Todesstrafe für Boston-Attentäter:Wie es für Dschochar Zarnajew weitergeht

Lesezeit: 2 min

  • Der zum Tode verurteilte Boston-Attentäter Dschochar Zarnajew wird wohl bald in ein Hochsicherheitsgefängnis in Indiana verlegt.
  • Die Berufungsverfahren gegen seine Strafe werden nach Expertenangaben mehrere Jahre dauern.
  • Die US-Regierung hat seit mehr als zehn Jahren keine Hinrichtung vollstreckt; das US-Justizministerium überprüft zurzeit das Verfahren.
  • Die Zustimmung für die Todesstrafe nimmt unter Amerikanern seit einiger Zeit ab.

Von Matthias Kolb

Streng genommen ist das Urteil im Bostoner Terror-Prozess gegen Dschochar Zarnajew (Dzhokhar Tsarnaev) noch nicht gefällt: Es ist die Aufgabe von Bundesrichter George Toole Jr., die Todesstrafe gegen den 21-Jährigen zu verkünden. Dies gilt jedoch als Formsache. Der Richter müsse der "Empfehlung" der Jury folgen, sagt der Rechtsexperte David Hoose dem Boston Globe.

Toole hat noch keinen Termin festgelegt, da zunächst die Staatsanwälte, Verteidiger sowie die Opfer die Möglichkeit bekommen, Erklärungen abzugeben. Theoretisch könnte auch Zarnajew ( hier ein Porträt des nun verurteilten Attentäters) vor Gericht sprechen - bisher hatte er im Prozess aber eisern geschwiegen und kaum äußerlich wahrnehmbare Regungen gezeigt.

Todesstrafe für Boston-Attentäter
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Nach der Urteilsverkündung wird Zarnajew aus der Militäreinrichtung Fort Devens in Massachusetts in ein Hochsicherheitsgefängnis in Terre Haute in Indiana verlegt werden. Hier sitzen alle Amerikaner ein, die von Bundesgerichten zum Tode verurteilt wurden. Sämtliche Prozessbeobachter gehen davon aus, dass Zarnajews Anwältin Judy Clarke in Berufung gehen wird: Sie wird wohl argumentieren, dass ihr Mandant in Boston kein faires Verfahren erhalten konnte, weil nahezu alle Bewohner der Ostküsten-Stadt und der umliegenden Region jemand kennen, der bei den Anschlägen am 15. April 2013 getötet oder verletzt wurde.

Clarke ( hier ein Porträt von NPR) ist eine überzeugte Gegnerin der Todesstrafe. Ihr ist es bereits gelungen, offensichtlich Schuldige wie den Una-Bomber Ted Kaczynski vor der Hinrichtung zu bewahren. Ein weiteres Argument für die Berufung könnte auch lauten, dass sich die aus sieben Frauen und fünf Männern bestehende Jury nur 14 Stunden beraten hat - dies ist nach Ansicht mancher Experten eine sehr kurze Zeit für einen solch emotionalen Fall ( mehr bei der New York Times).

Der Weg durch die juristischen Instanzen dürfte mehrere Jahre andauern. Sollten alle Einsprüche gegen die Entscheidungen von Richter Toole im Bostoner Prozess vergeblich sein, könnte der US-Bürger Zarnajew vor Gericht auch grundlegende Fragen aufwerfen: Denkbar wäre es etwa, die Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe als solche prüfen zu lassen - oder zu argumentieren, dass er nicht hinreichend juristisch beraten worden sei. George Kendall, ein erfahrener Anwalt in Prozessen rund um die Todesstrafe, hält es für möglich, dass sich die Berufungsverfahren mehr als ein Jahrzehnt hinziehen könnten.

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Mit seinem Bruder verübte er 2013 einen Anschlag auf den Boston Marathon. Drei Menschen wurden getötet, mehr als 260 verletzt. Nun wurde der überlebende Attentäter Dschochar Zarnajew zum Tode verurteilt. Wie bewerten Sie die Entscheidung des US-Gerichts?

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Warum die US-Regierung zurzeit niemanden exekutiert

Selbst wenn die Todesstrafe für Zarnajew nicht gekippt wird, ist es keineswegs sicher, dass der 21-Jährige bald hingerichtet wird. Seit der Wiedereinführung der Todesstrafe auf Bundesebene 1988 wurden nur drei von 64 Verurteilten per Giftspritze getötet - darunter Timothy McVeigh im Jahr 2001, der für den Bombenanschlag 1995 in Oklahoma City mit 168 Toten verantwortlich war.

Momentan überprüft das US-Justizministerium auf Anweisung von US-Präsident Barack Obama das vorgeschriebene Prozedere rund um mögliche Hinrichtungen. Auslöser war ein Vorfall in Oklahoma, bei dem der Todeskandidat Clayton Lockett 43 Minuten lang qualvoll auf der Liege hin und her zuckte, bevor er an einem Herzinfarkt starb. Die Behörden hatten einen neuen Giftcocktail ausprobiert, da sich europäische Hersteller seit einiger Zeit weigern, die nötigen Stoffe in die USA zu liefern. Sie begründen dies mit der Anti-Folter-Richtlinie der EU ( Hintergründe in diesem SZ-Artikel).

Nach Angaben eines Sprechers verfügt das US-Justizministerium zurzeit über keine zugelassenen Giftstoffe. "Washington hat hier keinen leichteren Zugang als einzelne Bundesstaaten. Wenn es diese Mittel nicht gibt, dann gibt es sie nicht", sagt Robert Dunham von der Organisation Death Penalty Information Center der Washington Post. Die Frage, inwieweit die neuen Giftmischungen den Todeskandidaten zu starke Schmerzen zufügen, wird momentan auch vor dem Obersten Gerichtshof in Washington verhandelt.

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Auch wenn noch immer eine Mehrheit der Amerikaner die Todesstrafe befürwortet, sinkt die Zustimmung kontinuierlich. Gerade jüngere Bürger und Anhänger der Demokraten hegen immer öfter Zweifel am capital punishment.

Sollte dieser gesellschaftliche Meinungsumschwung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten anhalten, dann könnte Dschochar Zarnajew noch auf etwas anderes hoffen: US-Präsidenten haben das Recht, zum Tode Verurteilte zu begnadigen.

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