Vorschlag-Hammer:Sentimentalitäten

Es gibt Anzeichen, dass sich das antiquierte enzyklopädische Ausstellungssystem etwas aufweicht. In den Pinakotheken beispielsweise mischt man der Sanierungsnot gehorchend die Bestände an alter Kunst mit zeitgenössischer

Von Christoph Wiedemann

Daniel Spoerri, das große alte Spielkind der Kunst, kultivierte die Marotte, alle zehn Jahre sein Leben durch radikale Ortswechsel neu zu ordnen. Immer wenn er dabei in eine neue Stadt kam, beschenkte er diese mit einer Ausstellung, in der er seinem neuen Wohnort eine Art Spiegel vorhielt. "Musee sentimental" nannte er das. Aus den Kunst- und Geschichtssammlungen der jeweiligen Stadt, aber durchaus auch mal aus dem Krematorium oder aus einem Kriminalmuseum suchte er Gegenstände zusammen, die mit Geschichten verbunden waren, die im kollektiven Bewusstsein der Bewohner immer noch nachhallten. Das Resultat - so gesehen als er 1990 von München nach Basel in die Schweiz zurückkehrte - war umwerfend. Das Psychogramm einer Stadt lag da offen. Neben einem von Holbein entworfenen Renaissance-Prunktisch für den Rat der Stadt lag die mumifizierte Leiche einer Nonne, die in einem Salzlager der Barfüßerkirche gefunden worden war. Untersuchungen ergaben, dass sie - großer Aufreger damals - Syphilis hatte. Hüftprothesen und Herzschrittmacher, die beim Einäschern Verstorbener übrig geblieben waren, lagen neben dem ausgestopften ersten Zebra, das im 19. Jahrhundert im Baseler Zoo zu sehen gewesen war. Das Grandiose an diesem exotischen Sammelsurium: Die Dinge brachten sich gegenseitig zum Sprechen. Und einem Fremden, wie mir damals, eröffneten sie den intuitiven Zugang zum Sentiment der reichen alten Bürgerstadt zwischen den drei Ländern am oberen Rhein.

Was das mit heute und/oder München zu tun hat? Es gibt Anzeichen, dass sich das antiquierte enzyklopädische Ausstellungssystem etwas aufweicht. In den Pinakotheken beispielsweise mischt man der Sanierungsnot gehorchend die Bestände an alter Kunst mit zeitgenössischer. Auf Herrenchiemsee zeigt man jetzt zum dritten Mal mit Königsklasse III im Schloss von Ludwig II. Pop- und Minimal Art und Malerei von Baselitz und Gerhard Richter. Und kommende Woche von Dienstag, 19. Mai an präsentiert sich die Sammlung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus neu geordnet. Unter dem schlichten Titel Kunst nach 1945 im Lenbachhaus darf man einige neue Schwerpunktsetzungen erwarten. Aber auch ein Exotikum der speziellen Art. Das Lenbachhaus hat den "Laden" des Künstlers Hans-Peter Feldmann erworben, in dem der seit 1975 ein Panoptikum zwischen Kitsch und Kunst verkauft und angesammelt hatte. Eine Biografie geronnen zum musealen Environment.

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