Cranachjahr:Die Mörderinnen

Eine Ausstellung in Gotha erzählt, wie der Maler Lucas Cranach während der Reformation in Glaubensfragen Stellung bezog.

Von Gottfried Knapp

Wie die legendenberühmte Wartburg und das kulturgesättigte Weimar kann auch die Residenzstadt Gotha den Cranach-Pilgern mehr bieten als nur eine anregende Sonderausstellung zum aktuellen Cranach-Jahr. Seit 2008 werden in Gotha unter dem Titel "Das Barocke Universum" die bedeutenden Hinterlassenschaften der Herzöge von Sachsen-Gotha und Coburg-Gotha in den historischen Bauten neu präsentiert. So sind im mächtig über der Stadt thronenden Residenzschloss Friedenstein die verblüffend gut erhaltenen herzoglichen Prunkräume, die Kunstkammer, das Museum der Natur und das mit einer funktionierenden Bühnenmaschinerie aus dem 17. Jahrhundert erhaltene Ekhof-Theater jetzt wieder bequem erschlossen. Der 1870 im riesigen Schlossgarten errichtete elegante Neurenaissancebau des Herzoglichen Museums ist nach gründlicher Restaurierung 2013 wiedereröffnet worden. In seinen drei Ausstellungsstockwerken können die Spitzenstücke aus den herzoglichen Kunstsammlungen - altägyptische und römische Bildwerke, Preziosen aus Japan und China, Meisterwerke aus Europa - großen individuellen Glanz entfalten.

Cranach in Gotha? Ist eine Reise wert. Und dann entdeckt man den viel späteren Jean Antoine Houdon

Im östlichen Erdgeschossflügel dieses Museums ist derzeit die Cranach-Ausstellung "Bild und Botschaft" eingerichtet. Für Sonderausstellungen wurden dort die Rundbogenfenster verhängt und Zwischenwände eingezogen. So entstand eine Folge kleiner, künstlich ausgeleuchteter Kabinette, in der das thematisch vielfältige Werk Cranachs Profil gewinnt.

Wie hell die dreischiffige Erdgeschosshalle wäre, wenn die Fenster nicht verstellt wären, lässt sich im gegenüberliegenden Flügel erleben. Dort begegnen die Besucher der weltweit größten Sammlung von Skulpturen des französischen Bildhauers Jean-Antoine Houdon. Von dem Franzosen gibt es eine schöne Verbindung zurück zu Cranach: Houdon, der Porträtist von Molière, Voltaire und anderen, ist von jenem sächsischen Herzog nach Gotha eingeladen worden, der, wie die Ausstellung im Obergeschoss zeigt, auch einer der eifrigsten Sammler von Cranach-Grafik war.

Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers an der Tafel des Herodes,Sonderausstellung im Herzoglichen Museum Gotha, "Bild und Botschaft - Cranach im Dienst von Hof und Reformation"

Lucas Cranach der Jüngere malte diese Salome mit dem Haupt des Johannes im Jahr 1537.

(Foto: bpk, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Elke Estel)

Die ungebändigten frühen Holzschnitte und Kupferstiche Lucas Cranachs des Älteren haben immer schon als Ausnahmewerke der Dürer-Zeit gegolten. Wie auf diesen Blättern die bekannten religiösen und mythologischen Geschichten aus wuchernden Landschaften herauswachsen und wie das dargestellte emotionale Geschehen im wild bewegten Baum- und Buschwerk dramatisch weiterklingt, das hat einer ganzen Generation von Künstlern im deutschsprachigen Raum einen Weg in die Zukunft gewiesen. Wo aber, wie in den Passionszyklen, Cranach auf Landschaft verzichten musste, da schiebt er die bekannten Figuren so eigenwillig zurecht, dass das tumultarische Geschehen oft überraschende Wendungen nimmt. In den fantasievoll züngelnden Pflanzen, die im Zyklus großformatiger Heiligendarstellungen die Figuren rahmen, glaubt man schon Philipp Otto Runge oder einen Jugendstilkünstler am Werk zu sehen. Die satanisch bösen antikirchlichen Flugblätter und Papst-Karikaturen schließlich, mit denen Cranach auf breiter Ebene Politik gemacht hat, sind wohl der schrillste Beweis für die Macht, die der Künstler mit seinen Bild-Erfindungen auf Zeitgenossen ausübte.

Die Cranach-Ausstellung im Erdgeschoss belegt mit vielen wertvollen Leihgaben, wie sich des Künstlers Verhältnis zum sächsischen Fürstenhaus zwischen seiner Ernennung zum Hofmaler im Jahr 1505 und seinem Tod 1553 entwickelt hat. Friedrich der Weise, sein erster Gönner, war ein frommer Fürst, der sich, bevor ihn Luther auf andere Gedanken brachte, überall mit Reliquien und Andachtsbildern umgab. Dass er als Marien-Verehrer irgendwann auf den Alleskönner Cranach gestoßen ist, begreift man vor dessen frühen Marien-Darstellungen sofort. Kein Maler der Zeit vermochte weibliche Heilige mit so viel weltlich-überweltlichem Liebreiz, mit einem solch unschuldig-erotischen Lächeln auszustatten wie Cranach, der als Geschichtenerzähler in Regionen des Fantastischen vorstieß, als Porträtist sachlich blieb und auf Andachtsbildern intime Wünsche erfüllte.

Mit weiblicher Anatomie haben diese Frauenfiguren nichts zu tun. Umso mehr mit Religion

Als Frauenmaler muss Cranach früh schon bestaunt worden sein. So hängen in einer Reihe bedeutender katholischer Kirchen bis heute Marienbildnisse der Cranach-Werkstatt, die zeitweilig sogar Wunder bewirkt haben sollen. An den europäischen Höfen aber interessierte man sich für ein anderes Produkt der Cranach-Werkstatt, für die mythologischen Akte, die in Wittenberg serienweise produziert und wunschgemäß immer entschiedener einem manieristischen Schönheitsideal angepasst wurden, das auf die weibliche Anatomie kaum Rücksicht nahm.

So wie er Heiligenfiguren mit einem überirdischen sinnlichen Schimmer versah, so enthob Cranach auch die mythologischen Figuren der humanen Normalität. Die nackten Erdenmenschen, die auf dem Holzschnitt von 1510 in der Hölle gequält werden, sehen auf fast schon erschreckende Weise so aus wie wir. Die Göttinnen der Antike aber und die Heldinnen der Bibel dürfen eine Schönheit entwickeln, die sich jenseits des Irdischen ereignet.

Die Besitzer eines Cranach-Akts - einer Venus, einer Lucretia oder eines Paris-Urteils - dürften sich an der ausgestellten Nacktheit ergötzt haben, doch sie konnten kritische Frager darauf hinweisen, dass die Entblößung ausschließlich der moralischen Läuterung und der geistigen Belehrung diene. Ja in protestantischen Kreisen hat man die kühnen Taten der biblischen Heldinnen sogar direkt auf die eigenen Bemühungen im Kampf gegen Kaiser und Papst umgemünzt.

Aus Kassel sind zwei stattliche Tafeln in die Ausstellung gekommen, auf denen Cranach in jenem Jahr, in dem die Protestanten den Schmalkaldischen Bund gegen die Heere Karls V. schmiedeten, die Geschichte von Judith und Holofernes zum politisch-militärischen Spektakel überhöht hat. Auf einem Bild sieht man, wie sich die puppenschöne Judith in der Wagenburg der Feinde an den Heerführer Holofernes heranmacht. Cranach selber hat sich unter die Gäste gemischt: Vom Rand des Bildes aus deutet er auf die Szene. Das zweite Bild gibt Einblick in die Zeltstadt der Assyrer, die für das Heerlager der Katholiken steht. Die Masse der Soldaten ergeht sich in banalen Spielen, während drinnen in einem der Zelte Judith den abgehackten Kopf des betrunkenen Holofernes in den Sack steckt, den ihr die Dienerin hinhält. Listiger kann man Judiths Mordtat zeitpolitisch wohl kaum ausdeuten.

Dass wir heute vom Aussehen der sächsischen Kurfürsten eine präzisere Vorstellung haben als von ihren katholischen Gegnern, verdankt sich zum einen der Kunst des Hofmalers Cranach, zum andern den Propagandastrategien des Protestantismus. Die Bekenner des neuen Glaubens sollten sich als selbstbewusst freie Persönlichkeiten der Welt einprägen.

Auf dem 1510-12 von Cranach gemalten Kopenhagener Altar stellt sich der auf der Seitentafel wunderbar lebendig porträtierte Kurfürst Friedrich der Weise noch in den Schutz zweier weiblicher Heiliger. Um 1538 lässt sich Friedrichs Neffe Johann Friedrich der Großmütige vom jüngeren Cranach nur noch im Kreis der Wittenberger Reformatoren porträtieren. Und auf dem Triptychon, das Johann Lange 1566 nach Cranach-Bildnissen gemalt hat, sind die drei ernestinisch-evangelischen Kurfürsten sogar in die überlieferte Altarform eingepasst: Der "Weise" grüßt wie ein Heiliger aus der Mitteltafel, dem "Beständigen" gehört der linke Flügel, dem "Großmütigen" der rechte.

Cranach im Dienst von Hof und Reformation, bis 19. Juli im Herzoglichen Museum Gotha.

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