Pfingsten 2015:Zukunft muss menschenfähig werden - nicht umgekehrt

PFINGSTDARSTELLUNG AUF GEMÄLDE

Pfingsten ist das "Fest des Heiligen Geistes", welcher oft als Taube dargestellt wird. (Im Bild: Pfingsttaube in der Kuppel des Berliner Doms)

(Foto: EPD)

Pfingsten steht zwar nach wie vor im Kalender, aber Zukunft ist inzwischen mehr Drohwort denn Frohwort. Die Zukunft muss menschenfähig werden. Wie geht das? Mit der Kraft des Geistes.

Heribert Prantl

Pfingsten ist ein Fest der Symbole, mit denen man sich heute schwertut - es sei denn, man deutet sie als heilige Fantasy. Da gibt es den Heiligen Geist, der von den alten Meistern als Taube gemalt wird; auf ihren Bildern sieht man Strahlen, die von dieser Geisttaube ausgehen und zu den Menschen führen, gerade so, als habe dieses Wesen ein göttliches Intranet installiert.

Da gibt es auch Feuerzungen, die sich auf die biblischen Figuren herabsenken. Und da ist himmlisches Brausen in der Luft, das anzeigt, dass sich Besonderes tut: Fünfzig Tage nach Ostern, so die Apostelgeschichte, sind Leute aus aller Herren Länder zum jüdischen Wochenfest versammelt; inmitten des Sprachengewirrs fangen die bis dahin verängstigten Jesusanhänger auf einmal an zu predigen; und diese einfachen Leute, Handwerker und Fischer, reden so, dass alle sie in ihrer eigenen Sprache verstehen.

Pfingsten ist also ein Fest der vollkommenen Kommunikation: Jeder versteht jeden, obwohl jeder so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Viele Außenstehende spotten, diese Leute seien wohl betrunken vom Wein; sie sind es aber nicht. Es ist offenbar so, dass eine wunderbare Kraft in ihnen steckt, die ihnen die Angst nimmt, sodass sie sich nicht mehr vor ihren Problemen verkriechen. Sie verkünden, dass eine neue Zukunft angebrochen sei und trauen sich hinaus in die Welt. Das sei, so sagt nun die Bibel, die Kraft des Heiligen Geistes - Pfingsten.

Im Wort Zukunft steckt kein Schwung mehr

Pfingsten steht zwar nach wie vor im Kalender, aber von der ihm angeblich innewohnenden Kraft ist nichts zu spüren: Es gibt keine Spur von zuversichtlicher Aufbruchstimmung. Im Wort Zukunft steckt kein Schwung mehr, auch wenn noch so viele Zukunftskongresse veranstaltet werden. Zukunft ist mehr Drohwort denn Frohwort.

Zukunft hat den Klang einer Katastrophe, die auf die Menschheit zukommt. Die Katastrophen sind allpräsent: die Umwelt- und die Klimakatastrophe, die Flüchtlingskatastrophe, die Katastrophe auf dem Finanzmarkt, die Bildungskatastrophe; die demografische Katastrophe.

Zwischen den mörderischen Taten der Radikalislamisten, dem rasenden Stillstand des Turbokapitalismus und dem auf- und abschwellenden Ebola-Alarm leben Politik und Gesellschaft wie gelähmt dahin.

Die Politik besteht darin, sich mit den Katastrophen zu beschäftigen, sie in Konferenzen zu beleuchten und in Abschlussdokumenten zu versichern, dass man sie bekämpfen und abwenden wird. Kleinschrittige Politik ist hier keine Politik der kleinen Schritte, sondern das Tippeln im Minenfeld der deklarierten Katastrophen.

Wie wird die Zukunft fähig für ein Leben, das mehr ist als ein Überleben?

Die Beschwörung der Katastrophe und die Beschäftigung mit ihr treiben der Gesellschaft die Hoffnung aus, dass Politik etwas grundsätzlich verbessern könne. Man glaubt nicht mehr an den geradlinigen Fortschritt, aber auch nicht an die große Umkehr, nicht an eine offene Zukunft; denn man hört zu oft, die Art der Krisenbewältigung sei "alternativlos"; die Zukunft scheint verstellt und beherrscht von den Katastrophen zu sein. "Globalisierung" wird zu einem Wort, das die angebliche Ausweglosigkeit beschreibt.

Es gibt, zur Aufklärung und Abwendung des islamistischen Terrorismus, angeblich keine Alternative zur Vergötterung der inneren Sicherheit. Es gibt angeblich keine Alternativen zur Abriegelung Europas, keine Alternativen zum Schutz vor Flüchtlingen, notfalls mit militärischen Mitteln.

Es gibt angeblich auch keine Alternativen zu den totalen Abhörpraktiken der NSA, weil die Alternativen angeblich die Freundschaft zu Amerika und die Terrorismusbekämpfung infrage stellen. Es gibt keine Alternativen zur Euro-, Griechenland- und Austeritätspolitik, weil die gegenwärtige Euro-, Griechenland- und Austeritätspolitik schon bewährt sei.

Also weiter damit. Kein Umdenken. Keine Experimente. Und weiter mit Freihandelsabkommen, die die Entwicklungsländer überrollen. Walter Benjamin hat gesagt: "Daß es 'so weiter' geht, ist die Katastrophe. Sie ist nicht das jeweils Bevorstehende, sondern das jeweils Gegebene."

Bloße Katastrophenverhinderungspolitik ist antischöpferische Politik. Das Irre ist, dass sie verleitet, notwendige Entscheidungen aufzuschieben, bei gleichzeitigem Aktivismus - und so zu tun, als käme irgendeine Zukunft auf die Gesellschaft zu, in der sich alles irgendwie bessern wird. Bloße Katastrophenverhinderungsgesellschaften sind statische Gesellschaften.

"Zukunftsfähigkeit" ist ein verlogenes Wort

Pfingsten sagt: Die Zukunft ist offen, sie ist nicht verstellt von Katastrophen, auch wenn es so aussieht. In der allerersten Pfingstpredigt, der Rede des Apostels Petrus, kommt das zum Ausdruck. Er erklärt darin den verwirrten Zuhörern die seltsamen Dinge, die da gerade vor ihren Augen geschehen.

Er sagt, dass Gott seinen Geist ausgießt auf die Menschen, und was dann mit ihnen passiert: "Eure Söhne und Eure Töchter werden Propheten sein. Eure jungen Männer werden Visionen haben; und Eure Alten werden Träume träumen." Es geht hier um die Zukunft eröffnende Kraft des Visionären.

Dass aus dem herrlichen Wort "Zukunft" so etwas Abscheuliches wie "Zukunftsfähigkeit" gemacht wird, ist zum Heulen. Das Wort "zukunftsfähig" ist ein verlogenes Wort, weil es so tut, als gäbe es eine feststehende Zukunft, für die man sich fähig machen müsse.

Es gibt aber keine Zukunft, von der man sagen könnte, dass es sie einfach gibt. Es gibt nur eine, die sich jeden Augenblick formt - je nach dem, welchen Weg ein Mensch, welchen eine Gesellschaft wählt, welche Entscheidungen die Menschen treffen, welche Richtung die Gesellschaft einschlägt. Zukunft gibt es nicht festgefügt, sie entsteht in jedem Moment der Gegenwart, ist darum in jedem Moment veränderbar. Die Zukunft ist nicht geformt, sie wird geformt.

Die Frage ist also nicht, welche Zukunft man hat oder erduldet, die Frage ist, welche Zukunft man haben will und wie man darauf hinlebt und hinarbeitet. Die Frage ist nicht, was auf die Gesellschaft zukommt, sondern wohin sie gehen will. Zukunftsfähigkeit muss daher neu definiert werden, nämlich so: Wie wird die Zukunft fähig für die Gesellschaft? Wie wird sie fähig für ein Leben, das mehr ist als ein Überleben? Zukunft sollte so sein, dass Menschen heil und zufrieden leben können.

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