Rückversicherer:Ratlose Meister des Risikos

Das Geschäftsmodell der Konzerne steht auf der Kippe, denn die Nachfrage sinkt und der weltweite Wettbewerb nimmt zu. Ein Patentrezept haben die Unternehmen auf einem Symposium nicht gefunden.

Von Patrick Hagen, Köln

Sie reisen aus München, Zürich, Bermuda, London und Katar an. Hunderte Chefs und leitende Mitarbeiter großer Versicherer und Rückversicherer zwängen sich jedes Jahr für einen Nachmittag in die engen Hörsaalreihen der stickigen Aula in der Fachhochschule Köln, Schulter an Schulter mit Studenten. Am Eingang gibt es eine kleine Flasche Wasser, damit halten alle fast vier Stunden aus und hören sich aufmerksam Vorträge und Diskussionen an. Eintritt kostet das Ganze nicht.

In diesem Jahr war der Andrang besonders groß - 530 Teilnehmer pilgerten zum Rückversicherungssymposium des Instituts für Versicherungswesen. Das große Interesse hat Gründe. Die Rückversicherer, die intellektuellen Meister des Risikos, die Experten im Klimawandel und in allen Arten von Katastrophen, die Großhändler der Ware Versicherungsschutz - sie sind zutiefst verunsichert. Denn ihr Geschäftsmodell steht auf der Kippe. Da sind intelligente Antworten gefragt.

Rückversicherer sind die Spezialisten für die ganz großen Risiken. Sie nehmen Erstversicherern wie Allianz oder Zurich, die an Privatleute und Unternehmen Versicherungsschutz verkaufen, die Belastung durch besonders hohe Schäden ab. Das sind Naturkatastrophen wie Stürme, Überschwemmungen oder Erdbeben, aber auch Feuer in Industrieanlagen oder Milliarden an Haftpflichtschäden durch Medikamente oder fehlerhaftes Baumaterial.

Die Rückversicherung ist eine clevere Erfindung. Denn durch sie werden große Risiken global gestreut und deshalb versicherbar. Wenn ein Hurrikan die US-Ostküste trifft, kann das sehr teuer werden. Der Sturm Katrina sorgte 2005 für Schäden von 75 Milliarden Dollar. Und doch sind nur sehr wenige Versicherer wegen des Sturms pleitegegangen - fast alle hatten ausreichend Rückversicherungsschutz. Die Schäden landeten in kleinen, verdaubaren Häppchen in den Schadensbilanzen von Munich Re, Swiss Re, Hannover Rück und vielen anderen.

Doch jetzt stottert der Wachstumsmotor der Rückversicherung. Dafür sorgt eine Reihe von Faktoren: Die Belastung der Versicherer durch Großschäden geht zurück. So zahlte die Branche weltweit 2014 für Schäden aus 980 Naturkatastrophen 31 Milliarden Dollar aus - zwei Milliarden Dollar weniger als im Durchschnitt der vergangenen 30 Jahre. Das hat den Rückversicherern Riesengewinne gebracht, reduziert aber auch die Neigung der Erstversicherer, hohe Rückdeckungen einzukaufen. Ohnehin stagniert die Nachfrage. Denn in den vergangenen beiden Jahrzehnten sind Versicherungskonglomerate wie Allianz und Generali sehr groß geworden. Sie können jetzt weltweit viele Risiken selbst ausgleichen.

Die Großen streben in den Markt mit Erstversicherern. Und machen so ihren Kunden Konkurrenz

Aber besonders negativ wirkt sich aus, dass das Angebot steigt. Die Rückversicherer haben in den vergangenen zehn Jahren gut verdient und schwimmen in Kapital. In den Zeiten der Niedrigzinsen haben die vergleichsweise guten Zahlen neues Kapital angelockt - Pensionsfonds und Hedgefonds sichern Risiken mit Katastrophenanleihen ab. "Die Rückversicherer weltweit verfügen über ein Gesamtkapital von 575 Milliarden Dollar, das sie ins Verdienen bringen müssen, sechs Prozent mehr als zu Beginn des Jahres 2014", rechnet Lehrstuhlinhaber Stefan Materne beim Symposium vor. Dazu kommen 64 Milliarden Dollar an alternativem Kapital, 28 Prozent mehr als vor einem Jahr. Bis 2018 werden es 150 Milliarden Dollar sein, erwartet der Spezialmakler Aon Benfield.

Kein Wunder, dass jetzt im zweiten Jahr nacheinander die Preise drastisch sinken. Weil die Rückversicherer in den Vorjahren gut verdient haben und ihre Ergebnisse einen langen Nachlauf enthalten, sind Gewinne, Dividenden und Aktienkurse immer noch sehr hoch. Aber wie lange noch?

Munich Re und Swiss Re antworten darauf, indem sie selbst das Geschäft mit großen Endkunden ankurbeln. Damit konkurrieren sie direkt mit ihren wichtigsten Kunden, den Erstversicherern. Munich Re-Vorstand Pina Albo verteidigt die Strategie. "Die Grenze zwischen den beiden Aktivitäten verschwimmt seit einiger Zeit", sagt Albo in der Fachhochschul-Aula. "Das gilt vor allem für das Geschäft mit Industrieunternehmen."

Mancher Rückversicherer glaubt, man müsse das Problem nur aussitzen. Und die ungeliebte Konkurrenz der Pensionsfonds werden sich verziehen, wenn es erst einmal einen Schaden der Größenordnung von Katrina gebe, und wenn die Zinsen wieder steigen - dann finden sie woanders bessere Anlagechancen.

Solchen Hoffnungen erteilt Dirk Lohmann vom Spezialanbieter Secquaero eine Absage. Lohmann war einst Vorstand bei Hannover Rück und Converium, jetzt berät er Pensionsfonds bei der Anlage in Rückversicherungsangeboten. "Ich glaube nicht, dass dieses alternative Kapital verschwinden wird", sagt Lohmann. Den Investoren gefällt besonders, dass die Katastrophenrisiken nicht direkt mit anderen Anlageklassen zusammenhängen. Fallen die Aktien oder Staatsanleihen, hat das keine Auswirkung auf die Rückversicherungspapiere. Ein solcher Ausgleich ist beliebt bei Pensionsfonds. Ein weiterer Grund: Angesichts der niedrigen Zinsen werden die Anleger noch lange auf der Suche nach alternativen Investments sein.

Tom Bolt aus der Führung des Londoner Versicherungsmarktes Lloyd's sieht die Zukunft vor allem in neuen Märkten. "In China gibt es mindestens zehn Städte, deren Risiken aus Naturkatastrophen und damit ihr Versicherungsbedarf jeweils so groß ist wie der von Florida." Florida ist zurzeit der größte Markt der Welt für Sturmdeckungen. "Diese Städte kaufen heute noch keinen Rückversicherungsschutz, 2020 wird das anders sein", sagt Bolt.

Ob das reicht, um die Zukunft vor allem kleinerer und mittlerer Anbieter zu sichern? Mancher Versicherungsmanager glaubt, dass nur ein wirklicher Großschaden die Branche vor weiteren Preisrückgängen schützen könnte. Ein Big Bang mit einem Gesamtschaden von 100 Milliarden Dollar oder mehr. Aber auch das bezweifeln Experten wie Lohmann. Selbst ein solches Mega-Ereignis wird ihrer Meinung nach den fundamentalen Trend nicht umkehren.

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