Miliband rechnete sich gute Chancen aus, neuer Premier zu werden.

Der zweite große Verlierer ist Nick Clegg, der Chef der Liberaldemokraten

Die ersten Stunden nach dem Schließen der Wahllokale verkündet Labour daher trotzig, die TV-Prognose sei schlicht falsch. Aber als aus immer mehr Wahlkreisen Ergebnisse eintrudeln, welche die Prognose bestätigen, kann sich die Partei nicht länger der unangenehmen Wahrheit verschließen. Am Freitagmorgen ruft Miliband Premier David Cameron an und gratuliert ihm zum Wahlerfolg.

Britain's opposition Labour Party leader Miliband announces his resignation as leader at news conference in London

Ed Miliband stand seit 2010 an der Spitze von Labour, nun ist er einer der großen Verlierer dieser Wahlnacht.

(Foto: Neil Hall/Reuters)

Bei seiner Rede in der Zentrale sagt Miliband, er übernehme die "absolute und totale Verantwortung" für das Ergebnis. Großbritannien brauche eine Labour-Partei, die diese Niederlage schnell überwindet, sagt der 45-Jährige. "Nun ist es an der Zeit, dass jemand anderes die Führung dieser Partei übernimmt", verkündet er, denn Labour benötige eine offene und ehrliche Debatte über die zukünftige Strategie. Noch am Nachmittag legte er sein Amt nieder. Bis die Partei einen neuen Chef gewählt hat, führt die stellvertretende Vorsitzende Harriet Harman die Geschäfte. Als mögliche Nachfolger gelten die Abgeordneten Yvette Cooper, Andy Burnham und Chuka Umunna.

Ursache für die Niederlage war zum einen, dass Labour dem Durchmarsch der Nationalisten von der SNP in der früheren Hochburg Schottland nichts entgegensetzen konnte. Außerdem hatte die Führung unterschätzt, wie viele Labour-Wähler zu der EU-feindlichen Partei Ukip überlaufen würden (nebenstehender Artikel).

Es gelang auch nicht, viele hart umkämpfte englische Wahlkreise von den Konservativen oder den Liberaldemokraten zu gewinnen. Die meisten Wechselwähler konnten offenbar mit Miliband und seinem eher linken Wahlprogramm nichts anfangen. In Umfragen sprachen Wähler Cameron stets deutlich mehr Führungsqualitäten zu als dem oft linkisch auftretenden Miliband. Zudem verfing anscheinend die Angstkampagne der Konservativen: Die Tories warnten die Wähler, dass ein Premier Miliband keine eigene Mehrheit haben würde und vom Wohlwollen der schottischen Nationalisten abhängig wäre.

Miliband stand seit 2010 an der Spitze von Labour, nachdem Premier Gordon Brown die Parlamentswahl gegen Cameron verloren hatte. Mit Unterstützung der Gewerkschaften setzte sich Ed Miliband im Rennen um den Vorsitz knapp gegen seinen älteren Bruder David durch. Der war unter Brown Außenminister gewesen und galt als Favorit. David ist ein Blairite, ein Anhänger der Reformen des früheren Labour-Premiers Tony Blair. Dieser hatte die Partei unter dem Slogan New Labour modernisiert, stärker in die politische Mitte gerückt und so drei Wahlsiege in Folge eingefahren. Ed Miliband hingegen setzte auf ein traditionell linkes Programm; er versprach höhere Steuern für Reiche, Banker und Besitzer teurer Häuser und wollte Energieversorgern von Staats wegen Preiserhöhungen verbieten.

Nun ist Miliband einer der großen Verlierer dieser Wahlnacht. Der andere große Verlierer ist Nick Clegg, Vorsitzender der Liberaldemokraten. Auch seine Partei litt unter dem Durchmarsch der schottischen Nationalisten, in dem Landesteil verlor sie zehn von elf Sitzen. Aber in England brach sie ebenfalls ein; viele prominente Politiker der Partei werden im neuen Parlament nicht vertreten sein. Clegg gewann seinen Wahlkreis, trat jedoch als Parteichef zurück. Trotz des schlimmen Wahlergebnisses würden Geschichtsbücher die Leistungen der Liberalen in der Regierungskoalition freundlich beurteilen, sagte er.

Für die ganzen liberalen Abgeordneten, die ihren Sitz verloren haben, dürfte das nur ein schwacher Trost sein.

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