Gesundheit:Eine süße Lüge

Gesundheit: Wenn Schokolade dünn statt dick machen würde, müssten Geschwister wohl seltener ihre Tafel teilen.

Wenn Schokolade dünn statt dick machen würde, müssten Geschwister wohl seltener ihre Tafel teilen.

(Foto: Emil Umdorf/imago)

"Schokolade macht schlank" verspricht eine neue Diät. Die Nachricht geht um die Welt. Doch die entsprechende Studie haben sich Journalisten ausgedacht.

Von Lars Langenau

Als die Pressemitteilung des "Instituts for Diet and Health" über den Ticker lief, wurde tatsächlich "der Traum vieler Naschkatzen" wahr: "Neueste Studien beweisen: Schokolade hilft beim Abnehmen", stand da. Der Fettabbau werde beschleunigt, der Jojo-Effekt minimiert und das psychische Wohlbefinden gestärkt. Ende März buchte das Institut den Versand über den Pressemitteilungsticker der dpa-Tochter ots - und bald ging diese süße Nachricht um die Welt. Zunächst griffen nur ein paar unbedeutende Blogs diese Nachricht auf, doch dann brachte Bild die Meldung auf der Titelseite: "Diese Studie schmeckt uns: Wer Schokolade isst, bleibt schlank." Umgehend folgten RTL, Focus.de, Brigitte, Daily Mail, die Cosmopolitan, diese Woche dann das Magazin Shape und selbst die Indian Times berichtete über die Sensation des "Non-Profit Think Tank" aus Mainz.

Nur: Dieses Institut gibt es gar nicht. Und eine richtige Studie auch nicht. Die Medien sind einem Schwindel aufgesessen, der immer noch die Runde macht. "Gerade ist unsere 'Studie' in Australien gelandet", berichtet der für den Fake verantwortliche freie Journalist Peter Onneken. "Vorher war sie in Nigeria, wobei mir bis dahin gar nicht klar war, dass es dort ein Problem mit Überernährung gibt."

Die Journalisten gaben sich als Forscher aus und kleideten sich auch in weiße Kittel

Onneken und seine Kollegin Diana Löbl dokumentieren in der Koproduktion von Arte und ZDF Schlank durch Schokolade, wie einfach wir uns von dubiosen Studien manipulieren lassen - und wie die Vermarktungswege der Industrie selbst für die absurdesten Diäten verlaufen. Im Mittelpunkt dabei: diese Wissenschaftslüge, die um die Welt geht.

Dazu starteten die Autoren ein Experiment, um zu zeigen, wie blind viele Journalisten vermeintlich wissenschaftlichen Studien vertrauen, selbst wenn diese aufgrund der Fragetechnik unseriös sind und auf äußerst dünner Datendecke beruhen. Onneken und Löbl hatten ihre Daten mit der Hilfe zweier Gesundheitswissenschaftler und des Kollegen John Bohannon vom weltweit führenden Wissenschaftsmagazin Science selbst erhoben. Einige wenige Probanden luden sie ein, zogen weiße Kittel über ("Kleider machen Leute") und teilten sie in drei Gruppen ein: Eine Gruppe mit tatsächlich nur fünf Personen hielt eine strenge Diät und bekam zusätzlich noch Schokolade; eine andere war nur auf Diät - und eine dritte Minigruppe aß und trank weiter wie bisher. Mini war auch der Beobachtungszeitraum: Drei Wochen dauerte das Ganze, wurde aber umfangreich dokumentiert. "Wir wollten so viele Daten wie möglich sammeln, damit wir uns das raussuchen können, was uns passt", sagt Löbl.

Nachher hieß es: "Deutsche Wissenschaftler haben herausgefunden: Dunkle Schokolade kann bei einer Diät als Beschleuniger der Gewichtsreduktion dienen." Die Antworten aus den Fragebögen dieser absurden Laborsituation waren so ausgewertet worden, dass dies herauskam. Es ist natürlich keine wissenschaftliche Erkenntnis. "Schokolade ist ein Fett-Verbrenner: das war unsere These und die wollten wir um jeden Preis beweisen", sagt Löbl. "Das stimmt zwar nicht, aber die Leute glaubten uns dennoch."

Löbl und Onneken arbeiteten bereits für eine ARD-Dokumentation über Leiharbeiter bei Amazon zusammen. Diesmal haben sie sich der Diätindustrie zugewandt, die Milliardenumsätze macht: Jeder zweite Deutsche würde gerne abnehmen. "Und dazu wird jede Menge Unsinn veröffentlicht", sagt Löbl. Es gibt die Dukan-Diät, Spaß-Diät mit Süßigkeiten, Low-Carb, Leber-, Walnuss-, Sellerie- und die Honig-Diät, selbst eine Werwolf-Diät existiert und wird angeblich von Demi Moore und Madonna angewendet. Eine Form des Abnehmens übrigens, bei der man nur nachts essen darf.

Fast 30 000 Ernährungsstudien haben die Autoren gefunden. Und beinahe jede sage etwas anders aus. Weil die Ernährungswissenschaft vorwiegend auf Beobachtungsstudien beruht, die nur Vermutungen, aber niemals Beweise liefern. Aber für die Industrie ist das wertvoll, publizierte Wissenschaft ist kostenlose Werbung. "Jede Diät findet ihre Abnehmer", sagt Onneken. Gesellschaftlicher Druck und ein Schlankheitskult machen es möglich. Ihr Film zeigt dagegen ein System, das vor allem die frustriert, die abnehmen wollen. Um Magersucht und Bulimie geht es und auch um die Verquickung von renommierten Medizinern mit Unternehmen wie dem Abnehmclub Weight Watchers.

"Man vertraute einfach der Pressemitteilung, in der wir ein Märchen erzählten."

"Wissenschaftsmüll" nennt Onneken das und findet, dass viele seiner Journalisten-Kollegen dabei eine fragwürdige Rolle spielen. Offensichtlich prüften viele die Echtheit des Instituts nicht nach, keiner stutzte ob der lächerlich geringen Zahl an Probanden. Vielleicht auch, weil alles auf Englisch verfasst war. Wissenschaftsenglisch. Das macht was her. Und es wirkte. Kurzum: "Man vertraute einfach der Pressemitteilung, in der wir ein Märchen erzählt haben", sagt Onneken. Und schämt sich auch für manche Kollegen. Ob er mit sich im Reinen sei, obwohl er wieder die Vorurteile gegen die angebliche Lügenpresse befeuere? Er habe ein schlechtes Gewissen, sagt Onneken, "dass ich in einer Branche arbeite, die offensichtlich immer mal wieder nach einem Motto vorgeht: 'Wenn die Geschichte zu gut ist, dann bloß nicht recherchieren.'" Und was mit Schokolade funktioniere, funktioniere auch mit "Brennnesselsud hilft gegen Hodenkrebs" - nur dann werde es gefährlich und kriminell. Andererseits spreche es auch für die Branche, dass sich keine Qualitätszeitung darauf eingelassen habe.

Begleitet haben Löbl und Onneken ihre Studie mit einer schnell gemachten Homepage ihres "Instituts", einer dazu passenden Facebook-Seite samt vermeintlichen Fans und Videoclips inklusive Stripeinlage einer schlanken blonden Frau, die übrigens auch für andere Diäten wirbt. Einen eigenen Song haben sie sich ebenfalls ausgedacht. Der Refrain: "Die Schokoladen-Diät veränderte mein Leben!"

Schlank durch Schokolade. Eine Wissenschaftslüge geht um die Welt, Arte, 5. Juni, 21.50 Uhr und ZDF, 7. Juni, 15.30 Uhr.

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