French Open:Peter Pans Welt

Selfie-Attacken, Schiedsrichter-Gate, das Eis zu fünf Euro und Schweinsteiger in der Box: In der ersten Woche der French Open bleiben sportliche Überraschungen aus - dafür gibt es große Show.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Paris, ach, la Grande Nation muss jetzt tapfer sein. Peter Pan mag nicht mehr. 2017 ist Schluss, absolument, lässt er wissen. "Ich bin dann 76. Das ist ein Alter, um das Amt weiterzureichen." Ja, das sagt Jean Gachassin wirklich. Wer den Präsidenten des französischen Tennisverbandes in dieser Woche wieder erlebt, wie entschlossen er überall auftritt, ahnt: Peter Pan ist nicht umzustimmen. So hieß er früher, als er noch nicht das größte Maskottchen dieser French Open war. Als er noch wie die Märchenfigur, nach der er benannt ist, Rugby zelebrierte, in den Sechzigerjahren. Würde man den kernigen Funktionär aus den Pyrenäen fragen, wie er damals seine Aufräumarbeiten auf dem Feld verrichtete, er würde sich das Sakko vom Leib reißen und alles vorführen. Aber Gachassin ist nicht zu fassen. Muss ja ständig die französischen Profis anfeuern.

Gachassin sitzt stets in der ersten Reihe, in der Mitte hinter der Grundlinie, souverän wie Kardinal Richelieu, aber nicht so verbiestert. Er hat schon mal die Hand von Gaël Monfils geküsst, im Überschwang, was bei ihm Normalzustand ist. Aufspringen, Fäuste ballen, jubeln tut er eigentlich immer. Roland Garros, das ist seine Bühne, eine großartige Bühne. Auch 2015 bietet das zweite Grand-Slam-Event beste Unterhaltung, was aber auch ein wenig an Gachassins Nebendarstellern liegt.

Zwei Teenager in der dritten Runde. Das gab es zuletzt 2006, mit Monfils und Djokovic

Gewinnt Rafael Nadal die zehnte Coupe des Mousquetaires? Oder Novak Djokovic seine erste? Verteidigt Maria Scharapowa ihren Titel? Diese Fragen sind erst mal unerheblich. In der ersten Woche versuchen die Topspieler, sich keine Blöße zu geben. Nur wenige stolpern, Simona Halep etwa, die Finalistin von 2014. Dafür drängen abseitige Themen in den Vordergrund.

Die Bälle seien schlecht, sagen Spieler, die Sicherheitsvorkehrungen auch, wie Roger Federer bei Attacken von Selfie-Jägern erlebt. Außerdem: Schiedsrichter-Gate! Rafael Nadal tritt in den Bernardes-Boykott! Der Spanier fühlt sich vom Brasilianer Carlos Bernardes schlimm behandelt, seit Jahren. In Rio hätte dieser ihm nicht mal erlaubt, auf dem Platz die Hose zu wechseln. Nadal findet, "es ist besser, wenn wir nicht zur selben Zeit auf dem Court sind". In Paris teilt der französische Verband die Schiedsrichter ein, Nadals Bitte wird stattgegeben. "Ich denke, das ist nicht fair gegenüber den Schiedsrichtern. Sie machen ihren Job, so gut sie können", sagt Djokovic. Federer ergänzt, und es klingt wie ein Rat an die Veranstalter: "Man kann ja eine Anfrage machen, aber das heißt ja nicht, sie wird erfüllt." Scharmützelchen, die keine Rolle mehr spielen, wenn das Spiel der Spiele ansteht: Nadal vs. Djokovic, schon im Viertelfinale. Darauf warten ja alle.

Bernardes weiß immerhin, die neue Freizeit zu nutzen. Am Donnerstag schaut er sich das Duell zwischen dem Kroaten Borna Coric und dem Spanier Tommy Robredo an. Coric ist der beste 18-Jährige der Welt, Rang 46, Djokovic schwärmt von dessen Reife. Coric hält Robredo wie eine Ballmaschine stand, bringt die Filzkugeln tausendmal zurück. Er haut sich auf die Brust, auf die Stirn, er leidet, kämpft, schnauft. Er siegt! Im fünften Satz, 6:4. Goran Ivanisevic, 2001 Wimbledonsieger, heute Trainer von Marin Cilic, schaut dem Landsmann zu. "Er bedeutet mir alles", schwört später Coric. Haben Jan-Lennard Struff, Tobias Kamke, Peter Gojowczyk je so gesprochen, über Becker, Stich, Schüttler, Kühnen, Steeb? Coric sagt, er fürchte sich nie in Matches. Er sagt, er würde gerne Tiramisu essen. "Aber ich muss darauf verzichten", er sei Profi. Ein Insider wiederum erzählt, deutsche Profis wollten sich nicht mal zusammen einen ihnen vertrauten Physio teilen. 400 Euro für jeden war ihnen zu teuer. Der DTB sollte seinen Nachwuchs dazu verpflichten, sich mal Coric ansehen und anhören zu müssen. Könnte inspirieren.

Sich zu stimulieren, hilft bekanntlich, das bestätigt Ana Ivanovic. Sie redet am Freitag, gerade mit 6:0, 6:3 gegen die junge Kroatin Donna Vekic ins Achtelfinale eingezogen, über ihr Team. Zählt alle auf, lobt - und schafft es, einen Namen nicht auszusprechen. Rom, Mallorca, jetzt Paris, 18 Grad, in der Werbung hieß es ja, die Frisur sitzt - und das tut sie, bei Bastian Schweinsteiger. Er sieht gut aus, wie er Ivanovic anfeuert. Seit Tagen ist er in der Stadt, bei Matches in der Box. Wie fühlt sich die Unterstützung durch Bastian Schweinsteiger an? "Wie ich sagte, ich habe ein großartiges Team und positive Leute", sagt Ivanovic. Hatte nicht seine Anwältin mal bestätigt, die Serbin und der Deutschen befänden sich in einer "gefestigten Paarbeziehung"? Und jetzt ist unser Weltmeister plötzlich Teamkraft, immerhin eine positive? Berichterstattern wird es nicht leicht gemacht. Jüngste Pointe: Im Interviewtranskript taucht an der Stelle der Frage, wo der Name Schweinsteiger fällt, nur der Hinweis "nicht wahrnehmbar" auf. Was hat das wieder zu bedeuten? Kennt man hier etwa Schweinsteiger nicht?

Österreichs Dominic Thiem erhält zu offensichtlich Tipps - macht 2500 Dollar Strafe

Etwas Unverfänglicheres: Die kommenden Tage stehen im Zeichen prächtiger Generationsduelle. In Coric und Thanasi Kokkinakis stehen zwei Teens in Runde drei. Das gab es zuletzt 2006, als Monfils und Djokovic U20-Format hatten. Coric könnte in der übernächsten Runde auf Nadal treffen. Der Australier Thanasi Kokkinakis, 19, fordert nun Andy Murray heraus, dessen größte Herausforderung in Woche eins darin bestand, erfreut zu gucken, als ihn Stadioninterviewer Fabrice Santoro im Schottenrock empfing. Kürzlich, beim Sieg in München, erhielt Murray eine Lederhose. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll?", sagte Murray zu Santoro. Vielleicht: Hören diese Trachtenwitze mal auf? Fest steht ja, er will als nächstes gegen Nick Kyrgios, 20, den Wilden der neuen Generation, bestehen. Murray sagt: "Ich seh' ihm gerne zu." Nach diesem Duell soll Kyrgios dann aber in die Betrachterrolle rücken.

Ein heikles Thema, ohne dass es heikel ist: Coaching ist verboten. Und doch coachen alle. Das ist das größte Pseudogeheimnis im Tennis. Wer es nicht glaubt, muss auf diesen extrem engen Court 2 gehen und sich in die untere Ecke pferchen. Da sitzen die Trainer, ständig herrscht Blick-, Nick-, Zwinkerkontakt. Ein Griff des Spielers zum Handtuch, "los, aggressive Beine!", "einen Meter vor", "hol es dir", flüstern Stimmen. Vom Schiedsrichterstuhl kaum auszumachen, auf Court 2. Auf anderen Plätzen schon. Der ausgeschiedene Österreicher Dominic Thiem führt die Strafliste an. Günter Bresnik coachte ihn zu auffällig - 2500 Dollar Strafe.

Paris in der ersten Woche, das bedeutet immer auch: ein Schock, dass alles noch teurer geworden ist. Ein Eis für fünf, ein Kulturbeutel für 65, ein dünnes Strickjäckchen für 185 Euro lauten die Tarife.

Und sie bedeutet Rekorde: Swetlana Kusnezowa aus Russland unterlag der Italienerin Francesca Schiavone erst nach gut vier Stunden, 8:10 im Dritten. Und sie bedeutet, sich von deutschen Profis zu verabschieden. Annika Beck aus Bonn unterlag der Ukrainerin Jelina Switolina 3:6, 6:2, 4:6. "Ich bin mit zehn Prozent Zuversicht gekommen, jetzt fahre ich mit 80, 90 Prozent", sagte Beck. Die Kielerin Angelique Kerber enttäuschte beim 6:4, 2:6, 2:6 gegen die Spanierin Garbine Muguruza. Und Sabine Lisicki schied gegen die Tschechin Lucie Safarova aus, 3:6, 6:7 (2). Im zweiten Satz hatte sie zwei Satzbälle. "Es war ein gutes Match", meinte die 25-Jährige: "Ich habe in diesem Jahr nicht gegen eine Linkshänderin gespielt. Gestern war Doppel, heute habe ich keinen Lefty gefunden." Sie hätte Gachassin fragen müssen. Der hätte ihr sicher einen passenden Tennisspieler aufgetrieben, zum Üben. Laufen ja einige rum, bei seinen French Open.

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