Formel 1:Schwäche beim Rechnen

Nach dem Strategiefehler, der Lewis Hamilton um den sicheren Monaco-Sieg bringt und Nico Rosberg jubeln lässt, streiten die Mercedes-Gewaltigen über mögliche Konsequenzen.

Von René Hofmann, Monte Carlo/München

Lewis Hamilton war bedient. Das war deutlich zu sehen. Der Brite fuhr die Tafel um, die den Parkplatz für den Drittplatzierten markierte. Bei der Siegerehrung behielt er erst die Schildmütze lange auf, dann wischte er sich wieder und wieder über die Augen - als müsse er Tränen vertreiben. Als Sieger Nico Rosberg und der Zweitplatzierte Sebastian Vettel (Ferrari) den Champagner spritzen ließen, schlich Hamilton teilnahmslos davon. Und als die drei Bestplatzierten vor laufenden Kameras vernommen wurden, da saß er zunächst reglos im Hintergrund. Als schließlich die Frage an ihn erging, wie er sich fühle, antwortete er mit aller Contenance, die er aufbringen konnte: "Nächstes Jahr werde ich zurückkommen und versuchen zu gewinnen."

Ein Formel-1-Rennen zu verlieren - das ist eine bittere Erfahrung. Lewis Hamilton aber hat an diesem Sonntag nicht nur das erlebt. Er erlebte die größtmögliche Steigerung. Er verlor den Monaco-Grand-Prix, das Formel-1-Rennen schlechthin, den am meisten beachteten Auftritt des Jahres, das glitzernde Highlight der Saison, die prestigeträchtigste Veranstaltung überhaupt. Und er verlor, obwohl er 65 Runden lang souverän geführt hatte. Obwohl er elf Runden vor dem Ziel mehr als 20 Sekunden voraus war, "und sogar noch doppelt so weit hätte voraus sein können", wie er selbst sagte. Statt seinen Vorsprung in der WM-Wertung auf seinen Teamkollegen nach dem sechsten von 19 Rennen auf komfortable 27 Punkte auszubauen, schrumpfte dieser bedrohlich. Vor dem Auftritt in Montréal am 7. Juni ist Rosberg nun nur noch zehn Zähler zurück. "Das war das glücklichste Ding in meiner Karriere", räumte der Deutsche ein.

Der Coup wurde nur möglich, weil den Mercedes-Strategen ein folgenreicher Fehler unterlief. Seinen Ursprung hatte dieser in einem Unfall. Zu Beginn seiner 64. Runde hatte der erst 17 Jahre alte Toro-Rosso-Fahrer Max Verstappen die Nerven verloren. Am Ende der Start- und Ziel- geraden griff er den vor ihm fahrenden Romain Grosjean im Lotus an. Dabei verschätzte Verstappen sich spektakulär. Mit mehr als 270 km/h fuhr er gegen den rechten Hinterreifen des Rivalen. Verstappen blieb unverletzt - obwohl sein Wagen sich tief in die Sicherheitsbegrenzungen in der Rechtskurve bohrte, die zum Casino hinauf führt. Für die ungestüme Aktion bekam der Neuling vom Automobilweltverband FIA eine Strafe: Beim nächsten Rennen wird er in der Startaufstellung um fünf Startplätze strafversetzt.

Damit die Trümmer geborgen werden konnten, aktivierte die Rennleitung zunächst das "virtuelle Safety Car". Das heißt, alle Rennwagen bekamen langsame Sektorenzeiten vorgegeben, damit die Bergungskräfte sicher ihre Arbeit tun konnten. Kurz darauf schickte Rennleiter Charlie Whiting das eigentliche Safety Car auf die Strecke, um das Feld zu sammeln.

Hamiltons Jammern, schlechte GPS-Signale - für die Eselei gibt es einige Gründe

Die gemächliche Fahrt nutzte Lewis Hamilton für einen Blick auf eine der zahlreichen Leinwände an der Strecke. Dort glaubte er zu sehen, wie die Mercedes-Crew vor die Garage trat. Hamilton dachte, der hinter ihm fahrende Rosberg wolle sich an der Box neue Reifen besorgen. Daraufhin begann er am Funk über den Zustand seiner Pneus zu jammern.

Diese Klage traf bei den Strategen auf offene Ohren, sie hatten ebenfalls Sorgen: Sie fürchteten, der drittplatzierte Sebastian Vettel könnte die Safety-Car-Phase nutzen, um sich neue Reifen zu besorgen, mit denen er dann einen furiosen Schlussspurt starten könnte. Aus Angst, einer der Fahrer könne sich benachteiligt fühlen, gibt es bei Mercedes nur einen Rennstrategen, der die Taktiken für beide Autos bestimmt: James Vowles. Er wird unterstützt von einer Reihe an Ingenieuren, die in der Firmenzentrale in Brackley das Rennen in Echtzeit verfolgen und stets beobachten, wo die Konkurrenten sich befinden und was diese tun.

Weil aus den Häuserschluchten in Monaco die Satelliten-gestützten Signale, die jedes Auto aussendet, nicht so zuverlässig fließen wie auf anderen Rennstrecken, hatten sie dabei Schwierigkeiten. Sie schätzten Hamiltons Vorsprung - und dabei vertaten sie sich, auch weil der Brite hinter dem ungewöhnlich langsam fahrenden Safety Car auf dem Weg in die Box mehr Zeit verlor als gedacht: Als Hamilton nach dem an sich schon unnötigen Stopp auf die Strecke zurückbog, war er jedenfalls nur noch Dritter und sofort desillusioniert. "Wir haben es verloren, oder?", fragte er seine Crew fassungslos am Funk. "Warum habt ihr das getan?"

Zu viel Mathe, zu wenig Intuition: Auf diese Formel ließ sich der Fehler bringen. In der Analyse waren sich alle einig. Wie zu verhindern ist, dass er sich wiederholt - da aber streiten sich die Mercedes-Gewaltigen. Team-Aufsichtsratschef Niki Lauda spricht von einem "inakzeptablen" Fehler und fordert Konsequenzen: "Zu viele Köche verderben den Brei." Der 66-Jährige fordert, Technikchef Paddy Lowe müsse in solchen Momenten das letzte Wort haben. Dem aber widerspricht Teamchef Toto Wolff, 43: "Menschenverstand ist gut und schön, gewinnt dir auf Dauer aber keine Rennen. Du musst datenorientiert sein", glaubt er. Von personellen Konsequenzen wollte Wolff zunächst nichts wissen: "Wir müssen einfach überprüfen, wo unsere Mathematik heute eine Crux hatte."

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