Kassenarzt-Chef zu geplantem Wartezeiten-Gesetz:"Das ist völliger Humbug"

  • Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, hat das geplante Wartezeiten-Gesetz der Koalition scharf kritisiert.
  • Die Wartezeiten für Patienten in Deutschland seien kürzer als in vielen anderen Ländern, argumentiert er, und beruft sich auf OECD-Erhebungen.

Von Guido Bohsem, Berlin

Für Kassenarzt-Chef Andreas Gassen wird die Reise nach Frankfurt zum diesjährigen Ärztetag schwierig werden. In der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist ein erbitterter Streit zwischen ihm und seiner Stellvertreterin Regina Feldmann entbrannt. Hochrangige Funktionäre aus zehn Unterorganisationen haben ihm in einem Brief das Misstrauen ausgesprochen. Es geht um Ruhestandsverträge, Honorarabrechnungen und ganz generell um den Verdacht, dass der Facharzt Gassen die Hausärztin Feldmann über den Tisch ziehen könnte oder umgekehrt.

Nun sind heftige Grabenkämpfe zwischen Hausärzten und Fachärzten unter den Kassenärzten nichts Neues in der KBV. Und die Funktionäre der Kassenärztlichen Vereinigungen agieren stets nach dem Motto des Großwesirs Isnogud: "Ich will Kalif werden anstelle des Kalifen." Sprich, es kann keinen KBV-Chef außer mir geben. Gut ein Jahr im Amt, kämpft Gassen um sein politisches Überleben, wenn sich die Vertreter der Kassenärzte am Montag zu ihrer traditionellen Versammlung vor dem Ärztetag treffen.

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Die jüngsten Pläne der großen Koalition helfen ihm nicht weiter, im Gegenteil. Schließlich wollen Union und SPD den Druck auf die niedergelassene Ärzteschaft erhöhen, mit dem Ziel, die Behandlung der Patienten zu verbessern. Zwei Punkte sind es, die sich die Gesundheitspolitiker ausgedacht haben: Praxen, die aus Altersgründen aufgegeben werden, dürfen in Gegenden nicht mehr weitergeführt werden, wo es ohnehin genügend Ärzte gibt. Besonders aber geht den Ärzten der zweite Punkt gegen den Strich: eine strikte Auflage für die Ärzte, künftig schneller Termine für ihre Patienten zu vergeben und zwar unabhängig davon, ob diese nun gesetzlich oder privat versichert sind. Auf vier Wochen soll die Wartezeit begrenzt werden. Dazu sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen Servicestellen einrichten, die diese Termine vermitteln.

Laut OECD sind die Wartezeiten in Deutschland vergleichsweise kurz

Für die Ärzte ist das ein Affront und für den angeschlagenen Gassen ein guter Anlass, gegen die Regelung in aller Schärfe zu wettern. "Die nun geplante Regelung ist doch nur ein populistischer Werbegag", poltert er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Die Politik versuche sich mit solchen Vorschlägen vor der Wahrheit zu drücken. "Das ist Camouflage." Es gehe doch längst nur noch um die Frage, die Versorgung der Patienten sicherzustellen, ohne dabei zu offensichtlich zu Kürzungen zu greifen.

Mit dem Wartezeiten-Gesetz wolle die Politik suggerieren, dass sie etwas für die Patienten tut. "Doch das ist völliger Humbug." In Wirklichkeit sind die Wartezeiten in Deutschland vergleichsweise kurz. Gassen verweist auf Erhebungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Demnach liegt der Anteil der Patienten, die hierzulande zwei Monate oder länger auf einen Termin warten müssen, bei fünf Prozent. In den USA beträgt der Anteil neun Prozent, in Großbritannien 19 Prozent und in Australien, Frankreich, Schweden und Norwegen etwa 30 Prozent.

Gassen führt zudem Umfragen seiner Organisation an, wonach 82 Prozent der Befragten geantwortet hätten, es habe eben nicht zu lange gedauert, bis sie den letzten Termin hatten. "Doch die Politik nimmt das nicht zur Kenntnis und verdonnert uns dazu, einen bürokratischen Wahnsinn aufzubauen, mit dem keinem geholfen ist", ereifert sich der Ärztechef.

Seine Kollegen fühlten sich von der Politik auf den Arm genommen, so Gassen. Denn die Koalition fordere sie auf, noch mehr Termine in kürzerer Zeit zu bewältigen und sorge gleichzeitig dafür, dass 20 bis 30 Prozent der Leistungen nicht honoriert würden. "Das kann doch kein Anreiz für einen niedergelassenen Arzt sein, noch mehr zu arbeiten."

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