Imam Abdul Kamouss:Gut gläubig

Der salafistische Prediger Abdel Hadime Kamouss aufgenommen am Sonntag 19 06 2011 in Berlin in der

Eine Stimme, weich wie ein Teppich: Der Imam Abdul Kamouss sagt sich heute von den Salafisten los: "Ich habe mich geändert."

(Foto: imago/CommonLens)

Der charismatische Prediger Imam Abdul Kamouss ist unter jungen Muslimen längst ein Star. Ein Fernsehauftritt machte ihn deutschlandweit bekannt. Von radikalen Ansichten habe er sich losgesagt, erklärt er. Kann er Vermittler sein, oder bleibt er ein Fundi?

Von Matthias Drobinski, Berlin

Abdul Kamouss hat eine schöne Stimme, weich wie der Teppich ist sie und füllt doch den Raum der Moschee. Im Islam hat die Stimme eine große Bedeutung. Der Koran, die Gebete gehören vorgetragen, und je kunstfertiger das geschieht, umso größer ist das Werk des Glaubens. "Preis sei Dir, o Allah!" So beginnt das Gebet. 60 Männer stehen da, das Gesicht Richtung Mekka, werfen sich nieder in großer Gemeinschaftsbewegung. Kamouss führt sie an, auf dem Kopf trägt er einen weißen Turban, ein weiter, grauer Kapuzenmantel lässt die schmale Gestalt breiter aussehen, als sie es in Wirklichkeit ist.

Abdel Kamouss, das ist jener Imam, der Ende September vor einem Millionenpublikum mit erhobener Stimme im Fernsehen alle niederredete - den Moderator Günther Jauch, den damaligen Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) und den CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach. Es hagelte Empörung - "Quassel-Imam" nannte ihn die Bild-Zeitung. Es gab aber auch Anerkennung bei Muslimen: Endlich einmal zeigt es einer diesen Leuten, die immer über uns reden und nie mit uns.

Ein eloquenter Fundi?

Wer ist dieser Kamouss? Ein frommer Mann, der die Ehre der Muslime verteidigte? Ein eloquenter Fundi? Einer, den man besser ignoriert, weil er nicht einer jener muslimischen Aufklärer ist, die sich die nichtmuslimische Öffentlichkeit so dringend wünscht? Oder einer, den man zum Verbündeten gewinnen sollte, weil er diejenigen Muslime erreicht, die sonst bei den Militanten landen? Eine einfache Antwort gibt es nicht auf diese Fragen, das zeigt ein Abend mit dem Prediger.

An diesem Freitag tritt er in der Bilal-Moschee in Berlin-Wedding auf. Pakistanische Studenten haben einst die Lagerhalle im Hinterhof mit Fichtenholz ausgekleidet, man spricht hier deutsch. Der Vorstand der salafistisch dominierten Al-Nur-Moschee hat Kamouss hinausgeworfen. 17 Jahre hat der mittlerweile 37-Jährige in jener Moschee gepredigt, in der immer wieder Hassprediger auftreten, über deren Schließung inzwischen in Berlin diskutiert wird.

Man habe sich voneinander entfernt, sagt Kamouss - der Auftritt bei Jauch sei der letzte Anlass gewesen. Nun ist er in verschiedenen Moscheen zu Gast. Im Gebetsraum der Technischen Universität Berlin redet er vor bis zu 500 Zuhörern. Gerade für junge Muslime ist er ein Star.

Er wolle nicht mehr der salafistische Prediger sein

Das war schon vor seinem Fernsehauftritt, in einer Weise jedoch, von der er heute sagt, sie sei ihm nicht mehr recht. Da galt er als einer, der Woche für Woche im Triumph Menschen zum Islam bekehrt, junge Leute vor allem. Vor fünf, sechs Jahren porträtierten ihn die Journalisten als "Moslem-Macher", der in der gleichen Liga spielt wie Pierre Vogel, der Ex-Boxer und salafistische Fundi, als gefährlichen Verführer, der freundlich daherkommt und Schlimmes im Sinn hat.

Eine Stunde vor der Ansprache hat Kamouss zum Gespräch gebeten. Er will reden, klarstellen, dass es falsch ist, das Bild, dass es falsch geworden ist. Er will nicht mehr der salafistische Prediger sein, der Distanz zur westlichen Demokratie predigt, Gewalt und Frauenverachtung inklusive. Zwei Stühle zieht er in eine ruhige Ecke zwischen dem Gebetsraum für die Männer und dem für die Frauen. Sein zehnjähriger Sohn bringt Tee - Kamouss ist mit einer deutschen Frau verheiratet und hat vier Kinder. "Ich bin älter und reifer geworden," sagt er.

Sein Geld verdient er als Diplomingenieur

Er predige ehrenamtlich, stellt er klar. Sein Geld verdient er als Diplomingenieur. Religiös sei er schon damals in Rabat gewesen, in Marokko, als Jugendlicher. Er betete, er rezitierte den Koran. Er eignete sich an, was die Alten predigten, sie war streng, die Religion, in die er hineinwuchs. In Deutschland, als junger Student, fand er Gleichgesinnte, die wetteiferten, wer noch strenger den Islam lebte und verkündete, gegen die Welt da draußen, die Feinde der wahren Religion.

Aus dieser Zeit, dem Jahr 2002, stammt das Video, in dem Kamouss erklärt, dass eine gute muslimische Frau ihr Haus nicht ohne Erlaubnis des Ehemannes verlässt. In dieser Zeit beginnt er in der Al-Nur-Moschee zu predigen, später schließt er Bekanntschaft mit Denis Cuspert, der vom Rapper zum Hassprediger und dann zum Terroristen wird. Es ist die Zeit, in der der Verfassungsschutz über ihn urteilt, er sei zwar formal gegen Gewalt, trotzdem gehöre er zu den Radikalisierern.

"Ich habe mich geändert", sagt Kamouss abermals. Zu dem Video mit den Sätzen über die Frauen, das ihm Jauch vorhielt, hat er eine gewundene Erklärung nachgereicht: "Grundsätzlich" dürfe eine Frau "allen Erledigungen des Alltags nachgehen, ohne bei jeder Kleinigkeit ihren Mann fragen zu müssen." Was das heißt? Dass die Frau in wichtigen Dingen sich mit ihrem Mann abspricht, sagt Kamouss vage. Und Denis Cuspert? "Irgendwann habe ich ihn nicht mehr erreicht," sagt Kamouss, "ein tragischer Fall."

Zeit fürs Gebet, für die Predigt. Dicht an dicht sitzen die Zuhörer, die Tür zum Frauenraum öffnet sich, ein Mädchen irrt durch die Reihen, "was suchst Du, Schwester?" wird sie streng gefragt. Einige der Männer tragen weiße Häkelkappen, haben die rechte Hand aufs Knie gelegt, der ausgestreckte Zeigefinger wackelt, so soll der Prophet gebetet haben, so bekennen Muslime, dass es nur einen Gott gibt, so lehren die Salafisten ihre Anhänger zu beten.

Eine fromme Sonderwelt, in der der Mann Zauselbart trägt

Heute redet Kamouss übers richtige Fasten. Er sitzt vor der Holzwand, die Hände immer in Bewegung. Er wählt einfache Worte. Richtig fasten heißt, sich an die Regeln zu halten, aber auch, Übertreibungen zu vermeiden, sagt er. Übertreibungen sind nicht gut. König David fastete einen Tag, und einen Tag aß er; härter als David, der Prophet, darf niemand zu sich sein. Es geht ja nicht um die Leistung, es geht darum, die Seele rein zu halten, dass der Teufel keine Chance hat, von ihr Besitz zu ergreifen.

Der Teufel. Überall lauert der Scheitan, davon ist Kamouss überzeugt. Eine falsche Bewegung, und der Abgrund zur Hölle tut sich auf. Das gilt für jene, die leben, als gebe es die Gebote des Glaubens nicht. Und es gilt für die Überheblichen, die werden wollen wie Allah. Die Zuhörer nicken. "Nächstes mal geht es über die schlimmen Menschen, die im Namen Allahs morden," kündigt Kamouss an und hebt die Stimme.

Der IS verrate den Islam

Fromm, aber gegen Gewalt, das seien seine Maximen, sagt er. Der IS verrät in seinen Augen den Islam, wie jeder, der Hass und Gewalt im Namen Gottes predigt. Diese Leute hat der Teufel gekapert, deshalb sind sie für ihn keine Muslime mehr, sondern "verdorbene Seelen", wie er sich ausdrückt, dem Tier näher als dem Menschen, kein Vergleich ist ihm hier zu stark. Das erspart ihm die Auseinandersetzung mit der eigenen Religion und ihren Abgründen, kann man da kritisch anmerken. Man kann aber auch sagen: Es ist eine Sprache, die seine Zuhörer verstehen.

Immer wieder nimmt er sich die Rhetorik der Salafisten vor. Behauptet zum Beispiel Pierre Vogel, die Muslime seien die "neuen Juden" im Land, postet er auf seiner Facebook-Seite einen Aufsatz, der erklärt, warum der Vergleich unsäglich ist. Er lehnt die unter strenggläubigen Muslimen verbreitete Meinung ab, dass Frauen und Männer sich nicht die Hand zu geben haben, das sei nicht von der Überlieferung gedeckt. Vom islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen hält er allerdings auch wenig: Da steckt ihm zu viel Staat drin.

So, wie er auch die großen muslimischen Verbände für zu angepasst hält. Seine Vision ist eine fromme Sonderwelt, in der ein Mann Zauselbart trägt und eine Frau Kopftuch, die aber doch freundliche Beziehungen zur Welt da draußen hält.

Was macht ihn zum Staatsfeind?

Das mag man mit guten Gründen ablehnen - aber macht das Kamouss zum Staatsfeind? Glaubt mir doch, sagt er. Bewusst spricht er auch mit liberalen Muslimen, engagiert sich im interreligiösen Dialog. "Ich erreiche Jugendliche, die sonst keiner erreicht", sagt Kamouss, "viele, die bislang in die Al-Nur-Moschee gingen, kommen jetzt zu mir."

Der einstige Berliner SPD-Innensenator Erhart Körting habe das erkannt, sagt der Imam. Der hätte sich auch mit den strengen Muslimen getroffen - und ihnen klar gesagt, wie wichtig Demokratie, Toleranz und eine offene Gesellschaft seien. Das habe ihn beeindruckt. Das sei auch sein Wendepunkt gewesen.

Ein halbes Dutzend Jugendliche ist da

Die Predigt ist um, ein halbes Dutzend Jugendliche bleibt im Raum. 15, 16 Jahre sind sie, eine Clique aus der Nachbarschaft, die, ehe sie in die Moschee hier kamen, gemeinsam die Zeit totgeschlagen haben. Vorher habe ich mir keine Gedanken gemacht, sagt einer. Jetzt hat der Tag seinen Sinn, der andere. Und alle kümmern sich um Isa, der als unbegleiteter Flüchtling in Berlin gestrandet ist. "Das habe ich jetzt nicht organisiert", sagt Kamouss stolz. Ein stiller junger Mann steht auch da, der Imam geht auf ihn zu. "Schön, dass du gekommen bist", sagt er. "Und dein Freund?" Stummes Kopfschütteln. Der wird weiter in die Al-Nur-Moschee gehen.

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