Aufsteiger Darmstadt 98:Einmal durchwischen für Pep

SV Darmstadt 98 v FC St. Pauli  - 2. Bundesliga

Das Unglaubliche feiern: Marco Sailer in Darmstadt

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Darmstadt 98 darf den Durchmarsch in die erste Liga als Wunder feiern.
  • Der Etat beträgt nur fünf Millionen Euro; das Stadion erinnert an die Kreisliga.
  • Die Frage ist: Wie geht es weiter?
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Von Johannes Aumüller, Darmstadt

Es dauerte nicht lange, da hatte diese Szene Kultstatus. Die Darmstädter Aufstiegs-Feierlichkeiten waren ausufernd, es ging vom altehrwürdigen Stadion am Böllenfalltor in die mindestens so altehrwürdige Lilienschänke schräg gegenüber, von dort mehr oder minder direkt zum Karolinenplatz in die Stadtmitte. Dort stellte sich der Präsident auf die Bühne und stimmte einen der Klassiker an: "Nie mehr zweite Liga, nie mehr . . ."

Nie mehr zweite Liga, nie mehr, was für ein Brüller.

Es war Sommer 2014, gerade hatte Darmstadt überraschend den Aufstieg von der dritten in die zweite Liga geschafft - und der Präsident sang nach durchfeierter Nacht etwas von nie mehr zweiter Liga.

Keine zwölf Monate später muss sich Rüdiger Fritsch dafür nicht mehr veralbern lassen. Sondern darf sich als Prophet fühlen. Er steht jetzt in den Katakomben des Stadions, um ihn herum ist nach dem 1:0 gegen St. Pauli und dem Aufstieg in Liga eins der Irrsinn ausgebrochen. Die Fans stürmen den Rasen, die Spieler jubilieren, Trainer Dirk Schuster genießt auf seine zurückhaltende Art - und Präsident Fritsch muss zwar eine zerbrochene Brille beklagen, ist aber noch immer der Mann für die besten Sprüche.

Als es um die anstehenden Feierlichkeiten geht, kündigt er als Festmahl "Currywurst mit Pommes" an. Und als sie sich kurz ausmalen, wie das wohl wird, wenn im nächsten Jahr der FC Bayern in dieses sanierungsfällige, 16 000 Zuschauer fassende Stadion kommt, wo die Atmosphäre im Spielertrakt an die südhessische Kreisliga erinnert und die Duschen manchmal nur kaltes Wasser hergeben, da sagt Fritsch generös: "Wenn der Pep kommt, werden wir hier schon nochmal durchwischen."

Die Bundesliga hat in den vergangenen Jahren ein paar ungewöhnliche Aufstiegs-Geschichten erlebt, aber das hier sei "die größte Story in fünfzig Jahren Bundesliga", findet Jochen Partsch, der Darmstädter Oberbürgermeister. Und selbst wer nicht unter Subjektivitätsverdacht steht wie der Grünen-Politiker, der darf diese Story der "Lilien" ziemlich unglaublich finden.

In der Kurzfassung geht sie so: 2008/09 schrammt der Verein gerade so an der Insolvenz vorbei. 2013 müsste er sportlich in die vierte Liga absteigen, profitiert aber vom Lizenzentzug für die Kickers Offenbach. 2014 bringt ihm im Relegations-Duell gegen Arminia Bielefeld ein Treffer in der 122. Minute den Zweitliga-Aufstieg. Und nun, 2015, schafft er zum dritten Mal in der Klub-Historie den Sprung in Liga eins.

Sinnieren über das Unfassbare

SV Darmstadt 98 v FC St. Pauli  - 2. Bundesliga

Plötzlich in der 1. Liga: Die Spieler aus Darmstadt

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von der vierten in die erste Liga in zwei Jahren - manchmal ist's doch okay, wenn ein Verein sein Werk als "Wunder" feiert.

Zumal die Rahmenbedingungen bei der Gestaltung dieses Wunders wirklich besonders waren. Der Etat betrug nur etwas mehr als fünf Millionen Euro, er wird auch jetzt in der ersten Liga nicht übertrieben ansteigen. Einen Manager gibt es nicht, so etwas sei doch viel zu teuer und würde ohnehin nur zu Kompetenzgerangel mit dem Trainer führen, sagte Präsident Fritsch einmal. Auf der Geschäftsstelle arbeiten gerade mal ein Dutzend Hauptamtliche, dafür fungierten die Väter von Trainer und Co-Trainer bis vor Kurzem als Scouts, und die Frau vom Präsidenten fährt schon mal einen kranken Spieler nach Hause.

Nummer sieben

Durchmärsche in die Bundesliga:

Darmstadt 98 ist die siebte Mannschaft im deutschen Fußball, die direkt von der 3. Liga in die Bundesliga durchmarschiert. Dies gelang bisher: 1994 TSV 1860 München

1995 Fortuna Düsseldorf

1996 Arminia Bielefeld

1998 1. FC Nürnberg

1999 SSV Ulm 1846

2008 TSG Hoffenheim

2015 SV Darmstadt 98

Von Darmstadts Vorgängern ist übrigens nur die TSG Hoffenheim noch erstklassig.

Als im Winter Schnee lag, wussten die Lilien manchmal nicht, wo sie trainieren sollten. Und dann dieses Stadion Böllenfalltor, die vielleicht erstligauntauglichste Spielstätte, die die erste Liga seit ein paar Jahren gesehen hat. Aber fürs Erste müssen die Bayern und Dortmunder und all die anderen da durch. Zwar haben sie in Darmstadt beschlossen, das Stadion für fast 30 Millionen Euro zu sanieren, aber vor 2016 wird das nichts, vermutlich wird sich das Ganze noch länger hinziehen.

Zum dritten Mal spielt Darmstadt jetzt in der Bundesliga. Bei der Premiere 1978/79 traten sie als bessere Freizeitelf auf, die meisten Spieler arbeiteten nebenbei in normalen Berufen, Training war immer erst nachmittags um halb vier - am Ende stand Platz 18. 1981/82 ging es schon ein bisschen professioneller zu, viel brachte es nicht, Rang 17. Und nächstes Jahr?

"Was heute passiert ist, werden wir erst nächste Saison verstehen, wenn uns Robben sieben Knoten in die Beine spielt", sagt Mittelfeldspieler Florian Jungwirth. Aber nur ein paar Meter weiter steht da sein Trainer Dirk Schuster, dieser so zurückhaltende, aber auch so spürbar ehrgeizige Typ, der 2007 den Trainerlehrgang des DFB als Jahrgangsbester abschloss und aus dem Außenseiter Darmstadt eine Elf mit prägnantem Lange-Bälle-Spielstil sowie großer Standardstärke geformt hat. Und wie Schuster da steht und über die unfassbaren vergangenen zweieinhalb Jahre des Darmstädter Wegs sinniert, da macht er den Eindruck, als denke er gerade nicht an sieben Knoten. Sondern daran, dieses Wunder noch ein klein wenig zu verlängern.

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