TSV 1860 vor der Relegation:Geister von Norderstedt

Adlung and his team mates of TSV 1860 Munich leave the pitch after their German second division Bundesliga soccer match against Karlsruhe SC in Karlsruhe

Enttäuschte Spieler des TSV 1860, in der Mitte Daniel Adlung.

(Foto: REUTERS)

Mit einem zerrissenen Kader reist der TSV 1860 München vor den Relegationsspielen gegen Holstein Kiel ins Trainingslager. Ob der Klub im Fall der Fälle die Drittliga-Lizenz erhalten würde, ist fraglich.

Von Markus Schäflein und Philipp Schneider

Die Pfingstferien hatten begonnen, für den TSV 1860 München spitzte sich der Kampf um den Verbleib in der zweiten Bundesliga immer mehr zu, und am Tag zuvor hatte der Stürmer Rodri dem Torwart Stefan Ortega eine Ohrfeige verpasst. Kein Wunder also, dass es auf dem Trainingsgelände an der Grünwalder Straße am Dienstagnachmittag so voll war wie lange nicht, über 100 Fans wollten die Übungseinheit sehen, selbst Werner Lorant war da. Der Erfolgstrainer lang vergangener Tage lehnte das von einem Anhänger geäußerte Ansinnen, er solle die Mannschaft für die zwei Relegationsspiele gegen Holstein Kiel übernehmen, allerdings ab: "Das kannst du selber machen."

Die zahlreichen Anhänger warteten am falschen Ausgang. Die Spieler kamen nicht aus dem Kabinentrakt, sondern Richtung Straßenseite aus der Geschäftsstelle und eilten von dort ohne Umweg oder Plauderei direkt Richtung Isarauen zur Laufeinheit. Schläger Rodri war nicht dabei - seine Suspendierung durfte man nicht nur als disziplinarische Maßnahme deuten, sondern auch als ein weiteres Signal von Trainer Torsten Fröhling an die zerrissene und zerstrittene Mannschaft, dass bei ihm nur noch spielt, wer sich ins Gefüge einpasst und den Teamerfolg über alles andere stellt.

Der Großteil seiner Stammelf besteht schon seit Langem aus altgedienten 1860-Profis und Jungspunden aus der Regionalliga-U21, von den Zugängen des Sport-Geschäftsführers Gerhard Poschner spielten zuletzt nur noch wenige. Auch auf dem Trainingsplatz war die Grüppchenbildung oft deutlich zu erkennen, nicht nur bei der Rangelei um Rodri.

Weil sie nicht jeden Tag vor den Fans in die Isarauen flüchten kann, reist die Mannschaft an diesem Mittwoch in ein Trainingslager nach Norderstedt. Weit weg von der Hektik der Grünwalder Straße, dafür schon nahe an Kiel, will Trainer Torsten Fröhling die Spieler auf die Relegationspartien einschwören. "Ich denke mal, dass hier zur Zeit ein bisschen Unruhe herrscht", sagte Fröhling, und das konnte man durchaus so behaupten. "Wir wollen uns bestmöglich vorbereiten und fokussieren. Und deshalb möchten wir unter uns sein."

Am Freitag (20.30 Uhr) steht das Hinspiel der Relegationsrunde beim Drittliga-Dritten an, nur die 19 Spieler, die im Kader stehen werden, durften auch mitfahren ins Trainingslager; in Rodri, Ilie Sanchez und Edu Bedia blieben drei von Poschner verpflichtete Spanier in München, ebenso wie Martin Angha, der schon zuletzt in Karlsruhe fehlte, nach Vereinsangaben wegen einer Erkrankung. Moritz Volz bleibt mit Magen-Darm-Problemen in München. Außergewöhnliche Kennenlernspielchen oder andere esoterische Praktiken zur Förderung der Harmonie im Team sind im Lager nicht geplant:

"Wir werden jetzt nicht durch die Waschanlage laufen", sagte Fröhling in Anspielung auf die ziemlich erfolgreiche Karma-Abspül-Maßnahme, mit der Trainer Tomas Oral beim FSV Frankfurt noch den direkten Klassenerhalt gesichert hatte. Dass seine Mannschaft vor lauter Grüppchenbildung "völlig kaputt" sei, wie ein wichtiger Mitarbeiter bei Sechzig diagnostiziert hatte, wollte Fröhling auf Nachfrage gar nicht deutlich in Zweifel ziehen. Er sagte nur: "Das ist meine Mannschaft. Das ist die Mannschaft von 1860. Das ist die Mannschaft, die jetzt den Klassenerhalt sichern will und muss."

Drittliga-Lizenz wird ein "Kraftakt"

Schon dieser Donnerstag wird ein richtungsweisender Tag werden für 1860: Finanz-Geschäftsführer Markus Rejek muss dann beim Deutschen Fußball-Bund die Unterlagen einreichen, in denen nachzulesen sein soll, wie der Klub für den Fall des Abstiegs die Auflagen und Bedingungen für die Drittliga-Lizenz erfüllen will. Es gebe "Puzzlestücke, die im Laufe der Woche zusammengefügt werden müssen", erklärt Rejek, "die Maßnahmen sind besprochen." Der Geschäftsführer macht keinen Hehl daraus, dass es ein "Kraftakt" ist, die Lizenz für die dritte Liga zu erhalten: "Das wäre für jeden Zweitligisten so, weil man sehr viel Geld verliert."

So sinkt etwa der Zuschuss vom Fernsehen von bislang rund 7,7 Millionen Euro auf 750 000 Euro. Und auf große finanzielle Hilfe von Investor Hasan Ismaik werden die Löwen nicht bauen können. "Auch darauf sind wir vorbereitet", erklärte Rejek, "wir hatten jetzt nicht die Erwartungshaltung, dass da viel kommt." Zumal Ismaik für die Vereinsverantwortlichen seit Wochen nicht mehr zu erreichen ist. "Wir halten in unseren Bereichen Kontakt zu den jeweiligen Fachbereichen in Abu Dhabi", versuchte sich Rejek an einer Beschwichtigung, "insofern ist Abu Dhabi komplett mit uns im Boot."

Was den Spielort angeht, will Rejek zwei Szenarien einreichen - einen Verbleib in der Fröttmaninger Arena und einen Umzug ins Stadion an der Grünwalder Straße. Gravierende Änderungen gäbe es selbstredend beim Personal, der Spielerkader würde gänzlich anders aussehen, die allermeisten Profis hätten keinen Vertrag mehr. Ein Weggang soll bereits feststehen: Julian Weigl würde, wie ein Journalist des Stadtanzeigers Dortmund berichtete, zu Borussia Dortmund wechseln.

Ebenso große Einschnitte wären auf der Geschäftsstelle nötig - Gehaltskürzungen und betriebsbedingte Kündigungen wären nicht zu vermeiden. Laut tz haben alle Mitarbeiter einer Kürzung von 20 Prozent bereits zugestimmt. Auch war zu hören, Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner würde in der dritten Liga auf 70 Prozent seines Gehalts verzichten. Nach SZ-Informationen müsste sein Gehalt laut Vertragswerk im Abstiegsfall allerdings ohnehin völlig neu verhandelt werden. Weil es dank einer Klausel nur in der zweiten Liga gültig ist. Insgesamt, heißt es, stünden laut Planung nur noch 120000 Euro für die Geschäftsführung zur Verfügung - die auch nur noch mit einer Person besetzt sein soll. Auch im Bereich Scouting müsste deutlich eingespart werden. Die nähere Zukunft des Nachwuchsleistungszentrums wäre nicht gefährdet, allerdings würde die erfolgreiche U21-Mannschaft aus der Regionalliga in die Bayernliga Süd zwangsversetzt und somit der gesamte Unterbau für Talente, die abwägen, welchem Verein sie sich anschließen, deutlich unattraktiver.

Um das Schreckensszenario, das alle Bereiche des Klubs beträfe, noch zu verhindern, war als Motivationsprogramm ein Stadionbesuch beim HSV vorgesehen. Der Bundesligist trifft am Donnerstagabend im ersten Spiel der zweiten Relegation auf den Zweitligisten Karlsruher SC. Auf eben jenen KSC, der Sechzig mit einem 2:0 am letzten Spieltag in die Relegation befördert hatte. "Wir hätten nur noch Karten im KSC-Block bekommen können", sagt Fröhling, daher wurde der Besuch abgesagt: "Nachher bricht dann irgendwer einem von uns die Nase und der fällt aus." Dann wären es nur noch 18.

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