TSV 1860 vor der Relegation:Ruhe vom ganz normalen Chaos

Torsten Fröhling

"Wir freuen uns auch auf morgen, das ist nicht nur Druck": Münchens Trainer Torsten Fröhling.

(Foto: dpa)
  • Trainer Torsten Fröhling beschwört vor den Relegationsspielen gegen den Drittliga-Dritten Holstein Kiel den Zusammenhalt.
  • Verteidiger Kagelmacher und Mittelfeldspieler Rama stehen nach ihren Gelbsperren wieder in der Startelf.
  • Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner schließt einen Rücktritt aus: "Ich bin definitiv keiner, der hinschmeißt", sagt er.

Von Thomas Hahn, Norderstedt

Es soll zu Szenen der innigen Verbundenheit gekommen sein am Mittwoch, als die Fußballer des TSV 1860 München zu ihrem ersten Training im Edmund-Plambeck-Stadion von Norderstedt eintrafen. Das berichtet Löwen-Trainer Torsten Fröhling am Donnerstag vor Journalisten. Und dabei bedauert Fröhling fast ein bisschen, dass diese Freundschaftsgesten genauso unter seine strikte Abschottungspolitik fielen wie die letzten Übungseinheiten seiner Mannschaft vor dem ersten Relegationsspiel an diesem Freitag (20.30 Uhr) bei Holstein Kiel: "Sie waren ja alle nicht dabei." Wirklich schade, sonst hätten alle mal erleben können, wie das aussieht, wenn um 1860 eine einträchtige Atmosphäre herrscht im Gegensatz zu dieser seltsamen Stimmung aus Abstiegsangst, Selbstzerfleischung und Beharrungswillen, die den taumelnden Traditionsverein aus Giesing umwabert.

Fröhling nennt die Relegationsspiele beharrlich "eine Chance"

Es gibt nun kein Entkommen mehr für die Löwen. Der Freitag und der Dienstag sind die Tage, an denen ihre seit Jahren währende Misserfolgsgeschichte entweder den nächsten Tiefpunkt erreicht oder sich noch einmal auf schlechtem Niveau zu einer Art Happy End zurechtbiegen lässt. Trainer Fröhling nennt die beiden Partien des Zweitliga-Drittletzten gegen den Drittliga-Dritten Holstein Kiel beharrlich "eine Chance". Er sagt: "Wir haben uns das auch ein bisschen erarbeitet, dass wir die Relegation spielen dürfen." Er möchte so sein Team stark reden.

Aber die Wahrheit kennt er auch: Der Investoren-Klub 1860 München hat sich derart verspekuliert in der komplizierten Ballsport-Welt, dass er sich nur noch ächzend und knirschend durch den Profibetrieb bewegen kann. Ein Projekt, das mit Spaniern, Aufstiegsansprüchen und niederländischem Trainerverstand begann, hat sich in Streit und Niederlagen aufgelöst. Aus seinen Überresten muss Fröhling jetzt irgendwie die Zweitliga-Teilnahme für 2015/16 zimmern.

Der Gegner kommt dem Trainer entgegen

Fröhling gelingt das ganz gut, in diesem ganzen 1860-Chaos um den nicht erreichbaren jordanischen Geldgeber, den entzauberten Sport-Geschäftsführer Gerhard Poschner und vier zu Hause gebliebenen Profis den Eindruck zu erwecken, als bereite sich da gerade eine ganz normale Mannschaft auf zwei Endspiele vor. Dass ausgerechnet Holstein Kiel der Schicksalgegner ist, kommt ihm dabei entgegen. Denn Fröhlings Verbindungen in den Norden sind erstklassig. Viele Jahre seiner Spieler- und Trainerkarriere hat er dort verbracht, unter anderem bei Holstein Kiel selbst als U23-Trainer und 2009 sogar kurz als Interims-Cheftrainer anstelle des gescheiterten Falko Götz.

Und als Fröhling am Montag an der Grünwalder Straße merkte, wie die Spannung und die Aufmerksamkeit rund um seine Mannschaft stiegen, hat er sich gleich an seine Kontakte ins beschauliche Norderstedt erinnert, wo er einst bei der örtlichen Eintracht als A-Jugendtrainer und Koordinator tätig war. Er hat bei Reenald Koch angerufen, dem Präsidenten des Regionalliga-Klubs. Koch und seine Leute haben dann mit hanseatischer Unkompliziertheit die schmucke Arena an der Ochsenzoller Straße für zwei diskrete Löwen-Einheiten am Mittwoch und Donnerstag abgesperrt. Quartier bezog der Münchner 19-Mann-Kader in einem Hotel im Naturschutzgebiet Alstertal im Hamburger Stadtteil Lemsahl-Mellingstedt.

Kagelmacher und Rama kehren zurück

Viel Grün und viel Ruhe haben die Löwen dort erleben können. Auch wieder ein bisschen Wind, allerdings nur ganz normalen Wind, der in Bäumen und Frisuren wühlte - keinen aus der Münchner Konflikte-Küche. Dort meldet sich am Donnerstag Poschner zu Wort: "Ich bin definitiv keiner, der hinschmeißt", sagt er bei Sport1 und formuliert ungeachtet der Frage, ob dies in weiten Teilen des Klubs wirklich für Erleichterung sorgen würde: " Ich verspreche, dass ich das nicht tun werde." Fröhling lobt unterdessen die" hervorragenden Bedingungen" weit weg von München, dankt den Norderstedtern und spricht über Fußball. Verteidiger Gary Kagelmacher und Mittelfeldspieler Valdet Rama kehren nach ihren Gelbsperren zurück, was Fröhling begrüßt: "So sind wir wieder variabel."

Weigl geht zu Borussia Dortmund

U20-Nationalspieler Julian Weigl wechselt für 2,5 Millionen Euro zu Borussia Dortmund, was beim Erhalt der Lizenz für die zweite (oder vor allem die dritte) Liga entscheidend helfen dürfte. Fröhling findet den Zeitpunkt der Meldung in Ordnung: "Lieber ehrlich voraus" - statt nach der Saison und ausweichenden Auskünften. Ansonsten geht es Fröhling darum, die Aufgabe nicht zu groß werden zu lassen ("Wir freuen uns auch auf morgen, das ist nicht nur Druck") und die Favoritenrolle vernünftig zu moderieren: "Wir haben uns da selber reinmanövriert, das müssen wir jetzt klarstellen."

Kiels Trainer Neitzel setzt sein Team nicht unter Druck

Aber ist 1860 überhaupt noch Favorit nach allem, was war? Nach den ständigen Rückschlägen, den jüngsten Handgreiflichkeiten im Training und den Wirrungen um Poschner? Der Kieler Trainer Karsten Neitzel, einst DDR-Fußballer und Mittelklasse-Profi wie Fröhling, geht natürlich nicht so weit, sein Team unter Druck zu setzen gegen den waidwunden Zweitligisten. Die Löwen haben was zu verlieren, "wir können nur gut aussehen". Aber Neitzel sagt auch: "Wir haben eine echte Chance."

Seine Mannschaft steht nicht für die ganz große Ballzauberei, dafür ist sie geschlossen, charakterstark, gut geordnet und mit sich im Reinen. Sie hat in der Rückrunde selten enttäuscht, und drumherum herrscht ein bodenständiger Unternehmergeist, der unnötigen Streitereien mit Fleiß und Vernunft entgegenwirkt. Holstein Kiel hat alles, was 1860 bräuchte, um wieder ein halbwegs funktionierender Fußballverein zu sein. Mit Blick auf den tapferen Torsten Fröhling sagt Karsten Neitzel: "Ich möchte mit meinem Kollegen nicht tauschen."

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