Juventus Turin im Champions-League-Finale:Pirlo weint, Buffon glänzt

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Zu Tränen gerührt: Andrea Pirlo in Berlin (Foto: Getty Images)
  • Italiens Weltmeister von 2006 erleben bei der Rückkehr ins Berliner Olympiastadion Ernüchterndes. Sie verlieren das Champions-League-Finale.
  • Dennoch ist Juventus Turin zweiter Sieger.

Von Birgit Schönau, Berlin

Ein mitreißendes, dramatisches Finale. Und bevor sich der Vorhang senkte dieses Bild: Andrea Pirlo, in den Nachthimmel blinzelnd. Dann weinte er einfach, genauso beiläufig, wie er in all den Jahren die Fäden gesponnen hatte für Juventus. Wie verloren stand er auf dem Rasen des Olympiastadions - genau dort, wo er vor neun Jahren seinen größten Triumph gefeiert hatte. Ein strahlender Weltmeister war er damals gewesen. Bewundert für seine enigmatische Ausstrahlung, seine Eleganz, die noch immer unerreichte Lässigkeit. Stets wirkte Andrea Pirlo so, als ob er eigentlich im Maßanzug Fußball spielen würde. Dieser Mann kann tatsächlich als weinender Verlierer vom Platz gehen und die Leute applaudieren ihm trotzdem.

Buffon wird weiterspielen, trotz seiner 37 Jahre. Er sagt: "Ich habe mir nichts vorzuwerfen"

Waren es Abschiedstränen? "Über Pirlo kann ich nichts sagen", erklärte sein Trainer Massimiliano Allegri knapp. Womit er natürlich eine Menge sagte, die Gerüchte neu befeuerte, nach denen Andrea Pirlo soeben sein letztes Spiel für Juventus absolviert hatte, seinen letzten Auftritt überhaupt für ein italienisches Team. Er, der seine gesamte Karriere zu Hause in Italien absolvierte, will mit 36 Jahren angeblich ins Ausland. Nach Dubai oder in die USA. Einfach nochmal irgendwo spielen, quasi außer Konkurrenz.

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Was ja immer etwas abgehalftert Melancholisches hat. Der Maestro Pirlo als Attraktion in einem drittklassigen Fußballzirkus: Man mag es sich eigentlich nicht vorstellen. Das Geld kann es nicht sein. Pirlo ist der Sohn eines Millionen schweren Stahlunternehmers aus der soliden norditalienischen Provinz. Das Weingut, das er sich in der Heimat aufgebaut hat, ist nur ein feines Hobby.

Doch egal, wie er sich entscheidet, in Berlin wurde der Abgang einer Generation eingeläutet. Die 2006er müssen sich den Jüngeren geschlagen geben. Sicher, es sind nicht irgendwelche Kids, sondern immer noch die Talentiertesten, die der Planet Fußball hervorgebracht hat: das Dreamteam des FC Barcelona. Die Alten haben ihnen lange getrotzt, und das gewährt ihnen ein Adieu mit Grandezza. "Ich habe mir nichts vorzuwerfen", sagte Juventus-Kapitän Gianluigi Buffon auf dem Weg zum Bus leichthin in die Menge - was weniger trotzig klang als abgeklärt, und ja vielleicht sowieso sein Lebensmotto ist.

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Trotz der Niederlage sind die italienischen Zeitungen begeistert von Juventus Turin. Viel Mitleid gibt es für den schluchzenden Andrea Pirlo. In Spanien wird das Jahrhundert von Barcelona ausgerufen - sogar in Madrid.

Vor neun Jahren hatte Buffon in Berlin im italienischen Tor gestanden, jetzt gab er nochmal alles im Einsatz gegen das fulminante Stürmer-Trio des FC Barcelona. Seine Parade gegen Daniel Alves bewies, dass bei dem 37-Jährigen noch alle Reflexe funktionieren. Sein Duell mit Luis Suárez, der ihn öfter als alle anderen herausforderte, war ein Spiel im Spiel. Suárez nutzte dann die einzige Situation, in der der Juve-Schlussmann wackelte, zum 2:1. An den anderen Treffern war Buffon unschuldig.

Der Schlussmann ist ein Monument, anders als Andrea Barzagli. Der dritte 2006er musste nach Berlin, weil sich Giorgio Chiellini vier Tage vor dem Finale beim Training verletzt hatte. Gegen Barça gerierte sich der selbst rekonvaleszente Barzagli so hölzern wie immer, nach dem Sommer erwartet ihn wieder die Ersatzbank.

Juventus war die Überraschung des Turniers, mit dem Durchmarsch gegen Borussia Dortmund, AS Monaco und Real Madrid. Im Finale, so dachten viele, würden die Italiener Kampfbereitschaft statt Klasse zeigen. Doch derart kunstvoll ist das unaufhaltsame Barcelona selten aufgehalten worden, statt "Käfige" um die katalanischen Offensivgötter zu konstruieren, suchten die Turiner ihr eigenes Spiel. Der Franzose Patrice Evra, der Chilene Arturo Vidal schienen omnipräsent zu sein, als durchaus kreative und energiegeladene Defensivkräfte einer neuen italienischen Schule.

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Die Barcelona-Fans riefen zum Abschied Pirlos Namen, nicht zum Hohn, sondern zum Ausdruck ihrer Verehrung. Xavi, der definitiv sein letztes Spiel für Barça bestritt ("es gibt leider kein Zurück", bestätigte sein Kollege Iniesta), hatte bedauert, dass er nun seinen Lieblingsgegner nicht mehr treffen könne. 18 Jahre lang haben sich Pirlo und Xavi belauert, umtrickst und sich vielleicht auch gegenseitig bestaunt. Jetzt endete eine der schönsten Gegnerbeziehungen des Fußballs mit Umarmungen.

Luis Enrique hatte Xavi nur zehn Minuten gegönnt, vielleicht wäre weniger Spielzeit auch für Pirlo mehr gewesen. Der grandiose Spiel-Beruhiger gibt nicht mehr den Takt vor, sondern läuft dem Tempo hinterher. Mit bemerkenswerter Selbst- losigkeit half ihm Paul Pogba, das zu vertuschen. Für Allegri ist die Frage nicht, ob Pirlo geht. Sondern, wer ihn ersetzen kann. Pogba ist heiß umworben, aber der Trainer will ihn nicht hergeben. Zu Recht, wäre der Franzose doch ein unersetzliches Element für jene Mannschaft, die Allegri jetzt neu aufbauen muss. Eine Mannschaft mit Kapitän Buffon - der unerreichte Dino Zoff stand schließlich noch mit 40 im Juve-Tor und wurde in dem Alter sogar noch Weltmeister. Allegri denkt sowieso nicht im Traum daran, seinen Torwart zu ersetzen.

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Genauso wenig mag er sich allerdings von Paul Pogba trennen, dessen Abschied die ohnehin prall gefüllte Klubkasse noch weiter nähren könnte. Aber um Pogba, 22, und die gleichaltrige Halbfinal-Überraschung Stefano Sturaro soll das neue Mittelfeld konstruiert werden, unterstützt von Roberto Pereyra, 24, den Allegri in den Schlussminuten noch einwechselte. Weiter vorn gelang Alvaro Morata, 23, das einzige Juve-Finaltor. Carlos Tevez assistiere, ging aber selbst leer aus.

Kein Problem, fand Allegri. Strahlend präsentierte er sich nach dem Schlusspfiff zur Spielanalyse, verbreitete gute Laune und die Erkenntnis, nicht viel versäumt zu haben. Dahinter mag vor allem eine große Erleichterung über den glimpflichen Ausgang stehen, jedoch: Dieser Trainer und seine Mannschaft sind die zweiten Sieger von Berlin.

© SZ vom 08.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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