Hochhäuser:Glänzende Aussichten

Hochhäuser: In der 61. Etage des Macau-Towers können Besucher direkt vom Rand 233 Meter nach unten blicken. Wem das nicht reicht, darf am Seil in die Tiefe springen.

In der 61. Etage des Macau-Towers können Besucher direkt vom Rand 233 Meter nach unten blicken. Wem das nicht reicht, darf am Seil in die Tiefe springen.

(Foto: Anthony Wallace/AFP)

Aussichtsplattformen sind für die Eigentümer von Wolkenkratzern oft ein gutes Geschäft. Vor allem die großen Tower in Asien und Amerika locken viele Besucher in die oberen Etagen.

Von Christine Mattauch

Vom 29. Mai an ist New York um eine Attraktion reicher: An der Südspitze Manhattans öffnet die Aussichtsplattform auf One World Trade Center, im Volksmund Freedom Tower genannt. In weniger als 60 Sekunden können Besucher zur 100. Etage fahren und das Panorama vom höchsten Gebäude New Yorks erleben. Werbeslogan: "Feel the City's invincible spirit", erfahren Sie den unbezwingbaren Geist der Stadt.

Besonders hoch ist auch der Eintrittspreis: 32 Dollar für Erwachsene, 26 für Kinder. Auf insgesamt 53 Millionen Dollar sollen sich die Nettoeinnahmen summieren - jährlich. Damit sind die Touristen für die Eigentümer der Immobilie, den New Yorker Entwickler Durst und die Hafenbehörde Port Authority, mehr wert als der beste Mieter. Sämtliche Büroflächen der unteren Etagen spielen jährlich 144 Millionen Dollar ein - wenn der Hochsicherheitsturm voll vermietet sein wird. Derzeit steht immer noch die Hälfte der Flächen leer.

Kaum jemand macht sich klar, dass Aussichtsplattformen nicht nur touristische Glanzpunkte sind, sondern für Immobilienbesitzer auch wichtige Erlösquellen. In den USA macht der Eintritt häufig zwischen 30 und 40 Prozent der Gebäudeeinnahmen aus. Hinzu kommt der Imagefaktor, der sich positiv auf die Vermietung auswirkt.

In den USA hat es Tradition, dass stolze Immobilienbesitzer ihr Gebäude der Allgemeinheit zugänglich machen. "Um 1880 herum waren fast alle hohen Gebäude in der Stadt begehbar, und in den Dreißigerjahren gab es elf öffentliche Panoramaterrassen auf Wolkenkratzern", hieß es in einem Artikel in Time Out New York von 1999, der gleichzeitig den Verlust der "Goldenen Zeiten der Aussichtstürme" beklagte. Die erleben dem Anschein nach nun wieder eine Renaissance.

Neue Wolkenkratzer bieten verglaste Böden oder Spaziergänge am Seil

"Die Leute rannten uns die Bude ein und fragten: Können wir da rauf? Dann haben wir das mal kalkuliert und herausgefunden, dass das eine prima Geschäftsidee ist", erzählt Richard Stockton, dessen Firma Oue in Los Angeles derzeit den U.S. Bank Tower saniert, mit 310 Metern das höchste Gebäude der Stadt. Zwar müssen Bauherren für die Einrichtung eines Panoramapunkts einiges investieren: zusätzliche Aufzüge, ein separates Fluchtwege-System, Sicherheitsschleusen. Doch das kann sich lohnen. Stockton rechnet mit einer halben Million Besucher im Jahr, die je circa 25 Dollar zahlen. Macht einen Rohertrag von jährlich 12,5 Millionen Dollar. In New York erwartet One World Trade Center sogar 3,5 Millionen Touristen im Jahr. Für das Empire State Building (ESB) und das Rockefeller Center, die bisherigen Top-Adressen für Panorama-Jäger, könnten harte Zeiten anbrechen. Auch bei ihnen macht der Eintritt einen gewaltigen Teil der Einnahmen aus: Der börsennotierte Empire State Realty Trust etwa erlöst dank 4,3 Millionen Besuchern jährlich mehr als 82 Millionen Dollar netto - gut 40 Prozent dessen, was die Immobilie insgesamt abwirft.

Noch mehr Konkurrenz ist in Sicht: Projektentwickler SL Green plant gegenüber dem Bahnhof Grand Central einen 460 Meter hohen Glasturm, One Vanderbilt, samt zugänglichem Deck. Drei Kilometer weiter westlich bestückt Related einen 365 Meter hohen Wolkenkratzer im Neubauviertel Hudson Yards mit einer Plattform, die die größte der Stadt werden und angeblich einen Glasboden bekommen soll. Vorbild ist offenbar der Willis Tower in Chicago, der frühere Sears Tower. Mit 442 Metern war er von 1974 bis 1998 das höchste Gebäude der Welt. Mehr als hundert Firmen haben dort Büros, vor allem Anwälte und Versicherungen. Den 1,6 Millionen Besuchern im Jahr wird ein spezieller Nervenkitzel geboten: Komplett verglaste Balkone, die die Illusion erzeugen, über Miniaturstraßen und -autos zu schweben. Frühaufstehern werden von sieben Uhr morgens an sogar Bacon and Eggs serviert.

Auch anderswo lassen sich Plattformbetreiber Verrücktes einfallen. Vom 338 Meter hohen Macau Tower in der gleichnamigen chinesischen Sonderverwaltungszone dürfen Touristen am Seil in die Tiefe springen: 233 Meter freier Fall. Der Sky Tower in Auckland (Neuseeland) bietet so eine Variante, den gurtgesicherten Sky Jump. Auf der Panorama-Plattform von Hongkongs International Commerce Center können sich Kinder und Jugendliche an einer "Sky100 Academy" einschreiben und in 393 Meter Höhe musizieren.

In Deutschland tun sich gewerbliche Bauherren eher schwer mit der Idee, das Volk auf ihre Immobilien zu lassen. "Wenn wir das vorschlagen, stößt es normalerweise auf Ablehnung", sagt die Kölner Architektin Dörte Gatermann. Immer wieder hört sie das Argument, dass das wirtschaftliche Risiko zu groß sei. Der wahre Grund liegt aber womöglich woanders, jedenfalls wenn es um Konzernzentralen geht: "Da möchte der Vorstand ganz oben sitzen", sagt Gatermann.

Ausnahmen gibt es. Günther Merl, der frühere Vorstandsvorsitzende der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), war ein Fan des öffentlichen Raums und ließ noch nachträglich eine Plattform im 1999 gebauten Hauptquartier in Frankfurt einrichten: Offenheit entspreche dem Selbstverständnis der Bank. Heute ist der Main Tower eine der Hauptattraktionen der Stadt, mit bis zu 400 000 Besuchern im Jahr. "Ein Verlustgeschäft ist es nicht", sagt Helaba-Pressesprecher Wolfgang Kuß.

Am Potsdamer Platz in Berlin baute der Daimler-Konzern nach der Wiedervereinigung ein Hochhaus-Areal mit einer Aussichtsterrasse in der 25. Etage des sogenannten Kollhoff-Towers. Als die SEB Asset Management 2008 den Komplex übernahm, baute sie diese zum zweigeschossigen Panorama-Punkt aus, mit Café und Ausstellung zur Stadtgeschichte. Für den Büroturm, der derzeit zum Verkauf steht, sei er "auf jeden Fall ein Plus", sagt Objektmanagerin Nicole Jekel: "Er macht die Immobilie zu einem Unikat, auch innerhalb des Ensembles." Etwa 230 000 Besucher kommen jährlich, der Eintritt für Erwachsene beträgt 6,50 Euro. Die Bank hat das Geschäft verpachtet und ist am Umsatz beteiligt.

Ganz oben ist die Chefetage: In Deutschland sind die Gebäude selten zugänglich

Auch die Rheinische Versorgungskasse ist glücklich mit ihrem Aussichtspunkt auf der Kölner Büroimmobilie Triangle. Fast wäre der 103 Meter hohe Tower auf der rechten Rheinseite gar nicht gebaut worden - Puristen befürchteten, er könnte die Sicht auf den Dom beeinträchtigen. Im Poker mit dem Stadtrat erwies sich die Aussichtsplattform - von Architektin Gatermann ins Spiel gebracht - als As. Denn wenig tun Kölner lieber, als sich selbst zu bewundern, und von der 29. Etage des Triangles "sehen Sie die Schokoladenseite der Stadt", wie es Reinhard Elzer formuliert, Geschäftsführer der Versorgungskasse und gebürtiger Kölner. Er schwärmt: "Ich war schon hundert Mal da oben, und mir geht immer noch das Herz auf." Der Eintritt beträgt nur drei Euro, für Kinder bis zwölf Jahren ist der Zutritt gratis. Etwa 20 000 Besucher monatlich verzeichnet die Plattform in Spitzenzeiten, die Immobilie war vom ersten Tag an voll vermietet, und von einer Beeinträchtigung des Doms redet heute niemand mehr.

Die höchste Aussichtsplattform der Welt befindet sich interessanterweise nicht im höchsten Gebäude der Welt, dem Burj Khalifa in Dubai. Der Turm ragt zwar atemberaubende 828 Meter in die Luft, doch der Panoramapunkt befindet sich "nur" auf 452 Metern. Das World Financial Center in Shanghai kann mehr: Es bietet drei Perspektiven auf die Stadt, die oberste von 474 Metern.

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