Medienrecht:Lieber soft als haftbar

Wer investigativ arbeitet, muss unangenehme Fragen stellen. Und wenn der Gegner mit dem Anwalt droht? Gerade kleinere Produktionsfirmen lassen sich schnell einschüchtern. Der Rechtsschutz, den die Sender bieten, reiche nicht, beklagen Filmemacher.

Von Hans Hoff

Es war eine klassische Undercover-Recherche, die Günter Wallraff und sein Team da im Mai anstellten: Gemeinsam mit einem seiner Mitarbeiter ließ sich der Journalist Wallraff in einem Oldenburger Pflegeheim beköstigen. Als vermeintlicher Testesser für potenzielle neue Bewohner - ohne klarzustellen, wer er ist und was er vorhat: Das Team Wallraff recherchierte verdeckt und samt Minikamera für den Fernsehsender RTL, wie schmuddelig es in Großküchen manchmal zugeht. Eine Recherche, die zu Ärger führt: der Heimbetreiber hat Strafanzeige gestellt, weil die beiden Journalisten sich unter anderem einer "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen" und des Hausfriedensbruches schuldig gemacht haben sollen. Am vergangenen Montag war das ganze dennoch zu sehen - und im Kölner Sender sieht man nach der Ausstrahlung der Anzeige gelassen entgegen. "Natürlich" werde man den beiden vollen Rechtsschutz gewähren, heißt es bei RTL.

Dabei ist es für investigative Reporter und TV-Produzenten nicht immer natürlich, dass man ihnen zu Hilfe eilt, wenn mächtige Gegner ihren juristischen Apparat in Stellung bringen. Gerade kleine Produzenten, die für ARD und ZDF arbeiten, beklagen mangelnde Rechtssicherheit. Die könne, so die Produzentenallianz, im Zweifelsfall sogar dazu führen, dass eine brisante Story liegen bleibe.

Stellen Journalisten unangenehme Fragen, dann springt oft bereits während der Recherche das Fax an und bringt die Botschaft eines Anwalts: Man habe gehört, dass beim Mandanten recherchiert werde, erkenne jedoch keinerlei Berichterstattungsanlass. Und im Falle irgendwelcher Falschbehauptungen werde man alle gebotenen rechtlichen Schritte einleiten.

Solche Formulierungen kennt inzwischen jeder, der publizistisch arbeitet und dabei zuweilen unbequem für andere ist. Kühle Hausjuristen in Verlagen oder Sendern lächeln regelmäßig über solche Schreiben und legen sie unbeantwortet auf den großen Haufen mit anderen solchen Briefen oder entgegnen mit einigen allgemeinen Zeilen zur verfassungsrechtlich verbrieften Pressefreiheit.

Meist helfen die Sender-Justiziare bei rechtlich heiklen Recherchen. Aber sie müssen es nicht tun

Doch Journalisten, die in freien Produktionsbetrieben der Fernsehbranche oder als freie Autoren in Minifirmen arbeiten, haben nicht automatisch den juristischen Apparat großer Medienhäuser hinter sich. Auf sie können solche Briefe durchaus Eindruck machen und zumindest Zeit binden, die für andere Erledigungen fehlt. Erst einmal muss man mit einem eigenen Rechtsanwalt die Sache durchgehen, die Risiken klären. Nach der ersten Nervosität springt dann in der Regel das Justiziariat des beauftragenden Senders in die Bresche und signalisiert: Wir kümmern uns darum.

In der Regel. Das ist jene Formulierung, die freie Produzenten sehr fürchten, denn jede Regel gebiert auch ihre Ausnahmen. Einen Anspruch auf Schutz so wie Festangestellte haben die meisten freien Filmemacher nicht. "Die Produzenten und die Autoren werden nicht ausreichend geschützt", sagt Stephan Lamby. Der bekannte Dokumentarfilmer, der mit seiner Firma ECO Media im Jahr um die 50 Produktionen stemmt, davon sechs bis sieben investigative, spricht als Vorstandsmitglied der Sektion Dokumentation der Produzentenallianz und hat mit den Sendern durchaus positive Erfahrungen gemacht.

Er weiß aber um die Furcht seiner Kollegen: Als TV-Produzent gerät man schnell in unangenehme, bedrohliche Streitigkeiten etwa mit großen Konzernen. Man arbeite zwar mit zahlreichen Sender-Justiziaren seit Jahren vertrauensvoll zusammen, sagt Lamby. "Es kann jedoch nicht sein, dass der Schutz der Produzenten von individueller Bereitschaft abhängig ist", sagt er. Daher müsse der juristische Schutz bei investigativen Produktionen in den Standardverträgen verankert werden: "Wir wollen einen grundsätzlichen Schutz für investigative Formate unter Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht."

Lambys Sorge begründet sich in einem Passus in den üblichen Verträgen, der von Sender zu Sender verschieden formuliert ist, sinngemäß aber so lautet wie beim Mitteldeutschen Rundfunk. Dort heißt es, dass der Produzent Sorge zu tragen habe, dass keine Rechte Dritter verletzt werden. Er stellt den MDR von allen Ansprüchen Dritter frei, auch von den Kosten einer etwa erforderlich werdenden Rechtsverteidigung. Im Klartext heißt das: Wenn es hart auf hart kommt, könnte der Sender den Produzenten im Regen stehen lassen.

Weil freie TV-Produzenten das Risiko fürchten, bleiben harte Stoffe auch mal liegen

Für Lamby und seine Kollegen ist es ein Unding, dass sich die Sender da regelmäßig ein Hintertürchen aufhalten, die freie Firmen mitunter in arge wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen könnten. Entsprechend zögerlich würden freie Produzenten Themen annehmen, mit denen sie mächtige Gegner gegen sich aufbringen. Deshalb falle die Entscheidung auch schon mal gegen ein investigatives und für ein eher leichtes Thema oder eine Wohlfühldoku aus, sagt Lamby. Mit absehbaren Folgen fürs Programm: "Produktionen wie 'Donau von oben' sind leichter zu tragen. Die Donau verklagt niemanden."

Der juristische Direktor des MDR, Jens-Ole Schröder, kennt die Einschüchterungsversuche: "Diese Gefahr sehen wir und glauben, dass wir ihr gemeinsam begegnen sollten." Und doch haben sich erst im vergangenen Jahr die ARD-Anstalten, die in dieser Frage vom MDR koordiniert werden, gegen eine generelle Haftungsübernahme ausgesprochen. "Diese generelle Haftungsübernahme können wir nicht vereinbaren", sagt Schröder, "wir würden dann ja auch die Haftung für Schlechtleistung übernehmen." Halte sich also jemand nicht an die journalistische Sorgfaltspflicht, dann könne und wolle die ARD dafür nicht einstehen. Auch wenn er andererseits "die Angst, die ein Produzent empfindet" lösen wolle.

Kurioserweise verweisen Autoren und Produzenten derzeit mit ein wenig Neid auf die Situation bei RTL. Ausgerechnet beim Privatsender habe man in jüngster Zeit mit diversen Dokumentationen unter dem Dach der Wallraff-Marke bewiesen, dass investigatives Arbeiten und der rechtliche Schutz durch den Sender keine unvereinbaren Gegensätze sind. Nach kritischer Berichterstattung komme es hin und wieder zu juristischen Auseinandersetzungen, sagt RTL-Chefredakteur Michael Wulf. "In solchen Fällen bekommen unsere Reporter, ob frei oder fest angestellt, natürlich volle Rückendeckung von uns", sagt er. Schiebt aber ebenfalls Kleingedrucktes nach: Auch RTL übernimmt nicht generell das Haftungsrisiko für seine Auftragsproduktionen. Oder wie es Wulf formuliert: "Selbstverständliche Voraussetzung ist, dass bei der Recherche und Produktion alle geltenden Regeln und redaktionellen Absprachen eingehalten wurden."

Mit solch einem Qualitätsvorbehalt als Passus in ARD-Verträgen könnte die Produzentenallianz gut leben, sagt Vorstandsmitglied Lamby. Doch ob er kommt, verbunden mit der Haftungsübernahme durch die Sender, das ist unklar. "Wir sind im Gespräch", sagt MDR-Justiziar Schröder. Immerhin.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: