Scheidender BMW-Chef Reithofer:Das "Ja, aber"-Prinzip

Lesezeit: 4 min

Wenn es ein Sinnbild für den Wandel des BMW-Konzerns gibt, dann ist es der Hybrid-Sportwagen i8, aus dem Konzernchef Reithofer hier klettert. (Foto: Mauritz Antin/dpa)
  • Norbert Reithofer hat BMW als Chef zu einem sehr erfolgreichen Konzern gemacht, 2014 war für den Autohersteller das fünfte Rekordjahr in Folge.
  • Reithofer ist als Skeptiker bekannt, der auf unangenehme Fragen Antworten sucht.
  • Nun tritt er als Chef ab. Ob seine Konzernvision funktioniert, muss sich zeigen: Noch lebt BMW von spritschluckenden Autos.

Von Thomas Fromm, München

Norbert Reithofer, 58, ist in manchen Punkten etwas anders als andere Manager, und das liegt vielleicht auch daran, dass er sich oft Sorgen macht über vieles. Darüber, dass die Dinge am Ende doch nicht so sind, wie sie scheinen. BMW-Chef Reithofer, man kann es vielleicht so interpretieren, hat Angst vor den Dingen, auf die er keinen Einfluss hat.

Auf die Entscheidungen der Kunden hat er keinen Einfluss. Sein Elektrovehikel i3, ein aus leichtem Karbon gebauter Kleinwagen, seinerzeit mit Milliardeninvestitionen und viel Marketingaufwand zur automobilen Avantgarde stilisiert, verkaufte sich im vergangenen Jahr gerade 16 000-mal. 16 000 von über zwei Millionen Autos - dass die Menschen einen Bogen um Elektrofahrzeuge machen, kann am niedrigen Ölpreis liegen. Oder am hohen Preis des i3. Oder am Auto selbst.

Auf Finanzkrisen, die Euro-Krise und die Krise in der Ukraine hat Reithofer auch keinen Einfluss. Und gegen die strenge CO₂-Regulierung der Europäischen Kommission kann er auch nichts machen, zumindest nicht sehr viel. Der Umbau kostet seinen Konzern, der mit sportlichen Benzinern groß geworden ist, Milliarden. Reißt er die strengen CO₂-Auflagen, drohen drakonische Strafen. Vor einiger Zeit saß Reithofer am Rande einer Automesse in seinem kleinen Pavillon, nippte an einem entkoffeinierten Espresso und sagte, ziemlich entnervt: "Ich bin ganz klar für den Schutz der Umwelt. Man darf eine Industrie aber nicht überfordern."

"Alles ist fragil. Die Dinge können sich jederzeit ändern"

Es gibt genug Gründe, sich Sorgen zu machen. Wenn andere Konzernchefs sagen: "Ich sag euch jetzt mal, wo es langgeht", sagt Reithofer Sätze wie: "Wenn ich Ihnen jetzt sagen würde, ich weiß alles schon jetzt ganz genau, wäre das nicht zutreffend." Das neue Geschäftsjahr kann großartig beginnen, und was sagt der Chef? "Alles ist fragil. Die Dinge können sich jederzeit ändern." Der Konzern hat fünf Rekordjahre hinter sich und wieder eines vor sich, und Reithofer meint dazu: "Volatilität ist die neue Konstante."

Norbert Reithofer, gelernter Maschinenbauer, seit 15 Jahren im BMW-Vorstand und seit fast neun Jahren Konzernchef, ist ein ewiger Skeptiker. Der Nachdenkliche unter den Auto-Ingenieuren, der "Ja, aber"-Mann.

Als er auf den Chefsessel kam, damals im Spätsommer 2006, stand die BMW-Aktie bei rund 40 Euro. Heute ist sie fast dreimal so viel wert. Ja, aber.

2014 war für BMW das fünfte Rekordjahr in Folge. Gewinn: 5,8 Milliarden Euro. Umsatz: 80,4 Milliarden Euro. Verkaufte Autos: zum ersten Mal mehr als zwei Millionen. Audi und Daimler? Schon lange im Rückspiegel. Aber sie wollen BMW bis 2020 vom Thron stoßen. Also: Ja, aber.

Der Münchner Nachbar, die alte Industrieikone Siemens? Eine ewige Baustelle, bei Gewinn und Umsatz von BMW längst überholt. Ja, aber.

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg (Foto: Grafik Wir)

Was wird aus der sportlichen Marke, wenn die Öl-Vorräte ausgehen?

Dass BMW heute die Premium-Klasse anführt, hat womöglich viel mit diesem ständigen "Ja, aber" zu tun. Reithofer, der Produktionsexperte, der bei der BMW-Hauptversammlung an diesem Mittwoch Platz macht für den neuen Chef Harald Krüger (49) und in den Aufsichtsrat wechselt, hinterlässt einen Konzern, der anders ist als vor seiner Zeit. Elektroautos, deren Leder-Interieurs mit Extrakten aus Olivenblättern gegerbt sind. Dreizylinder statt Sechszylinder, und - großer Tabubruch! - Front- statt Hinterradantrieb.

Gleich nachdem Reithofer Vorstandsvorsitzender wurde, bestellte er seine Leute zu langen Strategiesitzungen ein. Was wird aus dieser sportlichen Marke, wenn die Öl-Vorräte zur Neige gehen? Wenn die ersten Großstädte Chinas die Schotten dichtmachen und Benziner mit qualmenden Auspuffen nicht mehr reinlassen? Was wird dann nur aus dieser Firma, die ja nicht zufällig "Bayerische Motoren-Werke" heißt?

Eine Arbeitsgruppe entstand, man nannte sie intern auch Thinktank, Denkfabrik. Als wäre es eine Forschungsstelle am Lehrstuhl für Soziologie. Einmal erzählte Reithofer im SZ-Interview, welche Diskussionen es damals gab im Konzern. Hier die neue kleine Elektro-Avantgarde, die mit dem Leichtbau-Material Karbon herumhantierte und über großen Batterien brütete. Da die alte Benzin-Fraktion im Haus, die daran erinnerte, wer all diese seltsamen Experimente finanzierte. Am Ende mussten beide Seiten lernen, miteinander unter einem Dach zu arbeiten. "Große Konzerne tun sich nicht so leicht mit großen Veränderungen", sagte Reithofer. "Das mussten viele erst mal verdauen." Es half, dass auch die BMW-Eigentümerfamilie Quandt, die rund 47 Prozent der Konzern-Anteile besitzt, selbst auf der Suche nach Antworten war.

Es gibt auch in Zukunft Anlass zu Sorgen

Ob Reithofers Konzernvision funktioniert, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Noch lebt der Konzern vor allem von spritschluckenden Großlimousinen und seinen großen, geländegängigen X-Modellen. Schafft er es nicht, seine Modelle zu schrumpfen oder mehr E-Autos zu verkaufen, droht ihm irgendwann teurer Ärger mit Brüssel. Gelingt ihm aber der Umbau und werden in Zukunft immer mehr kleinere Fahrzeuge verkauft, könnte dies langfristig die Rendite drücken.

Manager mögen naturgemäß weder das eine noch das andere.

Dazu kommen die Konjunkturrisiken. 2015, das wissen die Manager, wird anders als die Jahre zuvor, kein Selbstläufer mehr. Europa erholt sich nur schleppend, der russische Markt hat sich längst verabschiedet und auch einst hochgelobte Schwellenländer wie Brasilien ziehen nicht mehr. Vor allem aber: China, mit seinen gigantischen Wachstumsraten im Autogeschäft noch bis vor Kurzem die sicherste Bank der Konzerne, wird allmählich normal. Ein Schock.

Reithofer wird auch im Aufsichtsrat genug Gründe haben, sich Sorgen zu machen. Dass angelsächsische Investoren seinen nahtlosen Wechsel an die Spitze des Kontrollgremiums kritisieren und am Mittwoch Punkt 6.3 der Tagesordnung ablehnen wollen, dürfte ihm dabei noch die geringsten Sorgen machen. Natürlich - der direkte Umzug ins Kontrollgremium, ganz ohne Abkühlungsphase, widerspricht den Corporate-Governance-Empfehlungen. Reithofer selbst aber sieht das so: Es habe sich bei BMW immer schon bewährt, dass sich gute Chefs nach ihrem Ausscheiden aus dem Vorstand gleich in den Aufsichtsrat rübermachen.

Eigentlich macht man so etwas nicht. Andererseits möchte man aber schon gerne. Klassischer Fall von: Ja, aber.

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: