Motivation:Kurz die Welt retten

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Von der Idee zum Projekt: Im "Changemaker-Kurs" lernen Studierende, wie sie unternehmerische Geistesblitze in die Tat umsetzen - und gleichzeitig Gutes tun.

Von Tomma Schröder

Der Goldeimer hält auf den ersten Blick nichts von dem, was er verspricht. Er ist weder golden noch sieht er aus wie ein Eimer: Es ist ein länglicher, mehr als zwei Meter hoher Kasten, der von außen bemalt ist und im Innern ein kleines Podest beherbergt. In der Mitte befindet sich eine Öffnung, die von weißem Plastik umrahmt ist: eine Klobrille.

"Der Goldeimer ist eine mobile Komposttoilette, die auf Festivals und Großveranstaltungen eine Alternative zu den Dixie-Klos bieten soll", sagt Jan Lange, der das Teil zusammen mit anderen Studenten entwickelt hat. Ein Klo ohne Gestank, ohne Chemie, ohne Wasserverschwendung und ohne dreckige Klobrillen - das war ihre Idee. Sie ist eines von vielen Projekten, die aus dem Lernprogramm "Yooweedoo" entstanden sind und die sich in dem ehemaligen Gebäude der Kieler Kunsthochschule angesiedelt haben.

"Gute Ideen, wie man die Welt ein bisschen besser machen kann, hat eigentlich jeder", sagt der Initiator des Programms, der Kieler Geografie-Professor Christoph Corves. "Aber leider bleibt es meistens bei der Idee." Um das zu ändern, hat Corves seinen "Changemaker-Kurs" entwickelt: Hier lernen Studierende, wie sie Projekte planen, wie sie die Kosten kalkulieren und wie sie an Geld kommen.

Jan Lange und seine Mitstreiter scheinen das besonders gut gelernt zu haben. Bevor sie überhaupt einen Prototyp für den Goldeimer entwickelt hatten, meldeten sich die ersten Festivals, die sich für ihre Idee interessierten. Mittlerweile gibt es viele Goldeimer, auf denen bereits unzählige Besucher für zwei Euro den besonderen Klogang erleben durften und mit Sägespänen anstelle von Wasser gespült haben.

Im Gegensatz zu den Chemietoiletten werden die Goldeimer nach jedem Klogang von einem der 20 bis 30 Mitarbeiter gereinigt. Die bekommen dafür zwar kein Geld, aber ein nettes Team und einen kostenlosen Festivalbesuch. Kloputzer beim Goldeimer ist daher ein beliebter Job. Und tatsächlich wird der Goldeimer seinem Namen jetzt gerecht: Das Projekt wirft Gewinn ab. Es macht, wie die Norddeutschen sagen, "aus Schiete Gold". Dieses Gold landet allerdings weder bei den Kloputzern noch bei Jan Lange. Es wird direkt an die Hamburger Wasserinitiative "Viva con aqua" weitergeleitet.

Als kleiner Kurs an der Universität Kiel gestartet, wird der Changemaker-Kurs aufgrund der starken Nachfrage mittlerweile als Massive Open Online Course angeboten (MOCC). 10 000 Leute haben sich dort seither eingeschrieben, 1000 bis 2000 seien tatsächlich aktiv, sagt Christoph Corves. An 15 Universitäten in Deutschland ist dieser Kurs bereits in Studiengänge integriert. "Die Art, wie an der Hochschule gelehrt wird, ist oft nichts für Leute, die selber etwas gestalten wollen, die unternehmerische Fähigkeiten haben", begründet Corves das große Interesse an dem Kurs. Denn auf die Theorie im sechsmonatigen Changemaker-Kurs folgt unweigerlich die Praxis: Im folgenden Semester gehen alle Projekte in die Umsetzung und können beim Yooweedoo-Ideenwettbewerb eingereicht werden und Startkapital gewinnen.

Die Crew des Projekts "Goldeimer", einer Alternative zum Dixie-Klo, hat inzwischen auf Festivals eine große Anhängerschaft. (Foto: privat)

Auch viele ehemalige Preisträger des Yooweedoo-Wettbewerbs außerhalb von Schleswig-Holstein sind sehr erfolgreich. In Kassel etwa werden Bausätze von Energiesparherden für Entwicklungsländer gefertigt. Und das Projekt Refugee Law Clinic in München bietet Flüchtlingen eine kostenlose Asylberatung an.

Im Gegensatz zu den Machern der Energiesparherde haben die Münchner ihre Idee unabhängig vom Changemaker-Kurs ausgearbeitet und nur beim Ideenwettbewerb teilgenommen. Kleine und große "Weltverbesserungs-Projekte", die regionale, ökologische und soziale Schwerpunkte setzen, entstehen derzeit an vielen Orten. Wer sagt eigentlich, so scheinen sich viele Menschen zu fragen, dass Unternehmen sich ausschließlich der Maximierung von Gewinn verschreiben müssen?

Dass es diesen Wunsch nach sinnvollen Tätigkeiten, nach sozialen und ökologischen Unternehmen nicht nur unter Studenten gibt, hat Professor Corves bei einer Umfrage festgestellt. "Wir dachten, dass die Teilnehmer am Onlinekurs alles Studierende sind. Tatsächlich aber war die Hälfte älter als 30 und ging ganz normalen Jobs nach. Auch sieben Prozent Arbeitslose waren unter den Teilnehmern."

Corves will sein Yooweedoo-Programm daher ausweiten. Gemeinsam mit der Stadt Kiel hat er das Projekt "Zukunftsmacher" entwickelt. Das richtet sich an ganz normale Bürger, die ebenfalls schon lange "diese eine gute Idee" mit sich herumtragen. Auch sie sollen nun lernen, wie daraus Realität werden kann, und die Stadt Kiel, so hofft Corves, zur ersten "Changemaker-Region" in Deutschland machen.

Eine kleine "Changemaker-Oase" ist derweil an der ehemaligen Kunsthochschule entstanden. "Wir haben die Art Leute, um die sich eigentlich alle Begabtenförderungswerke reißen", schwärmt Corves. "Und ich habe die Studenten, von denen ich in anderen Kursen träume." Dass diese Studenten auch Ideen entwickeln, auf die er nicht im Traum gekommen wäre, hat Corves bereits mehrfach erlebt.

Auch beim Goldeimer-Projekt. "Das", sagt Jan Lange und zeigt auf ein besonders breites Toilettenhäuschen, "ist unsere Doppel-Toilette. Mädels gehen da gerne mal zusammen drauf. Und wir hatten sogar einen lustigen Mitarbeiter, der einen speziellen Service anbietet: Er kommt mit auf die Toilette und liest auf Wunsch vor." Ob das Märchen vom Goldeimer auch dabei war?

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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