Bayern-Ei-Skandal:Chronologie des Versagens

Bayern-Ei-Skandal: Diese Bilder, die offenbar im Bayern-Ei-Stall in Ettling aufgenommen wurden, zeigen zerrupfte Hennen, sterbende Tiere und immer wieder Kadaver.

Diese Bilder, die offenbar im Bayern-Ei-Stall in Ettling aufgenommen wurden, zeigen zerrupfte Hennen, sterbende Tiere und immer wieder Kadaver.

(Foto: Soko Tierschutz)

In Europa brechen Salmonellen aus, die Spuren führen zur niederbayerischen Firma Bayern-Ei. Und was tun die Behörden? Sie sehen weg, verzögern, verharmlosen.

Von Philipp Grüll und Frederik Obermaier

Hunderte Menschen erkrankten, zwei starben - und die Spur führt nach Niederbayern: Nach den jüngsten Recherchen von SZ und dem BR-Politikmagazin Kontrovers zu einem mutmaßlich von der Firma Bayern-Ei ausgelösten europaweiten Salmonellenausbruch im Sommer 2014 wächst die Kritik an den Behörden. Längst geht es nicht mehr nur um den größten und womöglich skrupellosesten Hühnerhalter Bayerns, sondern um das offenkundige Versagen bayerischer Behörden, allen voran des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Die Staatsanwaltschaft Regensburg ermittelt gegen den Eigentümer der Firma Bayern-Ei, hält es sich aber offen, gegebenenfalls auch gegen bayerische Behörden zu ermitteln.

Diesen Donnerstag müssen sich LGL-Präsident Andreas Zapf und Verbraucherschutzministerin Ulrike Scharf (CSU) im Umweltausschuss des Landtags den Fragen der Abgeordneten stellen. Ungereimtheiten gibt es in der Bayern-Ei-Affäre viele. Manche sind Kleinigkeiten, viele Ungeheuerlichkeiten. Zusammen ergeben sie das Bild von Behörden, die offenkundig versagt, bis zum Ende verharmlost, ja womöglich sogar vertuscht haben.

Sieben lange Wochen

Bei einer Routinekontrolle am 18. Februar 2014 nimmt das Landratsamt Dingolfing-Landau Eier aus dem Ettlinger Stall von Bayern-Ei zur Untersuchung mit. Am nächsten Tag werden die Proben ans LGL geschickt. Ein Salmonellentest ist nach Auskunft eines amtlich zugelassenen Labors normalerweise eine Sache von fünf Tagen. Allerdings vergehen beim LGL sieben Wochen, bis das Ergebnis vorliegt: Salmonellen auf den Eierschalen. Kurz darauf erkranken in Großbritannien - einem jener Länder, in die Bayern-Ei-Eier geliefert werden - die ersten Menschen an Salmonellose. Hätte das LGL schneller gearbeitet, wäre dies womöglich zu verhindern gewesen.

Im April 2014 werden erneut Proben genommen, diesmal vergehen sechs Wochen, bis das Ergebnis vorliegt: Salmonellen. Die Abnehmer von Bayern-Ei werden nicht alarmiert. Kurz darauf stirbt in einer Klinik in Birmingham ein 88-jähriger Mann. Als Todesursache steht in seinem Obduktionsbericht: Blutvergiftung durch Salmonellose. Tod durch Salmonellen.

Beschwichtigungsversuche

Hunderte Menschen erkranken in diesen Wochen an ein- und demselben Salmonellentyp: in Großbritannien, Luxemburg, Österreich, Frankreich. Wie sich herausstellt, wird der mysteriöse Ausbruch ausgelöst durch eine in Deutschland besonders seltene Form von Salmonellen vom Typ Salmonella enteritidis PT14b. Genau dieser Erregertyp wird plötzlich auch vermehrt aus Bayern gemeldet. 73 Prozent aller deutschen PT14b-Fälle, die dem Robert-Koch-Institut im Sommer 2014 übermittelt werden, kommen aus Bayern, besonders aus den Landkreisen um die Bayern-Ei-Betriebe. Das LGL beschwichtigt. Erst mal müsse geprüft werden, ob sich die Fälle auf "eine konkrete lokale Eintragsquelle" zurückführen lassen. Experten in Großbritannien haben das innerhalb einiger Wochen erledigt. Das LGL hingegen will das Ganze "in den kommenden Jahren" beobachten.

A-Eier oder B-Eier?

Am 9. Juli 2014 schicken die französischen Behörden eine Art Hilferuf über ein Schnellwarnsystem an ihre Kollegen in Europa: "Durch Lebensmittel verursachter Ausbruch von Salmonellose." Zwei Tage später werden erneut Proben in Ettling genommen. Am 1. August liegt das erste Ergebnis vor: Salmonellen. Das Landratsamt informiert weder die Öffentlichkeit, noch werden Eier zurückgerufen. Es erfolgen "keine weiteren Maßnahmen", so ist es auf amtlichen Dokumenten vermerkt. Später rechtfertigen sich die Behörden, die "Ausstallung" - also die turnusmäßige Tötung der Hühner - habe schließlich bereits begonnen. Außerdem habe Bayern-Ei zu diesem Zeitpunkt nur noch Eier der Güteklasse B ausgeliefert, die für die Kosmetikproduktion oder für industriell hergestellte und abgekochte Lebensmittel verwendet werden. Woher man dies wisse? Bayern-Ei habe dies mitgeteilt.

Bayern-Ei-Skandal: Quelle: SZ Grafik

Quelle: SZ Grafik

Die Aussagen mehrerer Mitarbeiter legen jedoch nahe, dass womöglich weiterhin A-Eier ausgeliefert wurden. Seltsamerweise kann das LGL auch nicht genau sagen, wann Bayern-Ei versichert habe, nur noch B-Eier auszuliefern. Auf mehrmalige Nachfrage von SZ und BR verweigerte das LGL gar die Auskunft darüber, ob die angebliche Auskunft von Bayern-Ei schriftlich oder mündlich erfolgte und ob sie auf irgendeine Art dokumentiert wurde. Bayern-Ei äußerte sich am Mittwoch auf Anfrage nicht näher zu der Angelegenheit.

Die nächste Verzögerung

Im August 2014 wusste das LGL längst, dass es im Ausland eine seltsame Häufung von Salmonellose-Fällen gibt, und hatte dazu etliche Hinweise, dass Bayern-Ei-Eier die Ursache sein könnten. Auch wurden auf Eiern aus Ettling Salmonellen gefunden. Das LGL hätte also nur überprüfen müssen, ob es sich um denselben Salmonellentyp handelt. Die entsprechende Probe wurde aber erst mit einem Monat Verzögerung, am 13. August, zur Untersuchung an das Robert-Koch-Institut weitergeleitet.

Am selben Tag stirbt ein 75-jähriger Österreicher. Salmonellen seien für seinen Tod "mitverantwortlich, wenn nicht alleinverantwortlich", heißt es bei der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. Hätte das LGL die Proben schneller weitergeleitet, wäre das Ergebnis früher bekannt gewesen und eine weitere Auslieferung von Bayern-Ei-Eiern - etwa nach Österreich - hätte womöglich frühzeitig gestoppt werden können.

Kranker Stallbursche

Im Juli 2014 werden bei Bayern-Ei-Mitarbeitern Stuhlproben genommen. Am 1. August steht fest, dass ein Stallbursche des Ettlinger Hofes an Salmonellen genau jenes Typs erkrankt ist, der auch in Österreich und Großbritannien gefunden wurde und der eigentlich in Bayern nicht sehr häufig ist. Zu diesem Zeitpunkt sind im Ausland bei Erkrankten bereits Eier-Packungen von Bayern-Ei gefunden worden. In Warnmeldungen ist von "serious risk" die Rede, von ernstem Risiko also, da kann jede Information wichtig sein. Etwa jene, dass bei genau jenem Unternehmen, das ohnehin schon unter Verdacht steht, auch noch ein Mitarbeiter an ein- und demselben Salmonellentyp erkrankt ist. Bayerns Behörden informieren ihre Kollegen im Ausland jedoch erst mehr als zwei Wochen später darüber.

Genetischer Fingerabdruck

Das bayerische Verbraucherschutzministerium erfährt nach eigenen Angaben am 10. Juli von der Warnung aus Frankreich, drei Wochen später wird das Ministerium vom LGL informiert, dass Bayern-Ei mit den Salmonellosefällen in Österreich in Verbindung gebracht wird. Die Behörden in Großbritannien und Österreich sehen schon bald eine Verbindung von den Todesfällen zu Bayern-Ei und berufen sich dabei auf eine Rekonstruktion der Lieferwege und eine Art genetischen Fingerabdruck der Bakterien. Dieser sei nahezu identisch mit den Proben, die bei Bayern-Ei genommen wurden. LGL-Präsident Andreas Zapf spricht indes bis heute nur von der "Hypothese", dass Bayern-Ei der Ursprung des Salmonellen-Ausbruchs sei.

Wo kommt die Stuhlprobe her?

Das LGL bittet im August 2014 alle bayerischen Gesundheitsämter, bei neu auftretenden Salmonellen-Fällen umgehend Proben ans Robert-Koch-Institut zu schicken. Eine Liste der eingesendeten Proben liegt SZ und BR vor. Hinter mindestens einer positiven Stuhlprobe ist im Kommentarfeld "Eier-Fabrik Straubing" eingetragen. Da könnte man hellhörig werden. Schließlich liegt der Bayern-Ei-Firmensitz Aiterhofen im Landkreis Straubing-Bogen. Darauf angesprochen teilt das LGL mit, woher der Begriff stamme, "entzieht sich unserer Kenntnis". Offenbar sieht das LGL bis heute auch keine Veranlassung, nachzuforschen.

Mindestens haltbar bis . . .

Auf dem Internetportal www.lebensmittelwarnung.de können die zuständigen Länderbehörden vor gefährlichen Lebensmitteln warnen. Theoretisch hätte das LGL dort über den Salmonellenverdacht bei Bayern-Ei-Eiern informieren können. Hat die Behörde aber nicht. Die "rechtlichen Voraussetzungen" seien nicht gegeben gewesen, da zumindest in Bayern keine gesundheitsgefährdenden Lebensmittel in den Verkehr gelangt seien. Dazu muss man wissen: Eier haben eine Mindesthaltbarkeit von vier Wochen. Das LGL brauchte aber mehr als vier Wochen, um Proben zu untersuchen oder an das Robert-Koch-Institut weiterzuschicken. Als das Ergebnis vorlag, waren keine mutmaßlich verseuchten Eier mehr im Handel, weil sie schlichtweg schon verkauft worden waren.

Versteckte Kamera

Zwar dürfen Eier des Ettlinger Hofs seit Oktober endgültig nur noch als B-Eier für die Produktion industriell hergestellter und abgekochter Lebensmittel ausgeliefert werden. Heimlich aufgenommene Videos zeigen jedoch, dass in Ettling offenbar A-Eier anderer Bayern-Ei-Standorte gelagert und verpackt wurden. Eier, die in den Supermarkt kommen, stehen auf den Bildern nur wenige Meter entfernt von Eiern aus dem Salmonellenstall. Eine Übertragung der Bakterien wäre ein Leichtes.

Und niemand kontrolliert's

Im Oktober 2014 stellen Bayerns Behörden offiziell fest, dass die Herde im Ettlinger Bayern-Ei-Hof mit Salmonellen befallen ist. Es werden Auflagen gemacht. Ob sie eingehalten werden, überprüft niemand. Videos, an die die "Soko Tierschutz" gelangt ist, zeigen noch Monate später zerrupfte Hühner, Dreck, sterbende Hennen und immer wieder Kadaver. Tatsächlich haben laut LGL zwischen Oktober 2014 und Ende Mai 2015 keine Kontrolleure den Bayern-Ei-Stall in Ettling betreten. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen wegen möglicher Verstöße gegen das Tierschutzgesetz eingeleitet.

Jetzt also auch Aholming

Am 5. März 2015 werden am Bayern-Ei-Standort Aholming Salmonellen nachgewiesen. Die Auslieferung von Eiern wird jedoch womöglich nicht gestoppt. Das LGL teilt mit, dass die Hühner "bereits ausgestallt", also getötet gewesen seien, als das Ergebnis vorlag. Erst auf Nachfrage erklärt das LGL, dass die Ausstallung in Wirklichkeit erst am 11. März beendet war. Es könnten also noch fast eine Woche lang salmonellenverseuchte Eier ausgeliefert worden sein. Auf eine entsprechende Anfrage antwortete das LGL nicht. Bayern-Ei erklärte lediglich, man arbeitete "stets offen und kooperativ" mit den Behörden zusammen.

Gentest? Braucht's nicht!

Im Frühjahr 2015 gibt es in Augsburg mehrere neue Salmonellose-Fälle. Das LGL beharrt darauf, dass es "keine Anhaltspunkte" gebe, dass die Augsburger Fälle mit Bayern-Ei in Verbindung stünden. Mit einem Gentest könnte man dies überprüfen. Einen solchen Test hat das LGL aber nicht veranlasst. Solche Untersuchungen hätten "keinen Mehrwert".

Vier Ställe, dreimal Salmonellen

Zwei Tage nach den ersten Berichten von SZ und BR rücken Kontrolleure zu "Sonderkontrollen" an allen vier Bayern-Ei-Standorten in Bayern an. Dabei werden in einem Stall in Aholming erneut Salmonellen gefunden, dazu auf einer Eischale des Standorts Aiterhofen. Zum Ergebnis der Untersuchungen in Ettling teilt das LGL mit: "Die Eier vom Standort Ettling sind z.T. positiv auf Salmonellen getestet." Heißt also: An drei von vier Bayern-Ei-Standorten wurden mittlerweile Salmonellen gefunden.

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