Tagesheim der Stadt München:Erzieher offenbart sich als pädophil

  • In einem städtischen Grundschultagesheim hat ein Erzieher mit pädophilen Neigungen gearbeitet. Er offenbarte sich und verlor daraufhin seinen Job.
  • Die Stadt musste bei ihrer Informationspolitik abwägen, was schwerer wiegt: das Informationsinteresse der Eltern oder die drohende Stigmatisierung des Erziehers.
  • Die Eltern wurden schließlich mit einem Brief informiert. Allerdings sorgt die Art, wie die Stadt über den Fall informiert hat, für erheblichen Unmut.

Von Bernd Kastner

Die Stadt hat sich von einem Erzieher in einem Grundschultagesheim getrennt, weil der Mann pädophile Neigungen offenbarte. Übergriffe des Mitarbeiters auf Kinder seien nicht bekannt, erklärt das Referat für Bildung und Sport. Dessen Agieren aber hat großen Unmut unter Eltern des Tagesheims und der Schule ausgelöst. Sie kritisieren die Kommunikation als unprofessionell, inkompetent und verspätet. Die Folge war große Verunsicherung unter den Eltern.

Wie der Fall bekannt wurde

Es ist laut Stadt ein bisher einzigartiger Fall: Im Sommer vergangenen Jahres meldete sich eine "Erziehungskraft" (das Bildungsreferat verwendet immer diese geschlechtsneutrale Formulierung) und offenbarte der Leitung des Tagesheims seine pädophilen Neigungen. Der Mann erhielt sofort Hausverbot und wurde freigestellt, sein Vertrag einige Monate später einvernehmlich beendet. Er hat mehr als zehn Jahre in drei städtischen Kinderbetreuungseinrichtungen gearbeitet.

Das Bekenntnis brachte die Stadt in ein juristisches und moralisches Dilemma: Wie darf, wie muss sie die Eltern informieren, solange es keinen Hinweis auf einen sexuellen Übergriff gibt? Was wiegt mehr, das Persönlichkeitsrecht des Erziehers, dem eine Stigmatisierung droht, oder das Informationsbedürfnis der Eltern?

Wie die Stadt mit einem Dilemma umging

Die Stadt entschied sich, zweieinhalb Monate nach dem Ausscheiden des Mannes einen Brief "an die Sorgeberechtigten" zu schreiben. Dieser hat viele Eltern sehr beunruhigt: Auch wenn bislang nichts bekannt sei, heißt es, sei "nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, dass in der Vergangenheit eines Ihrer Kinder Opfer eines bislang unerkannten sexuellen Übergriffs" geworden sei. Etwa 20 Prozent der Pädophilen würden "irgendwann einschlägig straffällig". Die Aufklärungsquote sei gering, "es gibt eine große Dunkelziffer". Falls Eltern Auffälliges an ihrem Kind bemerken, sollten sie sich an das Referat wenden.

Warum viele Eltern entsetzt sind

Viele Eltern waren entsetzt, weil ihnen der Brief mit dieser sensiblen Nachricht nicht per Post zugeschickt, sondern ihren Kindern als sogenannte Ranzenpost mitgegeben wurde. Auf dem Umschlag stand der Vorname des Kindes mit dem Zusatz "vertraulich". Damit bestand die Gefahr, dass Kinder den Brief selbst lesen oder vergessen, ihn zu Hause abzugeben.

Außerdem war damit zu rechnen, dass Eltern den Brief im Beisein ihres Kindes lesen, erschrecken und dann auf neugierige Fragen keine adäquate Antwort wissen. Als Einschüchterung und Maulkorb werten Eltern zudem den letzten Absatz des Briefes: Die Informationen seien "absolut vertraulich". Wer sie an Dritte oder die Öffentlichkeit weitergebe, mache sich "womöglich strafbar". Diese juristische Warnung ist deshalb pikant, weil den Brief ein Teil der betroffenen Eltern gar nicht erhielt: Er ging nicht an jene, deren Kinder in früheren Jahren von dem pädophilen Erzieher betreut wurden.

Wenn das Bildungsreferat aber unentdeckte Übergriffe befürchtet, hätte dieser Hinweis auch an alle Eltern gehen müssen, wird kritisiert. Dies nicht zu tun, sei "unverantwortlich". Auch ein Elternabend Anfang Dezember beruhigte kaum. Kritisiert wird, dass die Stadt zwar auf formal-juristisch korrektes Vorgehen geachtet, aber zu wenig Verständnis für die Sorgen der Familien gezeigt habe. "Desaster-Abend" nennt eine Mutter die Infoveranstaltung.

Erst im April, nachdem die Nachricht trotz des "Maulkorbs" durchgesickert war und Eltern von Fünftklässlern Druck machten, verschickte die Stadt einen zweiten Brief, jetzt an diese Gruppe. Auch in diesem Schreiben warnte sie Eltern davor, ihre Kinder eigenständig zu befragen, falls sie Auffälligkeiten festgestellt haben sollten. "Dadurch könnten ungewollt seelische Verletzungen Ihres Kindes verschlimmert werden."

Welche Eltern noch nicht informiert sind

Warum warnte die Stadt die zweite Elterngruppe erst ein halbes Jahr nach Ausscheiden des Erziehers? Noch immer nicht offiziell informiert sind jene Eltern von Kindern, deren Klasse hin und wieder von dem Erzieher betreut wurde, etwa beim Besuch eines Schullandheims.

Das Referat von Stadtschulrat Rainer Schweppe rechtfertigt seine Kommunikationspolitik mit einem "Stufenplan", der mit diversen Fachstellen abgesprochen sei. Außerdem habe man gemäß den "Handlungsplänen" agiert, die für Verdachtsfälle in Kitas gelten. Dass Eltern in einem solchen Fall informiert würden, sei "selbstverständlich".

Da aber bis heute keine Übergriffe bekannt seien, habe man nicht breiter informieren wollen und dürfen, um den ehemaligen Mitarbeiter zu schützen. Diesem drohe die "Gefahr übler Nachrede", wenn seine Neigung bekannt werde. Dass der erste Elternbrief mit "Ranzenpost" verschickt wurde, sei ein bedauerlicher Fehler, räumt das Bildungsreferat ein.

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