Neues vom Projekt #Kunstjagd:Das Grauen ist nah beim Detektivspiel

Kunstjagd Gemälde

14 Gemälde, die in Frage kommen: War eines davon das der Engelbergs?

(Foto: Follow the Money)

14 Gemälde und bei einem wird Edward Engelberg, der einzige Überlebende, aufmerksam: Ist das Bild der blassen jungen Frau das verschollene? Und womöglich gibt es noch eine weitere Spur ...

Internationales Rechercheprojekt - Woche 4

Das Projekt #Kunstjagd, in dem das Rechercheteam von Follow the Money (FtM) versucht, ein im Dritten Reich verschollenes Gemälde einer jüdischen Familie aufzuspüren, geht in die vierte Woche. Hier berichten die FtM-Kollegen von den Stationen und Fortschritten ihrer Recherche:

Es ist einer dieser Momente, bei dem das Spiel und die Wirklichkeit aufeinanderprallen. Es ist doch so: Einerseits spielen wir hier Detektiv. Wir finden es aufregend, nicht zu wissen, was morgen passiert. Natürlich treibt uns der ganz persönliche Ehrgeiz, es zu schaffen, es zu finden: das Gemälde, mit dem Paula Engelberg auf welchem Weg auch immer 1938 ein Schweiz-Visum ergatterte, wie sich ihr Sohn Edward erinnert.

Das Projekt

Im Mittelpunkt des Projekts #Kunstjagd steht die Suche nach einem verschollenen Gemälde der Familie Engelberg. SZ.de begleitet die Recherchen in einem 360°-Schwerpunkt, in dem wir über Fortschritte informieren und den historischen Hintergrund beleuchten Die #Kunstjagd ist ein Projekt des Rechercheteams "Follow the Money" (FtM) sowie der Filmproduktion Gebrüder Beetz und den Medienpartnern BR, Deutschlandradio Kultur, ORF, SRF, Der Standard, Rheinische Post und SZ.de. Mehr auf www.kunstjagd.com und www.sz.de/kunstjagd.

Das ist die andere Seite, die eigentliche, um die es bei unserer Suche gehen soll: um das Schicksal von Paula, Jakob, Edward und Melly Engelberg. Sie waren vier von Millionen Juden, die von den Nazis ausgeraubt und vertrieben oder ermordet wurden. Bloß: Während wir Whatsapp-Nachrichten beantworten, Bild, Ton und Text für unsere verschiedenen Kanäle produzieren und nebenher weiter recherchieren, gerät das manchmal zu sehr in den Hintergrund.

Es ist Montagabend, 23 Uhr. Wir skypen mit Edward Engelberg, der als einziger noch Lebender damals die Flucht aus Deutschland mitgemacht hat. Seit Tagen warten wir darauf: Wir wollen ihm 14 Gemälde präsentieren, die wir gefunden oder auf die uns Teilnehmer aufmerksam gemacht haben. 14 Gemälde, die das "eine" sein könnten. Jetzt sitzt unser Reporter Christian Salewski endlich vor dem Bildschirm. Oft haben wir diskutiert, welche Fragen wir Edward über die Bilder-Auswahl hinaus noch stellen müssen. Viele neue Ideen und wichtige Nachfragen sind erst unterwegs aufgetaucht, und bisher hatten wir keine Möglichkeit, unsere einzige Quelle erneut zu befragen. Wir wissen, dass wir Edward nicht überfordern dürfen, aber was unser Zeitzeuge heute nicht erzählen wird, das fehlt uns in den kommenden Wochen.

Ein Gemälde, das Erinnnerungen weckt

Es geht los. Kann der 86-Jährige eines der Bilder identifizieren? Unsere größte Hoffnung ist ein aufgerolltes und deswegen beschädigtes Gemälde. Edwards Erinnerung nach rollte auch seine Mutter das Gemälde auf, bevor sie im Versuch, ein Visum zu ergattern, die Wohnung verließ. Fast 15 Flugstunden von uns entfernt sitzt Edward auf seiner Couch im Altersheim, schaut sich die Bilder an, die wir ihm geschickt haben - und schließt eines nach dem anderen aus. Leider auch das aufgerollte, voller Überzeugung. Doch dann bleibt er hängen. Das dritte Gemälde, es mache irgendetwas mit ihm (in der Bildcollage oben das zweite von rechts in der ersten Reihe). Die bräunliche Farbe sei es, und außerdem sehe die Frau seiner Mutter ähnlich. Es sei das einzige, das für ihn Sinn ergebe.

Was Edward nicht weiß: Dieses Bild ist dem Werksverzeichnis zufolge in Öl auf Pappe gemalt, und Pappe lässt sich nicht aufrollen. Christian fragt nach, wie intensiv sich Edward erinnern kann, dass seine Mutter das Bild aufrollte. Hier antwortet der alte Mann mit einer Eindeutigkeit, die wir bei der Identifikation der Bilder vermisst haben. Ja, er wisse, wie flüchtig Erinnerungen sind, aber diese eine scheine ihm bildlich vor Augen.

Was machen wir mit diesen Informationen? Wir machen weiter. Christian fragt nach, arbeitet unsere Liste ab. Wie hießen die Schweizer, bei denen die Engelbergs in Zürich wohnten? Was ist mit den Nachbarn aus der Thierschstraße 7, die wir gefunden haben? Einer von ihnen war gleichzeitig mit Edwards Vater Jakob ins KZ Dachau verschleppt worden - doch bei Edward klingelt nichts. Und wer hat in den USA für die jüdischen Einwanderer aus Deutschland gebürgt? Nach der Putzfrau und dem Kindermädchen der Engelbergs fragen wir nicht mehr, zu groß ist die Befürchtung, es könne Edward zu viel werden.

Eine heiße, aber vernachlässigte Spur

Denn wir haben ja noch diese eine Frage, die uns in den letzten Tagen immer entscheidender zu werden schien. Bei wem sind Paula, Edward und Melly untergekommen, kurz nachdem der Familienvater von der Gestapo in "Schutzhaft" genommen worden war? Das müssen doch enge, hilfsbereite Freunde sein, könnten sie nicht auch bei der Flucht geholfen haben und etwas über den Verbleib des Gemäldes wissen? Das könnte eine heiße Spur sein, die wir bisher völlig vernachlässigt haben.

Edward antwortet, er erinnere sich sehr gut. Unsere Hoffnung wächst in diesem Moment, wir merken, wie klar das Bild dieser Freunde vor seinem inneren Auge entsteht.

Die Sandbanks, Tante Ly, Onkel Moritz und deren Kinder Tini and Bertl. Fast gleich alt wie Edward und seine Schwester, man sah sich oft, die Kinder durften sich über Nacht besuchen. Die Sandbanks waren wie die Engelbergs Ostjuden, aber im Gegensatz zu Jakob besaßen sie noch ihren polnischen Pass. Und so deportierten die Nazis sie, wie andere polnischstämmige Juden, ins Nachbarland. "Doch einige Züge kamen zurück", erzählt Edward, warum, könne er nicht mehr sagen. In einem davon saß Familie Sandbank, vorerst gerettet.

Nachdem ihr Mann abgeholt worden war, nahm Paula die Kinder und flüchtete zu diesen guten Freunden. Nur für eine Nacht allerdings, zu groß war die Angst, die andere Familie erneut ins Visier der Nazis zu bringen. Die Geschichte berührt uns, aber gleichzeitig sind wir immer gespannter: Wenn der Kontakt so eng war, dann müssen uns die Sandbanks oder ihre Kinder oder jemand, der sie kannte, doch vielleicht auf die Spur des Gemäldes bringen können?

Was Demut lehrt

Nein. Edward berichtet über ihr weiteres Schicksal, in einem fast nachrichtlichen Ton fasst er zusammen, was aus Tante Ly und Onkel Moritz und den Kindern wurde, die für ihn wie "Bruder und Schwester" waren. Moritz Sandbank wurde 1941 im KZ Dachau ermordet, seine Frau Luise brachte sich wenige Monate später um, mit Gas. Martin und Bertha kamen ins Kinderheim, dann ins Lager. Sie starben 13- und 14-jährig im polnischen Izbica.

Einige unserer Whatsapp-Nutzer haben uns gesagt, dass sie sich an dem Wort "Jagd" in #Kunstjagd stören. Auf manche mag es wirken, als sei der Titel dem ernsten Thema nicht angemessen, zu offensiv, zu reißerisch womöglich. Wir sind uns der Problematik bewusst und haben über den Namen und unsere Vorgehensweise lange diskutiert. Aber wir glauben, dass der Titel des Projekts ein Kompromiss ist zwischen dem Versuch, möglichst viele Menschen für dieses Thema zu interessieren und ihm gleichwohl inhaltlich gerecht zu werden. Und es sind Momente und Erzählungen wie diese, die uns immer wieder Demut lehren.

Recherche verfolgen – Hinweise geben
  • Whatsapp: Nachricht mit dem Text "Start Kunstjagd" an die kostenfreie Rufnummer 0157-53 25 78 33 senden, auf dem Laufenden bleiben und Hinweise schicken. Eigene Nachrichten und Nummer sind nicht öffentlich.
  • Mail: Hinweise an das Team mailen oder über das Kontaktformular der Website eingeben.
  • Social Media: Per Facebook, Twitter oder Instagram Neuigkeiten verfolgen.
  • Zuhören und Zuschauen: Die Podcast-Serie gibt es via iTunes und Soundcloud, die Playlist auf Spotify, alle Videos bei Vimeo.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: