Gespräch:"Es geht nicht um die Schuld"

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Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, schätzt das offene Gespräch und beschwört lieber die Werte von Freiheit und Demokratie, als anzuklagen

interview Von Johannes Korsche

Romani Rose hat eine besondere Beziehung zu Dachau: Mit einem Hungerstreik an der Versöhnungskirche machte er 1980 auf den Völkermord an den Sinti und Roma und die nach dem Krieg fortgesetzte Diskriminierung der Minderheit aufmerksam - und erlangte nationale und internationale Bekanntheit. Rose verlor 13 enge Verwandte im Holocaust, darunter seine Großeltern. 1982 gründete Romani Rose den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma mit, dessen Vorsitzender er seitdem ist. Er bewirkte außerdem die Einrichtung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma 1997 in seiner Heimatstadt Heidelberg Die SZ sprach mit dem 68-Jährigen über die Situation der Sinti und Roma in Deutschland, Erinnerungsarbeit und die Schuldfrage.

SZ: Herr Rose, Sie waren bei der Gedenkfeier anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des KZ Dachau, der Gedenkveranstaltung an den Dachauer Todesmarsch und beim Gottesdienst in der Versöhnungskirche zum Kriegsende anwesend. Ist es für Sie nicht langsam genug mit dem Gedenken?

Romani Rose: Diese Gedenktage sind nicht nur Gedenktage für die Opfer, es sind Gedenktage für unsere Demokratie. Das müssten wir in unserem Bewusstsein neu sortieren. Es ist nicht so dass das, was damals geschehen ist, nur der Vergangenheit angehört. Das sehen wir, wenn Rechtsextreme in Deutschland aufmarschieren, Bürgermeister Angst um ihre Familien haben. Wenn wir an den NSU denken, dann wissen wir, wie wichtig dieses Gedenken ist. Es geht bei dem Gedenken nicht um die Schuldfrage - an wen sollte ich die Schuld denn übertragen? Es geht darum, dass wir gemeinsam wissen müssen, was die rassistische Ideologie Europa angetan hat. Sie hat uns in den Krieg gestürzt und das müssen wir in der Zukunft gemeinsam verhindern. Wir dürfen den Rechtsextremen keine Chance mehr lassen.

Am Schluss der Gedenkveranstaltungen stand ein Gottesdienst in der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte. Was hat Ihnen besonders gut gefallen?

Beim Empfang hatte jeder Beteiligte die Möglichkeit über seine persönlichen Erfahrungen zu sprechen. Dass man unterschiedliche Stimmen zu einem Thema hören kann, ist Teil der Demokratie. Ich bin tief beeindruckt von den Zeitzeugen, die bei den Veranstaltungen zu Wort kamen. Der Überlebende Max Mannheimer ist ein großes Beispiel dafür, dass man trotz der eigenen Geschichte ganz offen aufeinander zugehen kann, ohne dem Gegenüber eine Schuld zu übertragen. Das finde ich sehr wichtig. Weil ich glaube, dass die jüngeren Generationen nichts mit den Geschehnissen zu tun haben. Die Befreiung von den Nationalsozialisten hat uns Demokratie, Sicherheit, inneren und äußeren Frieden gebracht. Da hat mir die Rede, das Engagement und die Initiative für die Demokratie von Anna Dietze ( Mitglied des Freiraum Dachau , Anm. d. Red.) sehr gut gefallen.

Romani Rose, Jahrgang 1946, verlor 13 enge Verwandte im Holocaust. Von Jugend an kämpfte er für Entschädigung der KZ-Opfer. (Foto: Robert Haas)

Bei der Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers Dachau waren viele Überlebende anwesend, auch Sinti und Roma.

Dazu möchte ich gleich etwas sagen. Die Bundeskanzlerin, die ich sehr schätze, hat in ihrer Rede von der Schoah und der besonderen Verpflichtung in Bezug auf den Antisemitismus gesprochen, aber den eigenständigen Völkermord an den 500 000 Sinti und Roma vollkommen ausgeblendet. Das war für unsere Überlebenden wirklich schmerzhaft und für mich, ich kann nur sagen, unverständlich. Bei historischen Anlässen muss man auf die Einmaligkeit dieses Verbrechens eingehen. Die Einmaligkeit, dass Menschen nur auf der Grundlage ihrer biologischen Existenz, nur weil sie Sinti, Roma oder Juden waren, systematisch und planmäßig in ganz Europa aufgespürt und umgebracht worden sind. Deutsche Politik darf sich nicht nur dem Holocaust gegenüber den Juden verpflichtet fühlen, sondern muss auch den Opfern der Sinti und Roma einen eigenständigen Stellenwert im historischen Gedenken zugestehen.

Dafür traten Sie Ostern 1980 hier an der Versöhnungskirche eine Woche lang in den Hungerstreik.

Ja, aber nicht alleine. Unter den Teilnehmern waren auch fünf Überlebende, darunter einer meiner Onkel, an dem in Dachau medizinische Versuche durchgeführt worden waren. Im Rückblick denke ich, dass es viel dazu beigetragen hat die nationale und die internationale Aufmerksamkeit auf das Schicksal der Sinti und Roma zu lenken. Das war vollkommen vergessen. Der Völkermord an unserer Minderheit mit 500 000 Opfern ist bei historischen Anlässen mehr oder weniger ein Anhängsel der Schoah gewesen. Dabei wurde der Völkermord an den Sinti und Roma mit einer eigenständigen Bürokratie organisiert, angegliedert an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin. Es hatte die Aufgabe den letzten Angehörigen unserer Minderheit aufzuspüren. Sogar "Achtelzigeuner" - dass heißt, dass unter acht Großeltern ein Sinti oder Roma ist - wurden dem Vernichtungsprogramm zugeführt. Die politische Anerkennung dieses Völkermordes war eine Forderung des Hungerstreiks, die 1982 vom damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt umgesetzt worden ist. Außerdem ging es um die Beendigung von rassistischer Bürokratie und der Sondererfassungen sowie um die individuelle Entschädigung der letzten Überlebenden. Viele Überlebende waren da schon verstorben.

Was hat sich denn seitdem geändert? Sehen Sie Fortschritte in dem Umgang mit der Minderheit der Sinti und Roma?

Es ist sehr viel Positives geschehen, es gibt das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin. Wir sind seit 1997 als nationale Minderheit anerkannt. Die Bundesrepublik hat das Rahmenübereinkommen zum Schutz und zur Förderung der nationaler Minderheiten ratifiziert. In vielen Städten und Gemeinden gibt es Gedenktafeln und Denkmäler, die an das Schicksal ehemaliger Mitbürger unserer Minderheit erinnern. Wir haben Landesverbände, sind ähnlich organisiert wie der Zentralrat der Juden. Aber in den neuen Bundesländern sind wir immer noch am Aufbauen. Es bedarf dazu noch einiger Zeit, weil die Angehörigen unserer Minderheit, die in der DDR gelebt haben, erst den Mut dazu finden müssen, sich als Angehörige der Minderheit zu bekennen. Und da spricht momentan, wenn ich diese Aufmärsche in Dresden und in anderen Städten sehe, vieles dagegen.

An der Versöhnungskirche machte Romani Rose auf den Völkermord an den Sinti und Roma aufmerksam. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Sie denken an das Wiedererstarken rechtsextremer und rechtspopulistischer Bewegungen wie Pegida.

Sehen Sie, der Antisemitismus hat eine jahrhundertealte Geschichte in Europa, genauso ist es mit dem Antiziganismus. Wir haben momentan in vielen europäischen Ländern einen erschreckenden Zulauf bei rechtsextremen Parteien. Ich erkläre mir das so: Wenn der Staat in unruhige Fahrwasser gerät, haben diese beiden Minderheiten schon immer die Sündenbockfunktion übertragen bekommen. Bei unserer Minderheit wird das bis zum heutigen Tag fortgesetzt. Es zeigt sich wieder ein gewaltbereiter Antiziganismus, der schon einige Opfer gekostet hat: in Ungarn zum Beispiel in den Jahren 2008 und 2009 sechs Menschen, darunter ein fünfjähriges Kind. Das ist ganz einfach erschreckend. Sie haben mit Recht den Populismus angesprochen. Oftmals wird der aber von den demokratischen Parteien angestoßen. Dafür suchen die sich ein schwaches Glied in der Gesellschaft, meistens waren das die Sinti und Roma. Zum Beispiel bei der Diskussion um Asyl. Auch die öffentliche Debatte um sogenannte Armutsmigration wurde auf em Rücken unserer Minderheit ausgetragen.

Mit welchem Vorurteil wollen Sie denn am liebsten aufräumen?

Das Wichtigste ist, dass die Gesellschaft zur Kenntnis nimmt, dass wir eine 600- bis 700-jährige deutsche Geschichte haben. Dass wir hier ganz normal unseren Berufen nachgehen, wir sind Arbeiter, Angestellte, Akademiker und Künstler. Dass wir Teil dieser Gesellschaft sein wollen. Dass kulturelle und nationale Identität kein Gegensatz ist. Das darf auch nicht von der Politik zu einem Gegensatz gemacht werden. Sinti und Roma sind in Europa überwiegend integriert in die Gesellschaft.

Sie leben seit Ihrer Geburt in Heidelberg. Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie wieder nach Hause kommen?

Auf Zeit für meine Familie, für meine Freunde und um das Wetter ein bisschen zu genießen.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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