Politikum:Mintmädchen- Rechnung

Ständig wird es zum Problem erklärt, dass Mädchen diese brotlosen sozialen Berufe ergreifen. Erzieherin, Altenpflegerin, Krankenschwester, so was. Aber kann die Gesellschaft es sich leisten, Sozial- und Geisteswisschenschaften zu tendenziell unnützem Zeugs zu erklären?

Von Nadeschda Scharfenberg

Jetzt ist es also auch in Bayern amtlich: Die Mädchen sind in der Schule besser als die Buben. Sie schaffen es eher auf die Realschule oder aufs Gymnasium, bleiben seltener sitzen, machen die besseren Abschlüsse. Das belegen Zahlen, die das Kultusministerium dieser Tage in einem Bericht zusammengefasst hat. Das alles kommt einem bekannt vor, und bekannt ist auch, wie solche Erfolgsaufzählungen weitergehen - nämlich mit einem großen Aber. Die Mädchen sind super in der Schule, ABER dann studieren sie nicht Informatik, Maschinenbau oder höhere Mathematik, sondern werden Kindergärtnerin, Altenpflegerin, Krankenschwester. Und aus ist's mit der Frauen-Herrlichkeit.

Ständig wird es zum Problem erklärt, dass Frauen sich für diese brotlosen Jobs entscheiden. Dabei ist die Problematisierung der sozialen Berufe das eigentliche Problem. Jemand, der alte Menschen füttert oder mit Kindern Fingerfarbenbilder malt, wird geringer geschätzt und schlechter bezahlt als einer, der die Statik von Brücken ausrechnet oder Software programmiert. Wenn ein Kind nach dem Abitur seinen Eltern eröffnet, es wolle Sozialpädagogik studieren, müssen sie ihm in Hinblick auf die finanzielle Zukunft dringend abraten und ihm eines dieser Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) einreden. Kind, werde lieber Ingenieur!

Im Mint-Zeitalter ist Technik Trumpf und das Sich-um-andere-Kümmern Gedöns. Aber wer soll eigentlich die Kinder von all den Wirtschaftsinformatikerinnen und Raumfahrttechnikerinnen betreuen? Anders gefragt: Kann es sich eine Gesellschaft leisten, die Sozial- und Geisteswissenschaften zum tendenziell unbrauchbaren Zeugs zu erklären? Die Antwort gibt sich in Zeiten des Kita-Streiks von selbst: Nein, kann sie nicht. Wenn die Sozialberufe nicht mehr geschätzt und besser bezahlt werden, wird die Gesellschaft arg ins Wanken geraten, Stichwort Pflegenotstand, Stichwort Erziehermangel. Es ist also gesellschaftspolitischer Unfug, in Dauerschleife zu wiederholen, dass die Besten, also auch und vor allem die Mädchen, doch bitte schön einen technischen Beruf ergreifen sollen. Einige von den Besten sollten das gewiss tun, aber genauso wichtig ist es, dass die Besten in jenen Berufen arbeiten, die die Gesellschaft im Kern zusammenhalten. Und dass die Besten auch wie die Besten bezahlt werden.

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