Bayern:Der Kampf um den Weltenbaum

Die Esche ist elastisch, widerstandsfähig, hochwertig. Und sie ist bedrohtvon Hymenoscyphus Fraxineus, einem tödlichen Pilz aus Südostasien. Forscher nehmen europaweit das Wettrennen mit dem Schädling auf, denn er ist nicht der einzige, der das Ökosystem Wald stark gefährdet

Von Sebastian Beck

Es war im Frühjahr 2008, als Felix von Ow in seinem Wald eine seltsame Entdeckung machte. Einige junge Eschen wiesen dunkelbraune Verfärbungen auf - ein Krankheitsbild, das der Forstmann bis dahin noch nie gesehen hatte. "Irgendwas läuft da schief", sagte sich Ow. Er verpackte die befallenen Triebe und schickte sie an die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft in Weihenstephan (LWF). Bald darauf stapfte eine Delegation von Wissenschaftlern durch Ows Auwald an der Salzachmündung in der Nähe von Marktl. Denn die Untersuchungen im Labor hatten gezeigt, dass hier etwas auf geradezu katastrophale Weise schieflief: Die Eschen litten an einer ebenso neuartigen wie tödlichen Pilzkrankheit, die seit Anfang der Neunzigerjahre vor allem in Osteuropa massenhaft Bäume dahinraffte. Offensichtlich hatte die Seuche erstmals auf Bayern übergegriffen.

Sieben Jahre danach sitzt Ralf Petercord im Besprechungszimmer am Stadtrand von Freising und zieht eine Bilanz des Kampfs gegen Hymenoscyphus Fraxineus, das Falsche Weiße Stengelbecherchen - so heißt der Pilz seit 2014. Es klingt nicht allzu hoffnungsvoll, was Petercord berichtet. Der Forstwissenschaftler ist gewissermaßen Bayerns oberster Waldschützer. An der LWF beschäftigt er sich mit all den Schädlingen, die Bayerns Wälder heimsuchen: "Die Esche wird erst einmal nicht aufgegeben", sagt Petercord geradezu trotzig.

Seit dem Fund am Zusammenfluss von Inn und Salzach wissen die Forscher immerhin, mit welchem Gegner sie es zu tun haben. Anfangs vermuteten sie, ein einheimischer Pilz, ein harmloser Laubzersetzer, sei mutiert und greife nun die Eschen an. Dann aber fanden Teams in Europa heraus, dass es eine verwandte Art aus Südostasien ist. Irgendwann Anfang der Neunzigerjahre wurde sie ins Baltikum und nach Polen eingeschleppt. Ein welker Ast in einem Container vielleicht. Ein paar Blätter auf der Ladefläche eines Lastwagens - das könnte der Beginn des verheerenden Seuchenzeugs gewesen sein.

Bayern: Bedroht: Der Schaden, der durch das Falsche Weiße Stengelbecherchen an Eschen entsteht, ist immens.

Bedroht: Der Schaden, der durch das Falsche Weiße Stengelbecherchen an Eschen entsteht, ist immens.

(Foto: Imago)

Mittlerweile hat sich das Eschentriebsterben über fast ganz Europa ausgebreitet. In Dänemark sind so gut wie alle Eschen krank oder abgestorben. Die Pilzsporen wehten auch über den Ärmelkanal nach Großbritannien mit seinen 80 Millionen Eschen - die dritthäufigste Baumart auf der Insel. Umweltminister Owen Paterson ließ 100 000 befallene Bäume abholzen und verbrennen. Spaziergänger wurden aufgefordert, Schuhsohlen und Hände nach Wanderungen durch Wälder zu waschen, um die Sporen nicht weiter zu verbreiten. Vergebens. Patersons Appell war ein Zeichen der Hilflosigkeit, denn der Pilz scheint unaufhaltsam zu sein - auch an der Salzach. "Auf einem Drittel der Fläche ist die Esche schon weg", schätzt Felix von Ow. Das hat Folgen für die Wirtschaft, aber noch mehr für die Umwelt.

Gaden bei Freising, ein Auenwald an der Isar. Flugzeuge dröhnen beim Start, auf der nahen A 92 rauscht der Verkehr. Von Naturidylle keine Spur. Claus Niewierra bringt seinen Besucher bis zu einer Parzelle mit ungefähr hundert Bäumen. "Das war mal beste Werterwartung", sagt Niewierra. Er ist stellvertretender Leiter des staatlichen Forstbetriebs in Freising, der sich um 3800 Hektar Auwald entlang der Isar zwischen München und Landshut kümmert. Etwa die Hälfte davon sind Eschen, und immer mehr sehen so aus wie hier in Gaden: Ein Teil der jungen Bäume ist bereits abgestorben, andere haben kaum mehr Äste. Hier hätte ein Wald für die übernächste Generation heranwachsen sollen: robust und hiebreif in 100 Jahren. Bäume mit besonders gutem Wuchs wurden von den Förstern mit weißen Bändern versehen, doch auch sie leiden unter dem Pilzbefall. "Wir beobachten eigentlich nur noch", sagt Niewierra. Er hofft, dass wenigstens ein paar durchkommen.

Der Schaden ist immens. Eschenholz bringt zwischen 150 und 180 Euro pro Festmeter - mehr als Buche oder Fichte. Weil es besonders elastisch und widerstandsfähig ist, wird es in der Möbelindustrie verwendet, für Musikinstrumente, als Stiel für Äxte und andere Werkzeuge. Der britische Sportwagenhersteller Morgan wirbt damit, dass seine Fahrzeuge aus drei Hauptelementen bestehen: Aluminium, Leder - und Eschenholz. In wenigen Jahren könnte letzteres zu einer teuren Rarität werden.

60 Eschenarten

Weltweit gibt es ungefähr 60 verschiedene Eschenarten - vom kleinwüchsigen Strauchformen in Afghanistan bis hin zu Fraxinus Excelsior, dem Prachtexemplar einer Gemeinen Esche im polnischen Nationalpark von Białowieża: Bei der vorerst letzten Messung im Jahr 2014 war der Baum 45,20 Meter hoch. Eschen können bis zu 300 Jahre alt werden. Oft findet man sie in der Nähe von Bauernhöfen, da ihre getrockneten Blätter im Winter früher gerne als Viehfutter benutzt wurden. Im Mittelalter diente Eschenholz auch zum Waffenbau - deshalb wachsen Eschen auch häufig im Umkreis von Burgen. Selbst Liebesgott Amor vertraute darauf: Er soll Pfeile aus Eschenholz verschossen haben. bas

Wissenschaftler wie Petercord machen sich aber noch um etwas ganz anderes Sorgen. Es geht ihnen um die Zukunft des Ökosystems Wald, der immerhin ein Drittel der Fläche Deutschlands bedeckt und sich weiter ausbreitet. Das war nicht immer so: Im 18. Jahrhundert war die Waldfläche auch in Bayern infolge des Raubbaus auf ein Minimum geschrumpft. Erst die späteren Aufforstungen prägten das Bild vom dunklen Fichtenwald, der vielerorts noch heute dominiert.

Mit ihren flachen Wurzeln sind Fichten freilich anfällig für Sturmschäden; Monokulturen werden von Borkenkäfern heimgesucht. Seit gut 30 Jahren pflanzen Forstleute deshalb vor allem Mischwälder, die als widerstandsfähiger auch gegen klimatische Schwankungen gelten. Die Esche - von den Germanen als Heiliger Weltenbaum, als Verbindung zwischen Himmel und Erde verehrt - hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. "Das ist eine Baumart, auf die man große Hoffnungen setzte", sagt Petercord. Eschen halten Hitze und Kälte aus, sie trotzen Hochwasser und Trockenheit. Bis vor Kurzem galten sie noch als Allzweckbäume - bis das Falsche Weiße Stengelbecherchen eingeschleppt wurde. Das haut selbst die stärkste Esche um.

Nun scheint es ihr genauso zu ergehen wie zuvor der Ulme. Sie prägte in Nordamerika und Europa bis in die Siebzigerjahre die Landschaft. Inzwischen sind Ulmen so gut wie ausgestorben, die einst mächtigen Bäume werden allenfalls noch armdick - dann fallen sie dem Ulmensplintkäfer zum Opfer, der einen tödlichen Pilz überträgt. Oder die Schwarz-Erlen: Auch sie werden seit 20 Jahren von einem Pilz hinweggerafft. Drei Baumarten, die hier seit der Eiszeit einheimisch waren, aber binnen 25 Jahren so gut wie verschwunden sind - das ging "verdammt schnell", sagt Forstwissenschaftler Petercord.

Bayern: Quelle: SZ-Grafik

Quelle: SZ-Grafik

Der Wald der Zukunft könnte womöglich ganz anders aussehen als erhofft. Wenn in 100 Jahren überhaupt noch Wald wächst. Ein neuer Superschädling, der Eichen, Fichten oder Buchen befällt? "Das würde dramatische Folgen haben", sagt Petercord. Was kann das Ökosystem Wald noch alles aushalten? Prognosen macht er nur ungerne, deshalb antwortet Petercord mit einer Gegenfrage: "Wie viele Überflutungen hält die Altstadt von Passau aus?"

Zum Glück gibt es das Gewächshaus auf dem Forschungscampus in Weihenstephan und Menschen wie Heike Lenz: Die Biologin beschäftigt sich seit dem Jahr 2011 ausschließlich mit dem Eschentriebsterben, wie Dutzende Kollegen in ganz Europa, mit denen sie sich regelmäßig austauscht. Sie haben in den vergangenen Jahren viel herausgefunden über den Infektionsprozess vom Blatt in den Baum. Nun wenden sie sich einem anderen Thema zu: der Resistenzforschung. Denn anscheinend widersteht ein winziger Prozentsatz von Eschen der Pilz-Attacke - die Schätzungen schwanken zwischen ein und fünf Prozent.

Im Gewächshaus wachsen ein paar Dutzend dieser Setzlinge aus ganz Bayern, die von augenscheinlich vitalen Eltern abstammen. Derzeit werden sie nur von Blattläusen heimgesucht. Bald aber wird Heike Lenz sie mit einer Suspension aus Sporen infizieren. Diese züchtet sie im Labor auf Blattspindeln heran: winzige Pilze, kaum mehr als einige Millimeter groß. Wenn man genau hinschaut, sieht man die Wölkchen aus Sporen, die von den Fruchtkörpern ausgestoßen werden. Im Juni und Juli bedeckt das Falsche Weiße Stengelbecherchen den Boden unter befallenen Bäumen wie ein weißer Teppich.

Dann wird sich auch im Gewächshaus bald zeigen, ob die Jungpflanzen tatsächlich resistenter sind als ihre Artgenossen. Darauf ruht die ganze Hoffnung: dass ein paar übrig bleiben, die man weiter vermehren und kreuzen kann. Eine Sisyphusarbeit, doch Petercord und seine Kollegin sind überzeugt: Der Aufwand lohnt sich. Ob sie Erfolg haben, ist ungewiss, denn auch der Pilz passt sich an - in Bayern wurden schon mehrere Stämme gefunden. Ein Wettrennen zwischen Forschern und Schädling, in das sich schon bald ein neuer, noch gefährlicherer Gegner einmischen könnte: der Asiatische Eschenprachtkäfer. Vor zwei Jahren wurden erstmals Exemplare westlich von Moskau entdeckt. Er könnte all das auffressen, was der Pilz noch übrig lässt. Das wäre dann zwar noch nicht das Ende der Welt, aber sehr wahrscheinlich das Ende des Weltenbaums.

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