Transformation:Auf Draht

Lesezeit: 4 min

In vielen Städten liegen alte Industrieflächen brach. Die einfachste Lösung ist oft die Abrissbirne. Die Umwandlung des Carlswerks in Köln zeigt, dass es auch anders geht.

Von Andreas Remien

Die alten Schienen, die auf dem weitläufigen Gelände in den Beton eingelassen sind, werden eigentlich nicht mehr gebraucht. Züge, die im Kölner Carlswerk Kupfer oder Drahtspulen zwischen den großen Hallen transportiert haben, fahren schon seit vielen Jahren nicht mehr. Wo von 1874 an Felten & Guilleaume unter anderem die weltweit ersten Kabel für transatlantische Telefonverbindungen hergestellt hatte, sind heute nämlich Büromieter oder kleinere Produktionsbetriebe zu Hause. Die Schienen will der Projektentwickler und Investor Beos AG trotzdem behalten. "Sie sind Bestandteil der DNA", sagt Daniel Fielitz, der die Umwandlung des Industriegeländes in einen Gewerbecampus von Beginn an begleitet hat. Die Strategie, einen großen Teil des industriellen Erbgutes zu bewahren, hat gleich zwei Vorteile: Erstens sind Gebäude mit authentisch historischem Charme sehr gefragt. Zweitens ist die Lösung auch deutlich günstiger als ein Neubau.

Mit seiner Verwandlung von einem alten Industriekomplex in einen modernen Gewerbestandort fällt das Carlswerk in die sogenannte Kategorie der Transformationsimmobilien. Als der Investor das Gelände in Köln-Mülheim vor gut sieben Jahren übernahm, war die Kabelproduktion noch in vollem Gang. "Der Anfang war nicht leicht", sagt Beos-Vorstand Stephan Bone-Winkel. Mietinteressenten mussten auf Besichtigungsterminen schweren Lkws, Güterwägen und Gabelstaplern ausweichen - und genug Phantasie mitbringen, dass in den alten Fabrikhallen einmal schicke Loft-Büros oder kleinere Werkstätten entstehen könnten. Bei vielen potenziellen Mietern war die Vorstellungskraft offenbar nicht groß genug. Etwa ein Jahr nach dem Kauf des Geländes im Dezember 2007 hatten sich noch kaum Unternehmen gefunden, die auf dem Industriegelände einziehen wollten. "Die Initialzündung war schließlich der Einzug von Bastei Lübbe", sagt Bone-Winkel. Seit der Verlag im Januar 2010 in das frühere Hauptgebäude des Werks einzog, sind etwa 50 neue Mieter hinzugekommen.

Im Carlswerk in Köln wurden früher Drähte und Kabel hergestellt. Heute gibt es in den Fabrikhallen auch moderne Büros. (Foto: PR)

In einem alten Depot proben die Schauspieler, in einer anderen Halle bohrt der Zahnarzt

Zu ihnen gehört auch das Schauspiel Köln, das wegen Sanierungsarbeiten an seinem Stammhaus ein Interimsquartier suchte und es auf der anderen Rheinseite im Carlswerk gefunden hat. So marschiert heute in den alten Depots der Fabrik der Dichter Dante auf seiner Jenseitswanderung ins Paradies oder Shakespeares Herzog in die Verbannung. "Die ganze Welt ist eine Bühne", seufzt es über das Gelände, während in der Nachbarschaft die Patienten in der Zahnarztpraxis zwischen Backsteinwänden und Eisensäulen auf ihre Behandlung warten, IT-Experten in schicken Loft-Büros am digitalen Supermarkt der Zukunft arbeiten oder im alten Drahtlager Sportler auf die Boulder-Hügel klettern. In den alten Gebäuden haben sich außerdem kleinere Produktions- und auch Gastronomiebetriebe eingemietet, vor dem Interims-Schauspielhaus floriert ein Urban-Gardening-Projekt mit Sonnenblumen und Insektenhotel. Die bunte Mixtur auf dem alten Werksgelände ist fast schon kurios - und hätte vor einigen Jahren wohl noch viele Investoren abgeschreckt. Lange waren vor allem bei großen Anlegern nämlich Objekte mit nur einem Nutzer gefragt. Heute sind die "Single-Tenant"-Gebäude dagegen nicht mehr so begehrt - ist nämlich der eine Mieter weg, kann schnell die ganze Investition in Schieflage geraten. Viele Nutzungsarten und die Betreuung vieler Mieter sind zwar wesentlich aufwendiger und auch teurer, dafür aber in der Regel wegen der breiten Streuung deutlich weniger riskant.

Auf dem Gelände des Carlswerks sind mehr als 20 Gebäude verteilt. Die denkmalgeschützte Kupferhütte, das Drahtlager, die Depots oder das Hypodrom sind heute noch gut erhaltene Zeugen jener Epoche, in der Fahrdrähte, Freileitungsseile oder Starkstromkabel produziert wurden. "Wir haben darauf geachtet, das Gelände nicht totzusanieren", betont Fielitz. Die alten Mauern und bis zu zwölf Meter hohen Räume mit massiven Stahlträgern machen nämlich genau jenen industriekulturellen Charakter aus, den viele Mieter derzeit suchen. "Die Nachfrage nach Loft-Büros ist riesig", sagt Bone-Winkel. Auch auf den weiten Außenflächen herrscht noch der eher grobe Charme, den die Industrie hinterlassen hat: Mal ist der Boden geteert, mal gepflastert, mal kämpft sich zwischen den Betonplatten ein Löwenzahn ans Licht.

Heute arbeiten in dem ehemaligen Industriegebäude Werbeagenturen, IT-Unternehmen oder kleine Produktionsbetriebe. (Foto: Beos AG)

Die Hallen werden in der Regel erst dann ausgebaut, wenn auch ein Nutzer da ist. Der Aufwand ist dabei ganz unterschiedlich. Mal werden nur die Dächer neu isoliert und neue Fenster eingesetzt, mal wird eine Zwischendecke eingezogen, um die Grundfläche zu erhöhen. Manche Nutzer wollen Kühlräume, andere ein Labor, die nächsten eine Rampe. Bis heute hat Beos circa 80 Millionen Euro investiert. Weil die Sanierung der Gebäude günstiger als der Neubau ist, liegen die Mieten im moderaten Bereich. Mieter im Carlswerk, das im hippen Schanzenviertel liegt, zahlen etwa zehn bis 14 Euro pro Quadratmeter.

Industriecharme, günstige Mieten und flexible Flächen, die ganz verschiedene Nutzungen erlauben: Mit dieser Mischung scheinen sich auch immer mehr Investoren anzufreunden. Als Anlageklasse spielen Transformationsimmobilien im Vergleich zu klassischen Segmenten wie Bürotürmen oder Kaufhäusern zwar eine noch vergleichsweise kleine, aber wachsende Rolle. Das Investitionsvolumen in Deutschland lag im vergangenen Jahr bei circa 500 Millionen Euro, wie aus dem Marktbericht der Initiative Unternehmensimmobilien hervorgeht. Investoren sind vor allem institutionelle Anleger wie Versicherungen oder auch Family Offices. Wie in allen anderen Immobiliensegmenten sinken allerdings auch hier die Renditen, weil die Objekte immer teurer werden. Im Mittel liegen sie aber noch deutlich über den Renditen klassischer Immobilienanlagen.

Das frühere Industrieareal in Köln Mülheim hat sich zu einem bunten Gewerbecampus entwickelt. (Foto: Beos AG)

Wie alle Projektentwickler suchen auch die Transformationsspezialisten händeringend nach Grundstücken und Objekten in den wachsenden Städten. "Flächen wie das Carlswerk sind rar gesät", sagt Bone-Winkel. Die Suche ist schwieriger geworden, nicht zuletzt deshalb, weil viele Großstädte immer mehr Gewerbe- in Wohnflächen umwandeln. Beides zusammen ist derzeit zum Beispiel im Münchner Westen geplant. Auf dem Gelände des ehemaligen Ausbesserungswerks der Bahn und der alten Gleisharfe entstehen ein Gewerbecampus und Wohnungen. Der Projektentwickler Aurelis will auf dem Gewerbeareal "Triebwerk" viele der zum Teil denkmalgeschützten Gebäude für Logistikunternehmen, Handwerks- und Produktionsbetriebe oder Büromieter erhalten und ausbauen. Wie im Kölner Carlswerk gibt es jede Menge historischer Hallen, und noch viel mehr alte Schienen.

© SZ vom 15.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: