Internet-Konzern stellt Neuheiten vor:Google, Betriebssystem der vernetzten Welt

Sundar Pichai, Senior Vice President for Products, delivers his keynote address during the Google I/O developers conference in San Francisco

Googles Produktchef Sundar Pichai während der Entwicklerkonferenz I/O in San Francisco.

(Foto: REUTERS)
  • Google kündigt auf der Entwicklerkonferenz I/O ein Betriebssystem für das Internet der Dinge sowie neue Funktionen seines Assistenten "Google Now" an.
  • Der Konzern stellt zudem Android M vor, die nächste Version seines mobilen Betriebssystems.
  • Die neue Software zeigt, wie gut selbstlernende Algorithmen inzwischen funktionieren.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Vor drei Jahren stellte Google seine Datenbrille Glass mit einem Skydive-Sprung auf das Dach der Konferenzhalle in San Francisco vor - 2015 ist die jährliche Entwicklerkonferenz des Internet-Riesen weder ein Ort für Stunts, noch finden sich mehr als eine Handvoll Glass-Träger im Pulk der anwesenden Techies.

Nicht nur das fast vergessene Glass zeigt: Die Zeiten ändern sich schnell und Google mit seinen mehr als 50 000 Mitarbeitern muss aufpassen, mitzuhalten. Android ist zwar das weltweit am meisten verbreitete Mobil-Betriebssystem, doch Apple verdient an seiner iPhone-Hardware mehr Milliarden als je zuvor. Die Google-Suche ist weiterhin eine gigantische Einnahmequelle, doch Facebook holt mit seinen maßgeschneiderten Anzeigen jedes Quartal auf.

Wie also geht es mit Google weiter? Die Antwort von Sundar Pichai, als Produkt-Zar inzwischen der vielleicht derzeit mächtigste Mann im Kreis um Gründer Larry Page: Google will die Kontext-Maschine für die vernetzte Welt sein. Der Konzern hat sehr viel in selbstlernende Systeme investiert - nun zeigt sich erstmals, welche Rolle sie im Google-Kosmos spielen. Ein Überblick zu den Neuigkeiten.

Google Hosts Its I/O Developers Conference

Anil Sabharwal, Chef von Google Photos, bei der Vorstellung der neuen Software.

(Foto: AFP)

Googles Kontext-Maschine

  • Betriebssystem für das Internet der Dinge: Google forciert Standards im Internet der Dinge: Brillo heißt das Betriebssystem für vernetzte Geräte, Weave das Protokoll, damit diese miteinander (und mit Smartphones und der Cloud) kommunizieren können. Weave ist theoretisch nicht an Android als Betriebssystem gebunden - damit will Google die Verbreitung vorantreiben. Wie genau der Konzern aus dem neuen Netzwerk Informationen gewinnen und vermarkten will, ist noch unklar.
  • Google Now "Now On Tap": Googles persönlicher Smartphone-Assistent kann nun noch mehr Kontext erfassen und funktioniert in Apps, ohne diese zu verlassen. Schickt jemand beispielsweise eine Mail über einen Film, lassen sich per einfachem Klick auf den Home-Knopf Informationen über den Streifen aufrufen. Dies zeigt, wie weit die Sprach- und Kontexterkennung inzwischen vorangeschritten ist.
  • Neue Foto-Strategie: Googles neue Foto- und Video-Software stammt aus den Ruinen von Google Plus. Sie ordnet Aufnahmen automatisch nach Orten, Personen und anderen Kontext-Informationen. Bilderkennung macht sie einfach durchsuchbar. Beispiel: Wenn ich nach Schnee-Fotos suche, erkennt Google diese durch eine Analyse des Bildinhalts, selbst wenn ich sie nicht entsprechend benannt habe. Zudem können Nutzer alle Aufnahmen kostenlos und unbegrenzt in der Google-Cloud speichern - Konkurrenten wie Dropbox dürfte das nicht gefallen.

Wenn Googles System meinen Kontext kennt, kann es einfacher vorhersehen, was ich mache - und als eine Art selbstlernendes Betriebssystem für mein Leben agieren. Diese Google-Vision geht weit über Smartphones hinaus, die Software ist nicht vom Endgerät abhängig. Gleichzeitig ist das Smartphone derzeit das Gerät, das Menschen an das Internet anschließt - weshalb Google Android in der "M" genannten neuen Version einige Updates verpasst hat, die stark an die jüngsten Apple-Funktionen erinnern.

Google Hosts Its I/O Developers Conference

Google Produkt-Vize Clay Bavor stellt "Jump" vor, einen Ring für GoPro-Kameras, um Videos für die virtuelle Realität aufzunehmen.

(Foto: AFP)

Googles Neuheiten zu Android, Wearables und virtueller Realität

  • Bessere Datenverwaltung in Apps: Google will die ausufernden Zugriffe von Apps auf Daten wie Kontakte, Ort oder Nachrichten eindämmen, wenn diese nicht per se für eine Anwendung nötig sind. Die Programme fragen nun bei der ersten Verwendung um Erlaubnis, nicht mehr während der Installation. In den Einstellungen können Nutzer zudem per Hebel den Zugriff auf "an" oder "aus" stellen.
  • Chrome-Browser rückt näher an Apps: Die Navigation zwischen Apps und dem Web soll einfacher werden - Links nach draußen öffnet Chrome direkt in einem Tab, von dem sich zwischen App und Web hin und herspringen lässt. Nebeneffekt: Chrome-Alternativen werden in Android weiter an Boden verlieren. Indirekt ist die stärkere Anbindung eine Reaktion auf Facebooks Versuch, mit Funktionen wie "Instant Articles" immer größere Teile des Web auf die eigene Plattform zu bringen.
  • Android Pay und Fingerabdruck-Log-in: Nach Google Wallet macht das Unternehmen mit Google Pay einen neuen Versuch, ein Bezahlsystem zu etablieren. Das System funktioniert per Nahfeld-Sensor, die Autorisierung kann mit der neuen Fingerabdruck-Identifikation stattfinden. Google will damit nicht nur zu Apple Pay aufschließen, sondern kann durch die physischen Einkäufe womöglich einen weiteren aufschlussreichen Datenstrang generieren.
  • Selbstlernende Batterie: "Doze", also "Dösen" heißt das selbstlernende System, das Android-Geräte in unterschiedliche Schlaf-Modi versetzen kann. Wenn ein Nutzer sein Tablet nur abends nutzt, stellt Android tagsüber Systemprozesse zurück, um keine Batterie zu verbrauchen. Google zufolge soll die Batterie "bis zu zwei Mal" länger halten.
  • Updates für Android Wear: Androids Betriebssystem für Smartwatches erhält einige kleine Aktualisierungen, zum Beispiel lassen sich per Schütteln des Handgelenks Seiten umblättern oder kleine Zeichnungen in Emojis umwandeln.
  • Erleichterter Einstieg in VR: Google will Virtual-Reality-Aufnahmen vereinfachen. Dafür stellte es einen Kamera-Ring für GoPro-Kameras sowie eine Software vor, mit der sich Aufnahmen der 16 Kameras zusammenfügen lässt. Die Videos lassen sich in Youtube abspielen, Googles 3-D-Karton Cardboard vorausgesetzt. Die App selber kommt nun nach Android auch für Apples iOS.
Google I/O - weitere Neuheiten

Android lernt, mit welchen Kontakten man seine Inhalte am häufigsten teilt und schlägt diese sofort vor. Die Lautstärke lässt sich nun individuell für jede App einstellen. Google öffnet "Inbox" für alle Gmail-Nutzer. Chrome für Android lädt bei schlechter Verbindung bestimmte Bilder zunächst nicht und erhält Offline-Funktionen. Auch die Offline-Möglichkeiten von Maps werden um Navigation und Suche erweitert. Damit sollen Android-Geräte in Ländern mit schlecht ausgebautem Internet funktionaler werden. Routenpläne für den öffentlichen Nahverkehr werden in weiteren Städten integriert. Developer erhalten die Möglichkeit, auf Google Play Homepages zu bauen. Apps mit familienfreundlichen Inhalten erhalten im Play Store einen Stern als Kennzeichnung. Googles Virtual-Reality-Schachtel Cardboard funktioniert jetzt auf Geräten mit 6-Zoll-Bildschirmen, "Expeditions" soll Schulausflüge in die virtuellen Realität ermöglichen.

Googles Neuheiten - ein Kurzfazit:

Die "Moonshots" genannten Prestigeprojekte wie Internet-Ballons für abgelegene Gebiete der Welt oder selbstfahrende Autos sind auf der I/O nur eine Randnotiz - stattdessen gab Google einen kleinen Ausblick, wie es sich in einer komplett vernetzten Welt der ständigen Datenflüsse als System sieht, das den Menschen das Leben leichter machen kann (und dafür mit Daten bezahlt wird).

Ob sich die Ideen durchsetzen, ist ebenso schwer abzusehen, wie Google als persönlicher Lebensassistent sein Kern-Geschäftsmodell personalisierter Werbung betreiben möchte. Und eine Welt, die auf einem Google-Betriebssystem basiert, dürfte angesichts der gewaltigen Datenmassen alte und neue Fragen aufwerfen, wo die Grenze dessen ist, was ein Konzern wie Google sammeln, auswerten und vermarkten darf.

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