Literatur im Fernsehen:Supermulmig

Das Literarische Quartett

Probesitzen: Maxim Biller, Christine Westermann und Volker Weidermann bei der Pilotsendung.

(Foto: Jule Roehr/ZDF)

Das ZDF will das "Literarische Quartett" wiederbeleben. Aber ist die Bissigkeit aus Reich-Ranicki-Zeiten noch möglich?

Von Christopher Schmidt

Marcel Reich-Ranicki war nicht nur Kritiker-Papst, oberster Buchprüfer der Nation und unübertroffener Krawall-Opa des Literatur-Fernsehens, er war auch ein glühender Verteidiger des Herren-Kniestrumpfs. Um zu vermeiden, dass im Eifer der rituell sitzend abgehaltenen Battles im "Literarischen Quartett" ein unschöner Streifen beharrten Beinfleischs freigelegt wird, pflegte er in den Sendungen Kniestrümpfe zu tragen. Reich-Ranicki hat damit das Seine getan für die Durchsetzung der Choleriker-Socke bei Talkshow-Insassen.

Ach, wie einfach Fernsehen doch einmal war, damals Ende der Achtzigerjahre, als "Das Literarische Quartett" erstmals auf Sendung ging. Seither ist nicht nur das Niveau der Socken-Bündchen deutlich tiefer gerutscht, Öffentlichkeit überhaupt ist komplizierter geworden. Ablesbar ist das auch an den Literatursendungen, die sich immer schon schwer taten mit ihrem Auftrag zur Kulturvermittlung. Das Problem beginnt schon damit, dass Lesen selbst eine rezeptive Tätigkeit ist wie Fernsehen, die Medien Buch und Bildschirm sich also nicht gegenseitig vertreten können, sondern konkurrieren.

Dummerweise ist Denis Scheck bei der ARD

Damit Literatur fernsehtauglich wird, muss ein performatives Moment hinzutreten. Und das ist der Grund, weshalb der Moderator Denis Scheck in seiner Sendung "Druckfrisch" gut gelaunt das Schüttgut aus den Bestsellerlisten eben nicht nur verbal, sondern buchstäblich in die Tonne haut. Mit seiner rhetorischen Brillanz, seiner Fernseherfahrung und seiner Fähigkeit zum schnellen, scharfen und pointierten Urteil wäre der Literatur-Bajazzo Scheck die Idealbesetzung für die Nachfolge Reich-Ranickis auf dem verwaisten Thron des "Literarischen Quartetts". Dummerweise ist er bei der ARD.

Nach dem Ende der Sendung im Jahr 2001 experimentierte das ZDF seinerseits mit unterschiedlichen Formaten. Seit 2011 schleppt der stets verlässlich krampfige Wolfgang Herles sein blaues Sofa an die exotischsten Schauplätze, um es nun in Mainz an der Pförtnerloge abzustellen. Herles geht in Rente.

Puristisch wie damals soll der Zuschnitt sein

Endlich aber soll das Original auf den Bildschirm zurückkehren - ein Remake von "Dalli Dalli" gibt es schließlich bereits. "Das Literarische Quartett", die Mutter aller Schlachten, geht wieder auf Sendung, sechs Mal im Jahr, jeweils am Freitag um 23 Uhr, beginnend in der ersten Oktoberwoche. Puristisch wie damals soll der Zuschnitt sein: Talking Heads, drei feste Teilnehmer reden mit wechselnden Gästen über literarische Neuerscheinungen.

Aufgezeichnet wird die Sendung im Brecht-Museum Berliner Ensemble. Die Location passt zum Retro-Charme der ganzen Idee, die zugleich etwas von einer Stabübergabe hat: 2013 starb Marcel Reich-Ranicki, in diesem Jahr galt es, von Fritz J. Raddatz und Günter Grass Abschied zu nehmen. Dass nun eine neue Generation in die wichtigste Arena der Protagonisten der Nachkriegsliteratur einzieht, in der einst Grass und Martin Walser den Bestien zum Fraß vorgeworfen wurden, wirkt wie eine symbolische Inbesitznahme. In dieser Arena war Reich-Ranicki Gladiator, Löwe und Gottkaiser, der den Daumen hebt oder senkt, in Personalunion gewesen.

Dem neuen Moderator werfen Kritiker Beißhemmung vor

Die Rollen von Koch und Kellner aber werden in der neuen Runde auseinandertreten. Moderator des Neo-Quartetts ist der Literaturkritiker und gewesene Feuilleton-Chef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Volker Weidermann, der gerade zum Spiegel gewechselt ist. Als Kritiker werfen ihm manche Beißhemmung vor, er gilt als Berufs-Emphatiker, als einer, der Bücher eher liked als seziert. Weglassen sei auch ein Urteil, sagt Weidermann, und signalisiert damit, dass er den Strukturwandel der Öffentlichkeit verstanden hat.

Denn mehr als vom Mikroklima der Gesprächsrunde wird es von den veränderten Rezeptions- und Kommunikationsbedingungen abhängen, ob die Wiederbelebung des Formats gelingt. Die Debatte um das "Literarische Quartett" der Neunzigerjahre war geprägt vom Verdacht, hier werde das hehre Amt der Literaturkritik boulevardisiert. Heute geht es unter umgekehrten Vorzeichen um die Frage, wie Qualitätsfernsehen möglich ist.

Lesekanon ist ein Begriff von gestern

Selten genug verfügt das Fernsehen noch über gemeinschaftsstiftende Bindungskraft, das Publikum zerfällt in Zielgruppen mit segmentierten Interessen. Aber auch die Literatur ist unübersichtlicher geworden, hat längst ihre ungleich offeneren Kanäle und Foren. Lesekanon ist ein Begriff von gestern. Geschwunden ist damit zugleich die Autorität der Kunst- und Geschmacksrichter mit ihren Bannflüchen und Vernichtungsblitzen, der Paternalismus der Überväter. Moralische Instanzen sind heute die Fernsehköche.

Aber auch schon zu seiner Zeit zehrte das Quartett von einer Ungleichzeitigkeit. Die Unbelangbarkeit der Literaturkritik war mit dem Ausscheiden von Reich-Ranicki aus der Redaktion der FAZ eigentlich beendet. Im Medium Fernsehen aber wurde die Rolle des Präzeptors noch einmal nachgespielt, als Phantom und komische Oper. Die Härte und Unberechenbarkeit der Urteile entfaltete einen Unterhaltungswert, der mittlerweile in die Castingshows diffundiert ist.

Schon die Gründungs-Idee der Sendung entsprang einem restaurativen Impuls, dem Wunsch der Veteranen, an die glorreichen Treffen der Gruppe 47 anzuknüpfen. Dort und später beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, dann schon im Fernsehen, hatte ja Marcel Reich-Ranicki sein Bühnentalent erprobt. Und das Gespenst der Gruppe 47 spukt immer noch in den Köpfen der Kritiker.

Weidermanns künftiger Widerpart ist der Schriftsteller Maxim Biller

Das beweisen nicht nur die bohrenden Fragen von Iris Radisch, die im Zeit-Interview mit Weidermann kritische Kompetenz einfordert und an die heutige Marginalisierung der Literatur unter Hinweis auf die Gruppe 47 erinnert. Das beweist auch Weidermann selbst, wenn er in seinem großen Einstandsartikel im aktuellen Spiegel schreibt, Autoren könnten auch in der Epoche der literarischen Vereinzelung wieder "so streitsüchtig und machtbewusst sein, wie die Autoren der Gruppe 47 es waren". Und irgendwie sitzt der Traum zurückerlangter Machtfülle auch im Kopf von Weidermanns künftigem Widerpart, dem Schriftsteller Maxim Biller.

Es gibt ein sehenswertes Youtube-Interview der beiden, in dem Biller ausgiebig über die Belanglosigkeit der deutschen Gegenwartsliteratur schimpft und über die Akademisierung der Literaturkritik nach dem Krieg, die ihren Teil beigetragen habe zu diesem Bedeutungsverlust. Weidermann kann solche Breitseiten nur erschrocken wegnicken. War dieses Treffen vielleicht die Keimzelle der Besetzungsidee?

Verwuschelter Soft-Talker und Agent Provocateur

Zumindest antizipiert es die künftige Aufgabenverteilung: Biller der Agent Provocateur, der für Zunder sorgen wird, Weidermann der verwuschelte Soft-Talker. Als Dritte im Bunde wird die WDR-Moderatorin Christine Westermann für die nötige Erdung zuständig sein und sich als Anwältin des Normallesers ins Mittel legen; auch für die Bücher-Mommy hat die Sendung ein Zimmer frei. Alle drei sind - by the way - Autoren bei Kiepenheuer & Witsch.

Neulich schrieb Ijoma Mangold in der Zeit, dass ihn der Letztvertretungsanspruch des Feuilletons mit seinen wie in Stein gemeißelten Urteilen zunehmend ermüde. Um so mehr schätze er die Teilöffentlichkeit von Facebook, wo der Diskurs "irritationsoffen und beweglich" bleibe. Auf dem schmalen Grat zwischen Community und Allgemeinheit wird sich auch das neue "Literarische Quartett" bewegen. Kein Wunder, dass Volker Weidermann "supermulmig" zumute ist. Die Socken hängen höher denn je.

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