England:Tränen der Rührung

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Einseitig wie auf dem Papier: Der FC Arsenal bezwingt Aston Villa im Endspiel fast mühelos 4:0 und steigt zum Pokal-Rekordsieger auf. Selbst der coole Trainer Arsène Wenger zeigt Emotionen.

Von Sven Haist, London

In dem Moment, als Arsène Wenger zum Rekordsiegertrainer des englischen Vereinspokals aufstieg, reichte er seinem Gegenüber die Hand. Im Gesicht des Franzosen war nicht ein Anflug von Freude zu erkennen, es sah danach aus, als habe Wenger einfach seine tägliche Arbeit verrichtet. Dass die Titelverteidigung des FA-Cups für den FC Arsenal dann doch nicht zu einer Selbstverständlichkeit zählt, ließ der Elsässer die 89 283 Zuschauer erst um 19.37 Uhr britischer Zeit spüren. Da hielten Arsenals Kapitäne Mikael Arteta und Per Mertesacker gemeinsam die Trophäe in die Luft, was den Trainer der Gunners zu Tränen rührte. Seine erste emotionale Regung an einem Samstagabend, der sich aufgrund der Einseitigkeit des Finals eben nur bedingt für große Gefühle eignete.

Durch ein 4:0 (1:0) servierte der FC Arsenal 378 Tage nach dem Titelgewinn über Hull City an selber Stelle nun Aston Villa ab und stieg mit zwölf Siegen zum Rekordgewinner dieses Pokalwettbewerbs auf. Im ausverkauften Wembley-Stadion sorgten Theo Walcott, Alexis Sanchez, Per Mertesacker und Olivier Giroud für die historischen Treffer Arsenals. "Wir haben gezeigt, dass wir ein wirkliches Team sind und mit Druck umgehen können", sagte Wenger: "Ich bin sehr stolz." Mertesacker twitterte ein Foto von sich mit dem Pokal aus der Kabine und meldete ebenfalls: "Ich bin stolz!"

Zwei Teams, zwei Welten

Schon der Blick auf die Aufstellungen verriet, dass der FC Arsenal und Aston Villa einzig die Zugehörigkeit zur Premier League gemeinsam hatten. In der Gegenwart warteten die Villans gerade 15 Jahre lang, um wieder ein FA-Cup Finale bestreiten zu dürfen. Wenige Monate nach der Jahrtausendwende unterlagen die Weinroten damals dem FC Chelsea mit 0:1, der letzte Titel liegt gar schon 19 Spielzeiten zurück.

Die Besonderheit des Anlasses stand jedem Anhänger aus Birmingham ins Gesicht geschrieben. Schon frühzeitig hatte sich die Westseite des Stadions vollständig gefüllt. Der Verein verteilte kostenlos Schals und Fahnen, die Fans bedankten sich, indem sie für eine Atmosphäre sorgten, wie sie in England nur Klubs auslösen können, die so wenig Silberware abbekommen wie ihre Städte von der Strahlkraft Londons. Der Verein Aston Villa ist in den West Midlands beheimatet, zwei Autostunden nördlich von London. Trotz der Beherbergung von zweieinhalb Millionen Einwohner ist die Metropole etwa fünfmal so klein wie die Hauptstadt.

Diese Diskrepanz lässt sich wie ein Abziehbild auf das Kräfteverhältnis der Teams auf dem Platz übertragen. In den drei Duellen der abgelaufenen Saison unterlagen die Villans zusammen gezählt mit 0:12. Oder auf den Erfahrungsunterschied der Trainer bezogen: Wenger lebt schon seit drei Jahrzehnten an der Seitenlinie der Fußballplätze, Kontrahent Sherwood hingegen absolvierte in Englands größtem Stadion erst seinen 255. Arbeitstag als Übungsleiter.

Wenger holt den Pokal schon zum sechsten Mal

Derartig einseitig wie auf dem Papier verlief auch das 134. Finale des englischen Cups. Allein in der ersten Halbzeit musste Villa so viele unangenehme Situationen vor dem eigenen Tor überstehen wie Arsenal im gesamten Wettbewerb über fünf Runden. Die Anhänger der Weinroten versuchten ihre Angst vor dem Rückstand mit pausenlosem Geschrei zu vertreiben. Teilweise wüteten sie um sich, als kämpfe jeder einzelne ums Überleben. Keiner wagte es, sich für einen Augenblick hinzusetzen, vielmehr benutzten sie ihre Sitzschalen als musikalisches Instrument. Von Arsenals Fans war kaum etwas zu hören; sie sangen zwar fleißig vor sich hin wie brave Schulknaben, aber dem Reisetross aus Birmingham hatten sie nichts entgegen zu setzen. Erst als der Erfolg durch Tore von Sanchez (50., per Fernschuss) und Mertesacker (62., per Kopfball/Schulter) immer klarer wurde, kamen auch die Nord-Londoner zu Wort.

All das akustische Übergewicht des Außenseiters half allerdings nichts gegen Arsenals größtes Offensivfaustpfand Alexis Sanchez. Auch der Schotte Alan Hutton, den sein Trainer extra als Rechtsverteidiger aufgeboten hatte, um Sanchez zu benebeln, konnte den Spanier nur für einen kurzen Zeitraum halten. Umgehend folgten die für sein Team verhängnisvollen Gegentore durch Theo Walcott und Sanchez (40./50.). Es waren die Treffer, die den Spielplan von Sherwood, den Favoriten durch ein lang anhaltendes 0:0 nervös zu machen, zerstörten.

Stattdessen zeigte es der 65-jährige Wenger mit seinem sechsten Pokaltriumph (nur George Ramsay hat genauso viele) wieder einmal seinen Kritikern. Sein persönlicher Triumph diesmal: dass er Walcott anstelle des sperrigen Angreifers Olivier Giroud als einzigen Angreifer berief. "Ich habe noch zwei Jahre Vertrag bei Arsenal, und mein Hunger ist groß", sagte Wenger. Aus dem Mund des sonst so kontrolliert agierenden Franzosen klang das wie eine Drohung.

© SZ vom 31.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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