Irak:Wo sich den USA der Fortschritt entzieht

Boot prints of U.S. soldiers are seen at the nearly deserted Camp Adder, now known as Imam Ali Base, near Nasiriyah

Stiefelabdrücke amerikanischer Soldaten nach dem Abzug der US-Armee aus Camp Adder bei Nasiriya (Irak) im Jahr 2011

(Foto: REUTERS)

Die USA stecken im Irak fest, auch Barack Obamas Nachfolger wird sich damit herumschlagen müssen. Auf entscheidende Fragen gibt es bisher keine Antworten. Und die Kandidaten im aufziehenden Präsidentschaftswahlkampf klingen alles andere als ermutigend.

Kommentar von Nicolas Richter

Amerika steht für den Fortschritt, allerdings nicht überall. Als die Regierung Ronald Reagans Mitte der 1980er-Jahre den irakischen Diktator Saddam Hussein aufrüstete, kam gerade der erste, klobige Apple Macintosh auf den Markt. Dreißig Jahre später sind die Menschen mit schlanken iPhones unterwegs, aber die US-Regierung rüstet noch immer den Irak auf, zwar nicht mehr gegen die Schiiten in Iran, aber gegen sunnitische Terroristen. Wenn sich Fortschritt hier überhaupt irgendwo manifestiert, dann makabererweise darin, dass Amerikas neue Feinde iPhones und Twitter benutzen, um weltweit frische Rekruten anzuwerben.

Amerika steckt im Irak fest, und daran wird sich so schnell nichts ändern. Es wäre irreführend, den Irak das Vietnam der Republikaner zu nennen, denn Vietnam klingt nach Geschichte. Die ewige Verstrickung der USA im Irak dagegen ist leider auch Gegenwart und Zukunft. Sie symbolisiert, wie so ziemlich jedes Mittel amerikanischer Einflussnahme im Nahen Osten versagt hat: die Treue zu brutalen Diktatoren, die Invasion, der überstürzte Rückzug. In diesen Tagen erleidet auch die Taktik von Präsident Barack Obama einen Rückschlag. Obwohl die USA seit bald einem Jahr die Terrorarmee des sogenannten Islamischen Staats bombardieren, ist den Extremisten nun die irakische Stadt Ramadi in die Hände gefallen.

Hätten Sie den Irak 2003 angegriffen, nach allem, was man damals wusste?

Wie sehr dieser endlose Konflikt die USA quält, offenbart der beginnende Wettbewerb um das Weiße Haus. Amerikas nächster Präsident, oder künftige Präsidentin, soll die USA auf die 2020er-Jahre vorbereiten, aber der Wahlkampf klingt jetzt eher nach 2004. Die zurzeit meistgestellte Frage lautet: Wären Sie 2003 in den Irak einmarschiert, wenn Sie gewusst hätten, was man heute weiß?

Die Frage ist schlecht gestellt, denn heute weiß jeder, dass Saddam Hussein keine Massenvernichtungswaffen besaß, und die große Mehrheit in Amerika glaubt längst, dass der Krieg ein Fehler war. Interessanter wäre die Frage: Hätten Sie den Irak 2003 angegriffen, nach allem, was man damals wusste? Würde Amerikas nächstes Staatsoberhaupt also überhaupt noch auf einen Angriffskrieg setzen mit einer Besatzungsarmee und gegen den Willen der Vereinten Nationen und der engsten Verbündeten?

Diese Frage ist nicht rückwärtsgewandt, sie weist in die Zukunft. Sie prüft das Urteilsvermögen jener, die das letzte Wort darüber haben möchten, wo und wie sich die USA künftig militärisch einmischen. Leider waren die Antworten der vergangenen Tage nicht gerade ermutigend. Selbst der vermeintlich besonnene und seriöse Kandidat Jeb Bush geriet in Erklärungsnot, sagte Ja, Nein, Vielleicht.

Die Amerikaner fürchten sich vor neuen Niederlagen

Bush und viele seiner Rivalen mögen schlecht vorbereitet sein, vielleicht sind sie auch führungsschwach oder, schlimmstenfalls, kalt berechnend. Aber ihre Unsicherheit verrät auch, wie ambivalent Amerikas Wähler heute über Krieg denken. So sehr sich rechte Politiker auch darin überbieten, eine neue amerikanische "Stärke" zu propagieren, so wenig verlangen sie, den Irak aufs Neue mit US-Truppen zu besetzen oder in Syrien einzumarschieren. Der letzte Irak-Krieg hat Amerika verunsichert und desillusioniert: Das Land scheut neue Abenteuer, es scheut die Kosten, und vielleicht fürchtet es sich mehr noch vor neuen, peinlichen Niederlagen.

Nach den Gesetzen des US-Wahlkampfs verbrauchen sich Themen schnell. Eine Fangfrage taucht auf, ein paar Leute blamieren sich, dann verlangt der Nachrichtenzyklus schon nach frischer Ware. Aber die entscheidenden Fragen zum Irak und zum Nahen Osten sind noch nicht gestellt. Sie lauten: Unter welchen Bedingungen würde der US-Präsident Bodentruppen schicken? Unter welchen Umständen wäre er zu Alleingängen bereit? Wie würde der Präsident reagieren, falls Iran ein Atom-Abkommen missachtet? Wie ließe sich ein Rüstungswettlauf in Nahost verhindern?

Vermutlich werden die USA nie einen Sieg gegen den Terror ausrufen können

Wenn für die nächste Präsidentschaft etwas vorhersehbar ist, dann dies: Das nächste Staatsoberhaupt wird sich mit dem Irak und Iran herumschlagen. In diesem Umfeld gibt es keine Maximallösungen, und es ist wichtig, den feinen Unterschied zu kennen zwischen Stärke und Größenwahn, zwischen Konsequenz und Hybris.

Obama ist dieser Unterschied bewusst. Er sieht sich als Helfer der irakischen Regierung, der Verbündete braucht, nicht als einsamen Kolonialherrn. Er dämmt den Terror ein, weiß aber, dass man einen Sieg vermutlich nie wird ausrufen können. Wer all dies anerkennt, der beherzigt eine wichtige Lehre aus den verheerenden Fehlern Amerikas im Irak; und dies ist ein kleiner Fortschritt in einer Weltgegend, in der sich Fortschritt den USA beharrlich entzieht.

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