Nokia Networks:Vorbild Volksrepublik

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: Stefan Dimitrov / SZ; Stefan Dimitrov)

Wie Europa den Vorsprung Asiens und der USA bei schnellen Funknetzen aufholen kann - ein Gespräch mit Markus Borchert, Europachef von Nokia Networks.

Von Helmut Martin-Jung, München

Wenn Markus Borchert auch als Manager so zupackend ist wie sein Händedruck, dann dürfen sich die Mitarbeiter von Nokia Networks auf spannende Zeiten gefasst machen. Borchert, 49, erst seit einigen Wochen im Amt, hat aber auch allen Grund, Gas zu geben. Denn Europa, die Region, für die er nun die Geschäfte des Netzwerkausrüsters leitet, hat zwar einst die Standards gesetzt für den Mobilfunk. Doch bei den neuen schnellen Funknetzen liegen andere vorne: Japan, Südkorea, die USA und sogar China.

"In China ist die Entwicklung wie im Zeitraffer verlaufen", sagt Borchert, und wenige wären mehr berufen als er, darüber zu reden. Anfang 2010 hat er die Leitung der Geschäfte von Nokia Networks in China, inklusive Hongkong, Macau und Taiwan übernommen. Seine Frau und die drei Kinder leben derzeit noch in Asien. "Vor fünf Jahren", erinnert er sich, " war in China fast alles noch 2G."

2G, das steht für zweite Mobilfunk-Generation, mit dieser inzwischen veralteten Technik lassen sich Daten nur sehr langsam übertragen. 3G, auch als UMTS bekannt, spielte in China nie eine große Rolle. Inzwischen aber treibt China mit Macht den Ausbau von 4G voran, auch LTE genannt. "Allein in der Provinz Guangdong gibt es mehr LTE-Basisstationen als in der gesamten EU", sagt Borchert. Im vergangenen Jahr seien in China mehr als eine Million dieser Anlagen aufgebaut worden, in ganz Europa im selben Zeitraum nur etwa 300 000.

Lässt sich ein solcher Rückstand überhaupt aufholen? "Europa hat Potenzial", sagt Borchert, und schiebt nach: "Man könnte auch sagen: Nachholbedarf." Zahlen gefällig? Borchert hat sie. In Europa, wozu Nokia Networks auch Russland und die ehemaligen Mitglieder der Sowjetunion zählt, liegt die Abdecklung der Bevölkerung mit LTE gerade einmal bei 64 Prozent. In Deutschland sind es immerhin 80 Prozent. Doch in den USA werden trotz der Größe des Landes schon 98 Prozent der Menschen erreicht, in Japan 99 und Südkorea hat Vollversorgung.

Das heißt zwar noch nicht, dass jeder Koreaner auch LTE nutzt, immerhin tun das aber 66 Prozent. In Deutschland sind es gerade einmal zehn, im europäischen Durchschnitt gar nur acht Prozent.

Ein bisschen hat das alles auch damit zu tun, dass die Netzwerkbetreiber - Telekom, Vodafone und O2 - sich eher über den Preis als über die Leistung verkaufen. Während der Monatsumsatz pro Kunde in Korea bei etwa 40 Euro liegt und in den USA sogar bei 62 Euro, dümpelt er in Europa bei mageren 21 Euro dahin, erzählt Borchert. "Das zeigt, wie schwierig es ist, eine Wertschöpfung zu generieren."

Aber wie rauskommen aus der Negativspirale? "Es braucht eine breite Anstrengung", sagt Borchert, "nötig ist ein innovationsfreundliches Klima." Außerdem, fordert er, müssten die Staaten mehr Spektrum zur Verfügung stellen - sprich: Platz auf den Funkkanälen - und diese Spektren müssten europaweit harmonisiert werden. Und, auch das hört man von Netzwerkausrüstern immer wieder, unter den Netzanbietern müsse es eine Konsolidierung geben, und zwar "nicht einzelstaatlich, sondern auf europäischer Ebene". Am Ende würden dann nur einige wenige große Netzanbieter übrig bleiben. Große Firmen, die sich zwar Konkurrenz machen, aber auch finanzkräftig genug sind, um die horrenden Kosten für den nötigen Ausbau der Netze zu stemmen.

"Wenn der Konsument bessere Dienste nutzen will, muss er auch mehr bezahlen."

In Europa aber sei die Innovationsfähigkeit derzeit eingeschränkt, weil man zu sehr die Sicht des Konsumenten eingenommen habe. Und der möchte natürlich möglichst wenig Geld ausgeben für möglichst viel Leistung. Doch das müsse sich ändern, wenn die neuen Netze auch hierzulande eine stärkere Verbreitung bekommen sollen: "Wenn der Konsument bessere Dienste nutzen will", sagt Borchert, "muss er auch mehr bezahlen."

Dass Deutschland vorangeht mit der Versteigerung der 700-Megahertz-Frequenzen, findet daher seine Zustimmung. Auch das Ziel, Deutschland bis 2018 flächendeckend mit schnellem Internet (50 Megabit pro Sekunde) zu versorgen, hält er für richtig, wenn auch nur für einen Baustein von vielen. Die 700er-Frequenzen können dabei übrigens helfen, denn da es sich hierbei um sehr langwellige Funksignale handelt, lassen sich damit auch größere Landstriche von wenigen Masten aus mit schnellem Internet versorgen - je mehr Nutzer sich den Zugang teilen müssen, desto weniger Leistung bleibt aber auch für jeden übrig.

Wichtig sei vor allem, den Ausbau der 4G-Netze voranzutreiben. Aber, da man hier ohnehin zurückliegt, wäre es nicht besser, gleich auf die nächste Generation zu setzen? Das funktioniert nicht, sagt Borchert, denn 4G/LTE sei die Grundlage für die nächste Ausbaustufe, 5G. "Ohne 4G geht es nicht". Doch damit Europa den Rückstand bei dieser wichtigen Zukunftstechnologie überhaupt aufholen kann, müsse man "alles neu aufsetzen und wieder neu lernen." Dies nicht zuletzt, weil China "ein unglaubliches Tempo" an den Tag lege.

© SZ vom 10.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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