Autohandel in den USA:Obszöne Einladung zum Geldverdienen

Autohandel in den USA: Testfahrt im "Porsche Experience Center" in Atlanta, USA.

Testfahrt im "Porsche Experience Center" in Atlanta, USA.

(Foto: David Goldman/AP)

Der Markt für Neuwagen in den USA ist gewaltig, die Kunden wissen genau, was sie wollen. Porsche geht darauf ein. Mit kühl kalkuliertem Verständnis für die Mentalität - und einem neuen Hauptquartier.

Von Oskar Weber

Es ist ja nicht so, dass der Begriff Eiszeit ausschließlich für meteorologische Großwetterlagen reserviert wäre. Manche Kulturkreise sind einfach aus ihrem gewachsenen Selbstverständnis heraus gnadenlos cool. Die Vereinigten Staaten von Amerika zum Beispiel kennen Abertausende Eiszeiten. Jedes öffentlich genutzte Gebäude wird hier grundsätzlich auf Kühlhaustemperatur herunter klimatisiert. Einfache Regel: Je wärmer es draußen ist, desto kühler muss es drinnen sein. Typisch Amerika. Man tickt anders, spielt anders, dealt anders.

Das Autobusiness zum Beispiel, dieser gewaltige Marktplatz - 16,5 Millionen Neuwagen-Zulassungen im vergangenen Jahr -, ist eine fast schon obszöne Einladung zum Geldverdienen. Die Eintrittskarte heißt allerdings Kulturverständnis, Marktkenntnis, Kundenakzeptanz. Es gibt sie, die Großstädter, die gerne auch mal mit dem Golf flirten. Aber draußen im weiten Land wollen sie mit dem Wolf tanzen, Bären jagen, frei sein.

Auch hier in diesem leuchtend weißen Gebäudekomplex am One Porsche Drive im Süden Atlantas laufen die Klimaanlagen auf Hochtouren. Drüben hinterm Zaun landen im Dreißig-Sekunden-Takt die Boeings und die Airbusse. Und im selben Rhythmus steigen sie auch wieder auf, vollgepackt mit Passagieren, Gütern, Fracht. Fünf Pisten für 930 000 Starts und Landungen pro Jahr machen den Hartsfield-Jackson Atlanta International Airport zum größten Flughafen der Welt: 196 Gates, 95 Millionen Passagiere, 650 000 Tonnen Frachtgutumschlag.

Die Amerikaner lieben das Auto, weil sie es brauchen

Die Distanzen sind groß in Amerika, der öffentliche Personenverkehr ist jenseits der Flughäfen ein Desaster. Die Amerikaner lieben das Auto, weil sie das Auto brauchen. "80 Prozent unserer nordamerikanischen Kunden erreichen den Atlanta International in maximal zweieinhalb Stunden Flugzeit", sagt PCNA-Chef Detlev von Platen und zeigt mit dem ausgestreckten Arm hinüber zum Mega-Airport. Vom Ankunftsgate sind es mit dem Auto nur ein paar Minuten ins neue Porsche-Nordamerika-Headquarter.

PCNA, das ist die firmeneigene Tochter Porsche Cars North America für das Porsche-Geschäft in den USA und Kanada. One Porsche Drive ist die Adresse für die neue PCNA-Zentrale am nordöstlichen Rand des Hartsfield-Jackson Airports: 100 Millionen Dollar Investitionssumme auf elf Hektar Grund, Büros für 450 Mitarbeiter, 1200 Quadratmeter Konferenz- und Eventflächen, Mechaniker-Schulungszentrum, Oldtimer-Restaurierungswerkstatt, Museum, Gästekasino 356 - das Restaurant mit dem dankbarsten aller Namen für einen Porsche-Beherbergungsbetrieb auf amerikanischem Boden.

Das neue Porsche-Hauptquartier in Atlanta.

Das neue Hauptquartier von Porsche in Nordamerika.

(Foto: AP)

Die Ziffernfolge steht für den Urmeter aller Serien-Porsche - und für das erste wirklich tragfähige Fundament einer erstaunlichen Unternehmens- und Markengeschichte. Der Untergang Nazi-Deutschlands lag gerade einmal fünf Jahre zurück, als der Autohändler Max Hoffman in New York die reichlich kühne Idee hatte, mit dem US-Import des spartanisch ausgestatteten und relativ schwachbrüstigen Porsche 356 Geld zu verdienen. Heute pflegen 175 Clubs mit 110 000 Mitgliedern die Porsche-Markenkultur in Nordamerika. Der Porsche Club of America (PCA) ist mit 141 Regionalklubs der größte Porsche-Club der Welt. Jährlich rund 3500 Veranstaltungen organisiert der PCA im Schnitt. Die Porsches wissen das zu schätzen. Bei jedem wichtigen Event repräsentiert ein Familienmitglied persönlich Marke und Unternehmen. Und noch eine Zahl: Im 356 Registry treffen sich rund 7500 amerikanische Enthusiasten, die bis heute einen frühen Porsche der ersten Baureihe fahren und pflegen.

"Wir sind doch mächtig stolz darauf"

Sportwagen und Spaß haben sind in den USA ein Begriffspaar. Moralinsaure Bedenkenträger gibt es auch hier - aber keiner von ihnen hat eine demokratisch legitimierte Dienstwagenberechtigung. "Wir sind doch mächtig stolz darauf, die Ikone Porsche hier zu haben", sagt der republikanische Gouverneur Nathan Deal. Und Atlantas Bürgermeister Kasim Reed ergänzt: "Wenn sich eine der wichtigsten Marken der Welt für deine Stadt als Standort entscheidet, dann ist das eine wichtige Botschaft weit über unsere Grenzen hinaus." Reed ist Demokrat.

Bernhard Maier ist Markenbotschafter und Automobilverkäufer. "Wir sind ein Sportwagenhersteller", sagt der Porsche-Vorstand für Marketing und Vertrieb. "Als Sportwagenhersteller machen wir keine Sprüche. Wir lassen unsere Autos für uns sprechen." Ideeller Kern des neuen PCNA-Headquarters ist das Erlebniszentrum, das Porsche Experience Center (PEC), eine Art Spielstraße. Das Testareal mit Handling-Modulen und Off-Road-Parcours ist in eine 1,6-Meilen-Rundstrecke eingebettet - Vollgasetappen möglich. 30 000 Porschefahrer und solche, die es werden wollen, sollen in Zukunft jährlich hier ihre Runden drehen. Mindestens. Weitere Erlebniszentren sind rund um den Globus geplant, im Bau oder schon fertig: in Leipzig, in Los Angeles, in Le Mans, in Silverstone, in Moskau und in Shanghai. "Solide Arbeit bedeutet für uns kundenorientierte Arbeit", sagt Porsche-Chef Matthias Müller. "Wir wollen dem Kunden ein Auto fürs Leben verkaufen. Und wenn wir's gut machen, gewinnen wir einen Kunden fürs Leben."

In den Top-Drei sind nur Pick-ups

Amerika fährt anders. Auf dem Top-drei-Podest der meistverkauften Autos standen 2014 ausschließlich eierlegende Wollmilchsäue aus dem Pick-up-Segment: Ford F-Series (754 000 Einheiten), Chevrolet Silverado (530 000), Dodge Ram (440 000). Geräumige Mittelklasse-Limousinen und -SUV mit solidem Preis-Technik-Verhältnis vervollständigen das Top-Ten-Ranking: Toyota Camry (429 000), Honda Accord (388 000), Toyota Corolla (340 000), Honda CRV (335 000), Ford Fusion (in Europa Mondeo, 307 000), Toyota RAV4 (268 000) und Hyundai Sonata (217 000). Einziges Auto aus dem Volkswagen-Konzern in den US-Top-50 war 2014 übrigens der VW Jetta auf Platz 26: 161 000 verkaufte Exemplare. Zum Vergleich: Der in Wolfsburg lange als technische Spinnerei verspottete Hybrid-Toyota Prius ging 2014 an 136 000 US-Käufer.

"Der US-Markt ist ein ausgesprochen autoaffiner Markt", sagt Porsche-Vertriebschef Maier. Im Klartext: Der US-Kunde weiß ganz genau, was er will - und was er nicht braucht. Ein kurzer Blick auf die Parkplätze der Supermärkte und der Einkaufsmalls belegt es. Im Massenmarkt genügt einfache, zuverlässige und preisgünstige Technik in Kombination mit handelsüblichem Komfort. Hightech, Top-Leistung, Finish-Perfektion und Markenimage wird nur in der Luxusklasse verlangt. Die europäischen Premiumhersteller verdienen blendend in ihrer kleinen, feinen Nobelnische. Porsche brachte im vergangenen Jahr nicht zuletzt dank des neuen Macan 47 000 Autos an die wohlhabende US-Kundschaft - gut 25 Prozent der Jahresproduktion. Marktanteil in den USA: exklusive 0,28 Prozent. "Wir haben also noch ein wenig Luft nach oben", sagt Vorstandschef Matthias Müller.

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