50 Jahre diplomatische Beziehungen:Warum die deutsch-israelische Freundschaft in Gefahr ist

Israelischer Präsident Reuven Rivlin in Berlin

Der israelische Präsident Reuven Rivlin wird von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Kanzleramt in Berlin begrüßt.

(Foto: dpa)

Die Beziehungen zwischen Berlin und Jerusalem sind gut. Damit das so bleibt, hält sich die Bundesregierung mit Kritik an Israel zurück. Doch genau das könnte zum Problem werden.

Kommentar von Peter Münch

Manche sprechen von einem Wunder, wenn sie nun diese Freundschaft feiern: 50 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen, 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, stehen Deutschland und Israel als enge Verbündete beieinander, verflochten auf allen Ebenen: politisch, wirtschaftlich, militärisch, kulturell und, besonders wichtig, zwischenmenschlich. Das mag gewiss wundersam und wunderbar erscheinen - und doch ist es alles andere als ein Wunder. Zum Glück.

Denn wenn ein Wunder passiert, weiß niemand, wie ihm geschieht. Auf Wunder sollte man sich besser nicht verlassen. Doch diese Freundschaft zwischen Deutschland und Israel, dem Land der Täter und dem Land der Opfer, ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist kein Zufall, sondern das Ergebnis eines harten Ringens und harter Arbeit auf beiden Seiten. Sie konnte wachsen, weil sich Deutschland seiner Vergangenheit gestellt und Israel sich für die Zukunft geöffnet hat. Das hat ein solides Fundament geschaffen. Aber die heute entscheidende Frage ist dennoch, was das für die Gegenwart bedeutet: Wie also kann man diese Freundschaft leben und festigen, die alles andere als frei von Konflikten ist?

Beide Seiten müssen vor allem offen mit Streitpunkten umgehen

Normalität - dies als Selbstverständlichkeit vorweg - kann es nicht geben angesichts von sechs Millionen Juden, die von Deutschen ermordet wurden. Auch wenn in Israel die Zahl der Holocaust-Überlebenden in jedem Jahr weiter sinkt - noch leben knapp 200 000 Menschen, welche die Gräuel der Nazis am eigenen Leib erfahren haben. Und auch wenn in Deutschland der Wunsch nach einem Schlussstrich unter die Vergangenheit wächst - Umfragen zufolge wissen 80 Prozent der jungen Leute wenig damit anzufangen, dass sie heute noch für die Verbrechen der Nazis geradestehen sollen -, so muss klar sein: Diese Vergangenheit kann nicht vergehen. Und genauso wichtig wie für Israel ist das für Deutschland, weil auf beiden Seiten aus der Vergangenheit ein Auftrag erwächst.

Einerseits verbindet dieser Auftrag die beiden Staaten, nämlich in eben jenem Merkel'schen Sinne, der die deutsche Verantwortung für Israel als Teil der Staatsräson definiert. Das ist richtig und wichtig, aber nur die halbe Wahrheit. Denn auf der anderen Seite trennt dieser historische Auftrag auch die beiden Völker. Er ist die Quelle vieler der heutigen Differenzen.

Deutschland und Israel haben unterschiedliche Lehren aus dem Holocaust gezogen

"Nie wieder" - das heißt in Deutschland nie wieder Auschwitz, nie wieder Krieg, nie wieder schuldig werden. Die deutsche Politik betont Moral und Menschenrechte, und das natürlich universal. Die Unterdrückung der Palästinenser durch ein Besatzungsregime im Westjordanland oder ein mit unverhältnismäßiger Härte geführter Krieg im Gazastreifen gelten als Verstoß gegen diese Werte. In Israel aber bedeutet "nie wieder", dass die Juden nie wieder Opfer, nie wieder wehrlos sein dürfen. Bedrängt von fast allen seinen Nachbarn, definiert sich der jüdische Staat über seine Abwehrkräfte. Schwäche gilt als existenzbedrohend.

Die unterschiedlichen Lehren, die Deutschland und Israel aus der Geschichte gezogen haben, prallen also heute aufeinander. Die Deutschen sehen Israel zunehmend kritisch, als Aggressor gegen die unterlegenen Palästinenser. Die Israelis fühlen sich missverstanden; und auf den verdruckst-moralisch erhobenen deutschen Zeigefinger können sie überhaupt ganz gut verzichten. So wächst das Unverständnis auf beiden Seiten. Und genau darin liegt 50 Jahre nach der wundersamen Aufnahme diplomatischer Beziehungen heute die Gefahr.

Das Verhältnis ist gefestigt genug, um Konflikte auszuhalten

Der einzige Weg, dieser Gefahr zu begegnen, ist ein offener Umgang mit den Differenzen. Die israelische Regierung sagt ohnehin meist klar, was sie von Deutschland erwartet; und das ist gut so, weil jeder weiß, woran er ist. Die Bundesregierung aber duckt sich zumindest öffentlich oft weg, wenn es darum geht, Israel gegenüber Position zu beziehen. Das ist nachvollziehbar angesichts der Vergangenheit. Aber es ist der falsche Weg für die Zukunft.

In Jerusalem hat sich wieder eine rechte Regierung gebildet, die bei Israels Freunden im Westen schnell anecken dürfte. Das ist eine Herausforderung für die Beziehungen, gewiss. Aber die Bundesregierung sollte einer offenen Auseinandersetzung mit dieser Regierung nicht aus dem Weg gehen; sie schuldet es den deutsch-israelischen Beziehungen. Das Verhältnis ist gefestigt genug, um auch Konflikte auszuhalten. Gerade auf israelischer Seite wird das als viel größere Selbstverständlichkeit angesehen als auf deutscher. Verkrampfte Zurückhaltung bewirkt immer nur das Gegenteil: Unverständnis staut sich an, und statt der Freundschaft wächst die Entfremdung.

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