BND-Affäre:Pofallas konstruierte Wahrheit

Ronald Pofalla

Der ehemalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla rückt in der BND-Affäre in den Fokus.

(Foto: dpa)
  • Das Kanzleramt muss sich gegen den Vorwurf verteidigen, die Aussichten auf ein No-Spy-Abkommen mit den USA vor der Wahl 2013 gezielt übertrieben zu haben. Der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla rückt in den Fokus.
  • Warum ein No-Spy-Abkommen gescheitert ist, wird von US- und deutscher Regierung unterschiedlich begründet.
  • In der Berliner Regierungszentrale ist seit Januar 2014 lediglich von einem "Kooperationsabkommen" die Rede. Die Formulierung "No-Spy-Abkommen" wird nicht mehr verwendet.

Von John Goetz, Hans Leyendecker und Georg Mascolo, Berlin

Im vergangenen Jahr wurde im Kanzleramt das Wort "No-Spy" auf den Index gesetzt. Per Mail wurden die Mitarbeiter angewiesen, künftig im internen Schriftverkehr nur die Formulierung "Kooperationsvereinbarung" zu verwenden. Mit neuen Begriffen lassen sich alte Probleme aber nicht immer lösen.

Nachdem SZ, NDR und WDR am Wochenende interne E-Mails über den Verhandlungsprozess zwischen der deutschen und der US-Regierung in Sachen No-Spy veröffentlich hatten, steht das Kanzleramt unter Druck. Es muss sich gegen den Vorwurf verteidigen, die Aussichten auf ein solches Abkommen vor der Wahl 2013 gezielt übertrieben zu haben.

Die SPD bezichtigt nun die Union der Täuschung und der Lüge. Die Kanzlerin beteuerte dagegen am Montag, das Kanzleramt habe in sämtlichen Geheimdienstdingen der vergangenen Jahre "nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet". Dies gelte auch für den derzeitigen Kanzleramtsminister Peter Altmaier und seine Vorgänger Ronald Pofalla und Thomas de Maizière.

Das Spiel mit der Wahrheit gehört insbesondere in Wahlkämpfen zur Debattenkultur. Das Hervorheben angeblicher eigener Erfolge und das Bestreiten von Misserfolgen sind übliche Stilmittel, die den Beteiligten vertraut sind. Dennoch kann eine Nachbetrachtung unangenehm sein.

Die amtliche deutsche Version des Scheiterns von No-Spy geht so: Im August 2013 hätten der damalige NSA-Chef Keith Alexander und James Clapper, Chef aller amerikanischen Geheimdienste, einen solchen Vertrag angeboten. Später habe das Weiße Haus interveniert und den Abschluss verhindert. Das habe man nicht ahnen können. Die Öffentlichkeit und das Parlament seien also nicht falsch unterrichtet worden. Schuld seien nur die Amerikaner.

Obama bestritt im Beisein von Merkel, ein Abkommen angeboten zu haben

Diese Darstellung steht - zumindest in wichtigen Teilen - im Widerspruch zur Aktenlage, die weit über die E-Mail-Korrespondenz hinausreicht. Auch verwahrte sich die US-Regierung gegen die Kanzleramtsversion. Präsident Barack Obama machte das selbst, diplomatisch verbrämt, bei einem Besuch der Kanzlerin im Mai 2014 in Washington.

Auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus hatte ihn ein deutscher Journalist gefragt, warum man das Angebot zurückgezogen habe. "Es ist nicht ganz richtig zu sagen, dass die US-Regierung ein No-Spy-Abkommen angeboten und es dann zurückgezogen hat", antwortete Obama. Die Kanzlerin stand neben ihm.

Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums

Ronald Pofalla soll die Verhandlungen mit den USA wegen des Wahlkampfs 2013 schöngeredet haben.

(Foto: Rainer Jensen/dpa)

Kurz vor dem Besuch der Kanzlerin hatte die New York Times unter Berufung auf US-Quellen berichtet, die Idee zu dem Abkommen stamme gar nicht von den Amerikanern; sie sei eine Idee der Deutschen gewesen, um auf den "politischen Aufruhr" nach den Enthüllungen von Edward Snowden zu reagieren. Von deutschen Verhandlungsteilnehmern wiederum wird diese Deutung der Abläufe vehement bestritten.

Beide Regierungen geben ein schlechtes Bild ab

Und so wird der NSA-Untersuchungsausschuss herauszufinden versuchen, was sich tatsächlich zugetragen hat. Eine gute Figur, das immerhin scheint sicher zu sein, haben beide Regierungen nicht gemacht.

Die deutschen Verhandlungsteilnehmer verweisen auf den 5. August 2013. Damals traf eine hochrangige deutsche Delegation von Geheimdienstlern und Regierungsbeamten in der NSA-Zentrale auf Alexander und Clapper. Die Deutschen wollten herausfinden, was die amerikanischen Partner in Deutschland treiben. Auf deutschem Boden müsse deutsches Recht gelten, hatte die Kanzlerin gesagt.

Von dem Gespräch existiert ein von der deutschen Seite erstelltes fünfseitiges Protokoll, und heute weiß man, dass manches von dem, was die US-Geheimdienstler damals sagten, nicht stimmte.

Etwa, dass die NSA nichts unternehme, "um deutsche Interessen zu schädigen" und dass Deutschland "kein Zielland" sei. Erst unter "Generelle Bemerkungen" findet sich dann ein Hinweis, den man möglicherweise als Verhandlungsangebot interpretieren könnte: Obama wisse, unter welchem Druck die deutsche Seite stehe. Man könne sich die "Bildung einer Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Abkommens" ähnlich dem Abkommen über den Horchposten Bad Aibling "mit Gültigkeit für ganz DEU vorstellen". Die deutsche Delegation soll überrascht gewesen sein, niemand, so heißt es, habe damit gerechnet.

Verhöre im Netz

Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat bisher unter Verschluss gehaltene Sitzungsprotokolle aus dem NSA-Untersuchungsausschuss veröffentlicht. Im Internet kann man seit Dienstag die Mitschriften der Verhöre auf 1380 Seiten nachlesen. Die Sitzungen waren zwar öffentlich, auch wurde aus den Befragungen berichtet, die kompletten Protokolle waren aber bisher nicht zugänglich. Nun finden sich in den Wikileaks-Dokumenten sogar einige Protokolle nicht öffentlicher Sitzungen. Wikileaks-Gründer Julian Assange betonte, nur durch öffentliche Kontrolle könne der Ausschuss Transparenz und Gerechtigkeit herstellen. Der Ausschuss-Vorsitzende Patrick Sensburg (CDU) kritisierte die Veröffentlichung scharf. Zeugen könnten sich vor ihrer Vernehmung nun detailliert über vorherige Befragungen informieren und ihre Aussagen vorbereiten. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, sieht durch Veröffentlichungen geheimer Unterlagen über die Spähaffäre sogar die innere Sicherheit bedroht. Dass seit Monaten "vertraulichste und geheime Informationen in den Medien kursieren" sei aus seiner Sicht "ein Skandal", sagte Maaßen dem Südwestrundfunk. Er forderte, "dass diese Vorgänge auch strafrechtlich aufgearbeitet werden". SZ

In dem Bad Aiblinger Abkommen sagten die Amerikaner 2002 zu, sich beim gemeinsamen Betrieb der Abhöranlage an deutsches Recht zu halten. Heute steht fest, dass die Amerikaner den BND in Bad Aibling hereingelegt haben und ein eigenes Spiel versuchten.

Aus all dem Ungefähren wurde Tage später bei einem Auftritt des damaligen Kanzleramtsministers Pofalla in Berlin das Angebot eines No-Spy-Abkommens. Ein Abkommen ist eine Vereinbarung zwischen Institutionen. Eine Abmachung, ein Vertrag. Aber an keiner Stelle des Protokolls findet sich eine Formel, die Pofallas Erklärung deckt. Und Clapper hatte betont, er könne keine Ad-hoc-Entscheidung treffen. Es sei eine politische Entscheidung. Er müsse andere einbeziehen.

Dass Pofalla kräftig übertrieben hatte, wurde selbst in deutschen Verhandlungskreisen damals so gesehen. In Wahlkämpfen ist das mit der Wahrheit so eine Sache, aber im Parlament müssen verantwortliche Politiker die Wahrheit sagen.

In der Antwort auf eine kleine Anfrage der SPD zu dem Komplex finden sich angebliche konkrete Zusicherungen der NSA, die das Kanzleramt auflistete: keine Verletzung der jeweiligen nationalen Interessen, keine gegenseitige Spionage, keine wirtschaftsbezogene Ausspähung, keine Verletzung des jeweiligen nationalen Rechts.

Mit den angeblichen Zusicherungen war es nicht weit her. Aber: Woher stammen all diese Formeln, die in dem Gespräch in der NSA-Zentrale keine Rolle spielten? Das Kanzleramt meint, die Antwort auf die Anfrage sei wahrheitsgemäß gewesen: Die US-Seite habe doch ein Abkommen nach dem Vorbild von Bad Aibling angeboten - und dort würden sich solche Zusicherungen finden.

Amerikaner lediglich zur Erörterung eines Abkommens bereit

Eine wichtige Rolle bei all dem Gefeilsche spielte BND-Präsident Gerhard Schindler. Im September 2013 reiste er mit dem Auftrag von Pofalla nach Washington, das bereits verkündete No-Spy-Abkommen auf den Weg zu bringen. Eine solche Vereinbarung werde in Deutschland "sehr positiv aufgenommen", sagte Schindler, jetzt gehe es darum, auch einen unterschriftsreifen Entwurf auszuarbeiten. Clapper blieb vorsichtig. Man sei bereit zur "Erörterung eines solchen Abkommens". Die Deutschen sollten doch mal einen Entwurf machen. So steht es im deutschen Protokoll über die Reise.

Clapper betonte, dass er nicht einmal als "Director National Intelligence" (DNI) Prokura für eine Unterschrift habe. Ein solches Abkommen würde auch "einen intensiven Abstimmungsprozess innerhalb der US IntCOM (Intelligence-Community der USA, die Red.) sowie die Zustimmung der politischen Entscheidungsträger" erfordern. Die CIA winkte bei Schindler gleich ab - sie würde kein No-Spy-Agreement unterschreiben.

Alexander gilt zwar als echter Freund der Deutschen, aber auch er konnte nichts zusagen. Die Entscheidung liege bei der Politik. Sein Stellvertreter Chris Inglis wurde deutlicher. In einem Protokoll des BND steht: "I. ergänzte, dass die Formulierung no-spy-agreement viele erschrecke." Eine Kopie dieses Berichts ging an das Bundeskanzleramt. Vier Monate später, im Januar 2014, wurde der Begriff No-Spy in der Regierungszentrale zu den Akten gelegt und gegen die schwammige Formulierung "Kooperationsabkommen" ausgetauscht. Im Auswärtigen Amt (AA) übrigens sahen manche Diplomaten den Etikettenwechsel mit Genugtuung: "Wir sollten sicherstellen, dass der Begriff No-Spy-Abkommen nicht mehr verwendet wird", hieß es schon früh im Amerika-Referat des AA.

Die Spionageaffäre des Bundesnachrichtendienstes (BND)
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