Tennis in Paris:Flirt mit dem Debakel

2015 French Open - Day Three

"Ich weiß echt nicht, was ich sagen soll": Eugenie Bouchard ist nach ihrem Aus in Paris ratlos.

(Foto: Getty Images)

Die kürzlich noch hochgelobte kanadische Tennisspielerin Eugenie Bouchard, Aufsteigerin des Jahres 2014, sucht nach dem Erstrunden-Aus bei den French Open Erklärungen für ihre jüngsten Misserfolge.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Die Tür geht auf, herein kommt die Tennisspielerin Eugenie Bouchard, ernste Miene, glasiger Blick, blasser Teint. In diesem Moment ist es schwer vorstellbar, dass die 21-Jährige aus Montreal auch einen Model-Vertrag besitzt und strahlend Titelblätter von Modebibeln ziert. Bouchard setzt sich. Kein Manager in der Nähe, kein Trainer, keine Eltern, auch Zwillingsschwester Beatrice kann ihr nicht beistehen. Bouchard ist jetzt allein. Ein Drama findet im Salle de Presse nicht statt, das wäre unangemessen gegenüber realen Dramen: Vor zwei Tagen erst sind in Paris zwei Kinder samt Mutter gewaltsam ums Leben gekommen. Das ist wirklich zum Heulen.

"Life is still good", sagt Bouchard. Sie weiß schon, wie gut es ihr noch geht. Dass sie auf der Sonnenseite steht. Aber das heißt ja nicht, dass auch vermögende Berufssportler nicht leiden dürfen. Oder?

"In dieser Phase hatte ich gar keine Erwartungen", sagt sie, und, ja, leider hat sie diese erfüllt, wieder. Einmal Superstar und zurück, das wäre etwas zu böse formuliert, aber Bouchards Laufbahn geht in diese Richtung. Sie gilt immer noch als "eine der Wenigen, die das Potenzial zur Nummer eins hat", wie Martina Navratilova meinte. Nur überwiegt zunehmend die PR-Leistung, die Außendarstellung; der sportliche Erfolg hält nicht mit der Entwicklung der globalen Marke Eugenie Bouchard stand.

Die Geschichte von Bouchard lässt sich auf zwei Ebenen erzählen. Da ist die Sportlerin, die 2014 so erfolgreich war, die sich mit frechen Grundlinienschüssen ins Halbfinale der Australian und der French Open spielte, in Nürnberg ein WTA-Turnier gewann, ins Finale von Wimbledon einzog und am Ende der Saison zu den besten Acht zählte. In der Retrospektive startete im Oktober in Singapur schon ihr erstaunlicher Abwärtstrend, gegen Serena Williams, Simona Halep und Ana Ivanovic holte sie nur elf Spiele. Bei diesen French Open waren es beim 4:6, 4:6 acht gegen die Französin Kristina Mladenovic, beim 0:5 im zweiten Satz flirtete sie mit dem Debakel. Ihre Bilanz 2015: kein Sieg gegen Top-30-Profis, nur ein Erfolg in den letzten sieben Matches, zwei K.o.'s gegen Qualifikantinnen. "Ich weiß echt nicht, was ich sagen soll", gab Bouchard am Dienstag zu. Sie rutscht nun auch aus den Top Ten.

Gelangweilt vom Triumph - so klingt das plötzlich bei der 21-Jährigen

Sie würde gerne einfach ihre erste Erstrunden-Niederlage bei einem Grand Slam nach acht gelungenen Starts in Serie abhaken. "Aber es ist schwer, sich vorzunehmen, sich keine Gedanken zu machen." Da ist ja die zweite Ebene ihrer Geschichte. Ihr ganzes Leben ist darauf ausgerichtet, eine Sonderrolle im Tennis einzunehmen. Die Eltern zogen ihretwegen nach Florida, wegen der besseren Trainingsbedingungen. Ein Vermarktungsgigant krallte sich das Talent. Die Frauentour verlieh ihr einen Aufsteiger-Preis, wirbt mit ihr als Stern der jungen Generation. Als Model besitzt sie ein Alleinstellungsmerkmal, als Selfie-Queen gilt sie ohnehin. Ihre Fans nennen sich Genie-Army. Binnen 15 Monaten ist ein Bouchard-Kosmos entstanden. Modernes Sport-Business erster Güte.

"What's wrong with Eugenie Bouchard?", das fragen sich nun die internationalen Medien, was läuft falsch bei ihr? Der englischen Tageszeitung Guardian gab sie eine halbwegs schlüssige Erklärung, im April. "Du gewöhnst dich an Siege. Ich hatte drei Halbfinals und dachte: Okay, das ist normal. Das also mache ich den Rest meiner Karriere." Gelangweilt vom Triumph, so klang das plötzlich. Sie hat, mit 21, ja schon eine komplette Karriere in den Knochen. Sie tickt aber auch speziell. Der New York Times hat die Mutter verraten, wie ihre Zwillinge einst mit Puppen spielten und Eugenie abrupt die Freude am Spielzeug verlor. Es war ihr völlig bedeutungslos geworden. Sie besitzt einen extremen Willen, wollte die Mutter sagen. Der sich auch im Selbstbewusstsein widerspiegelt. Als sie 2014 in Melbourne den Durchbruch schaffte und Euphorie wegen ihr herrschte, sagte sie ernst und kühl: "Ich bin nicht überrascht. Ich erwarte Großes von mir, dafür trainiere ich." Und dafür wird alles getan. Selbst ihr Physiotherapeut soll oft ihre Tasche tragen, weil im Tennis jedes Prozent entscheiden kann. Und eine Tasche zu tragen, kann eben das eine Prozent zu viel Belastung sein. In ihrem Kosmos ist Zufall ein Fremdwort. Und jetzt kommt ausgerechnet Misserfolg dazwischen. Das ist das Dilemma. Daher auch die Ratlosigkeit.

Wie Bouchard wirklich denkt, ist schwer zu sagen, sie ist kaum zu greifen hinter der perfekten Maske, selbst ihr neuer Trainer Sam Sumyk mühte sich fast verzweifelt im Interview mit der französischen Sportzeitung L'Équipe, seine Spielerin ins rechte Licht zu rücken. Ihr fehle nur Selbstvertrauen, es sei klar, dass sie alle hassen, das sei so in der obersten Liga, sie habe tolle Charakterzüge. Mag sein, nur eckt sie schon mal wegen ihrer Ruppigkeit an. Freunde gebe es nicht auf der Tour, schwört sie. Wie zum Beweis verweigerte sie im Fed-Cup vorab den Handschlag mit Gegnerinnen, dabei ging es nur um ein Foto: Sie wolle ihren Gegnerinnen kein Glück wünschen. Die Rumänin Alexandra Dulgheru bestrafte sie bittersüß - siegte, lief zu den Teamkolleginnen, streckte die Hand aus - und zog sie zurück. Bouchard hat einen Apparat an Zuarbeitern, aber keiner ist in der Lage, ihr zu sagen: Ein Handschlag ist manchmal nur eine Geste des Respekts, entspann dich!

Bouchard denkt aber selbst in der Krise groß. Der Golfer Tiger Woods fällt ihr ein, wie der Tiefs erlebte. Oder der Basketballer LeBron James, der sagte, er mache während der Playoffs das Handy aus, wegen des ganzen Social-Media-Krams. "Vielleicht sollte ich das auch machen. Es ist wichtig, in seiner Blase zu bleiben." Wohl wahr, nur zeigt diese Blase Risse.

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