Myanmar:Ikone mit Rissen

Mit ihrer Tapferkeit und ihrer Entschlossenheit nahm Aung San Suu Kyi die Welt für sich ein. Andreas Lorenz zeigt auch die menschlich-allzumenschlichen Seiten der Menschenrechtlerin.

Von Friederike Bauer

Aung San Suu Kyi ist eine Erscheinung: Zu ihren Markenzeichen gehört der traditionelle birmanische Rock und das zurückgebundene, mit Blumen geschmückte Haar. Zart und zerbrechlich wirkt sie, zugleich edel und elegant. Dass ihr Äußeres immer wieder mit ihrer politischen Haltung kontrastiert, weil sie auch zielstrebig und zäh sein kann, macht wohl einen Teil ihres besonderen Reizes aus. Mit dieser Mischung aus elfenhafter Anmutung und konsequenter Kompromisslosigkeit, aus östlicher Spiritualität und westlichem Eintreten für die Menschenrechte ist die Birmanin längst zu einer Person der Zeitgeschichte geworden.

Manche halten sie für eine "Demokratie-Lehrmeisterin", andere für eine "Freiheits-Ikone", die in einer Reihe mit Mahatma Gandhi, Martin Luther King oder Nelson Mandela steht, wieder andere sogar für eine "Heilige". In Myanmar heißt sie schlicht "The Lady". Wie auch immer die Attribute lauten, sie sind meist positiv belegt und zeugen von großer Faszination und enormem Respekt.

Nicht zuletzt Aung San Suu Kyi hat Myanmar zu danken, dass es eine zaghafte politische Öffnung erlebt

Und stimmt es nicht auch? Hat Aung San Suu Kyi nicht Übermenschliches geleistet? Hat sie nicht Härten auf sich genommen und viele Jahre ihres Lebens diesem armen, von Diktatur geplagten Land geopfert, um sich für einen gewaltfreien Übergang in eine Demokratie einzusetzen? Rund fünfzehn Jahre, verteilt auf drei Perioden, hat die Friedensnobelpreisträgerin zwischen 1989 und 2010 im Hausarrest zugebracht, getrennt von Mann und Kindern. Mehrmals haben Schergen der Militärführung ihr nach dem Leben getrachtet.

Und doch blieb sie stets standhaft, lehnte jedes Angebot, das Land in Richtung Großbritannien oder USA zu verlassen, entschlossen ab. Als "fast fanatisch in der Pflichterfüllung gegenüber ihrem Land" beschreibt der frühere Spiegel-Korrespondent Andreas Lorenz sie denn auch in einer neuen Biografie: Nicht zuletzt ihr habe Myanmar zu verdanken, dass es aus dem Bewusstsein der Weltöffentlichkeit nicht verschwunden sei und nach Jahren der Isolation nun neben der wirtschaftlichen auch eine zaghafte politische Öffnung erlebe.

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In Myanmar wird sie als "Die Lady" bezeichnet. Andreas Lorenz attestiert ihr einen "Kern aus Stahl". Zeichnung: Schopf

Erklären lässt sich dieser ungewöhnliche Lebensweg wohl nur vor dem Hintergrund ihrer Familiengeschichte und der Historie ihrer Heimat, die wiederum beide aufs Engste verwoben sind. Denn Aung San Suu Kyi ist keine Arbeiter- oder Bauerntochter, die den Machthabern aus eigener Überzeugung und Kraft unerschrocken entgegengetreten wäre. Sie ist auch keine demonstrierende Studentin oder kreative Bloggerin, wie verschiedene Demokratiebewegungen der vergangenen Jahre sie hervorgebracht haben. Aung San Suu Kyi gehört der bestimmenden Oberschicht und herrschenden Klasse Birmas an, das inzwischen Myanmar heißt.

Als Tochter des Generals und Nationalhelden Aung San, der zuerst die Unabhängigkeit des Landes von den Briten erkämpfte, ehe er 1947 von politischen Rivalen erschossen wurde, trug sie schon von Geburt an einen großen Namen. Wie andere Töchter berühmter Väter in Asien - etwa Indira Gandhi oder Benazir Bhutto - spürte auch sie irgendwann in ihrem Leben die besondere Verantwortung, die mit einem solchen Namen einhergeht. "Wenn mein Vater weitergelebt hätte, hätte die Demokratie funktioniert, sie hätte Bestand gehabt. Als wir ihn verloren, verloren wir auch die Chance, ein glückliches demokratisches Birma zu errichten", zitiert Lorenz sie.

Es ist dieses Vermächtnis des Vaters, das Aung San Suu Kyi antreiben sollte. Zunächst aber wuchs sie auch nach seinem Tod in privilegierten Verhältnissen auf und besuchte die besten Bildungsanstalten Myanmars. Ihre Mutter wurde bald darauf Botschafterin in Indien, der großen Regionalmacht westlich von Myanmar, wo die Tochter einen Teil ihrer frühen Jahre zubrachte. Später studierte sie in Oxford, dort lernte sie ihren Ehemann kennen: Der Brite Michael Aris wurde Professor in Harvard, er war ein an Asien interessierter Intellektueller, in dem sie einen verständnisvollen Unterstützer für ihre Sache fand. Und das, obwohl ihre Entscheidung, mit Anfang vierzig und als Mutter von zwei halbwüchsigen Kindern zurück in ihre Heimat und dort in die Politik zu gehen, auch ihm Unermessliches abverlangte. Er musste nicht nur auf eine Gefährtin im Alltag verzichten, sondern außerdem die beiden Söhne in Großbritannien allein großziehen und schließlich, früh an Krebs erkrankt, ohne den Beistand seiner Frau aus dem Leben scheiden. Größere Opfer kann man einem Ehemann nicht zumuten.

Trotzdem hat Aung San Suu Kyi Ende der Achtzigerjahre diesen Weg eingeschlagen und bis heute nicht verlassen, gegen alle Widerstände, Gepflogenheiten und auch gegen übliche menschliche Reflexe. Andreas Lorenz schildert dieses einzigartige Leben ohne Schnörkel und Getändel, unaufgeregt und genau. Als Asien-Korrespondent hat er sie über Jahre beobachtet und viele ihrer Weggefährten gesprochen. Für das Buch selbst hat sie ihm ein Interview nicht gewährt: "Zu viel zu tun, zu wenig Zeit", ließ die Frau wissen, die nicht nur wegen des jahrelangen Hausarrests zurückgezogen lebt, sondern ihre Privatsphäre auch sonst gewissenhaft abschottet.

Myanmar: Andreas Lorenz: Aung San Suu Kyi. Ein Leben für die Freiheit. C.H. Beck, 2015. 336 S., 19,95 Euro.

Andreas Lorenz: Aung San Suu Kyi. Ein Leben für die Freiheit. C.H. Beck, 2015. 336 S., 19,95 Euro.

Trotz dieses handwerklichen Defizits, für das Lorenz freilich wenig kann, ist dem Autor ein vielschichtiges Porträt der "Lady" gelungen. Er erliegt nicht der Versuchung des Personenkults, wie er bei Biografien großer Menschen häufiger vorkommt. Er zeigt eine Ikone, aber eine mit Rissen. Er würdigt ihre Leistungen für Myanmar, spart aber ihre Anfälle von Unduldsamkeit nicht aus. Er erwähnt ihre eiserne Disziplin - sich selbst und anderen gegenüber - und ihren "Kern aus Stahl". Auf diese Weise zeichnet Lorenz ein Bild, das neben den unstreitigen Verdiensten dieser Hoffnungsträgerin auch ihre allzu menschlichen Seiten zeigt. Allerdings greift er für die kritischen Passagen gern auf Aussagen und Zitate anderer zurück. Hier hätte man sich häufiger ein souveränes Urteil des Biografen gewünscht.

Die Gefahr ist groß, dass Aung San Suu Kyi, einmal Präsidentin, an Myanmars Problemen scheitert

Dafür entschädigt er den Leser zum Schluss mit der Frage aller Fragen, nämlich ob man Aung Sann Suu Kyi das Amt der Präsidentin überhaupt wünschen solle. Eine Position, auf die sie - mit Rückendeckung aus dem Ausland - seit Jahren hinarbeitet. Zu gewaltig seien die Probleme im Land, die Verfolgung der muslimischen Minderheit ist nur ein Beispiel; zu schwer wiege das Erbe der jahrzehntelangen Militärdiktatur. "Die Gefahr ist deshalb groß, dass Aung San Suu Kyi, einmal Präsidentin, an den Problemen ihres Landes scheitern könnte", schreibt Lorenz und hält damit das Ende bewusst offen.

Genau wie die Zeitenwende in Myanmar noch längst nicht vollzogen und auch das letzte Kapitel in Aung San Suu Kyis politischem Leben noch nicht geschrieben ist. Umso mehr lohnt sich ein Blick in die Kapitel davor.

Friederike Bauer arbeitet als freie Journalistin; sie schreibt hauptsächlich über Außen- und Entwicklungspolitik und ist Autorin einer Biografie über Kofi Annan.

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