Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank:EuGH urteilt über Draghis Geldpolitik

European Central Bank President Mario Draghi Addresses EU Parliament

Mario Draghis Bannspruch vom Sommer 2012, Staatsanleihen in notfalls unbegrenzter Höhe zu kaufen, hat die Märkte damals beruhigt

(Foto: Bloomberg)
  • 2012 entschied die Europäische Zentralbank unter Mario Draghi, Anleihen krisengeschüttelter Länder notfalls in unbegrenzter Höhe aufzukaufen.
  • Das beruhigte die Märkte und verschaffte den EU-Staaten Zeit im Kampf gegen die Schuldenkrise.
  • Doch verstößt die Praxis gegen den Vertrag von Maastricht? Darüber entscheidet heute der Europäische Gerichtshof.
  • Mit besonderem Interesse blickt das Bundesverfassungsgericht auf das Urteil.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Gewiss, man könnte sagen: Die Sache ist erledigt. Das OMT-Programm ("Outright Monetary Transactions") der Europäischen Zentralbank hat seinen Zweck erfüllt, der Bannspruch des Mario Draghi vom Sommer 2012, Staatsanleihen in notfalls unbegrenzter Höhe zu kaufen, hat die Märkte beruhigt und den Staaten Zeit zur Lösung der Staatsschuldenkrise verschafft.

Sähe man das so, wäre das Urteil, das der Europäische Gerichtshof (EuGH) an diesem Dienstag verkünden wird, nur eine kundige Rückschau gebildeter Juristen. Doch in Wahrheit weist das Urteil in die Zukunft: Es geht um Macht und Kontrolle in Europa - ein Kampf unter Ökonomen und Juristen. Das interessierte Volk sitzt auf den Zuschauerrängen.

Man muss einen Schritt zurückgehen, um das Problem zu begreifen. 1992 wurde die EZB im Vertrag von Maastricht mit der größtmöglichen Unabhängigkeit von Weisungen der Mitgliedstaaten ausgestattet. Das war ein beträchtlicher Machttransfer in Richtung Europa - die Geld- und Währungspolitik zählte bis dahin zum Kern nationalstaatlicher Befugnisse. Andererseits hielt man es - nach dem Vorbild der Bundesbank - für besser, die Sicherung des Geldwerts einer unabhängigen Institution zu übertragen und nicht der Politik, die stets den Versuchungen kurzfristiger Wahlgeschenke ausgesetzt ist. Vor diesem Hintergrund genüge die Verselbständigung der Währungspolitik dem Grundgesetz, befand das Bundesverfassungsgericht 1993.

Erlaubte Währungspolitik - verbotene Wirtschaftspolitik

Als Preis der Unabhängigkeit sollte es der EZB aber untersagt sein, sich direkt an Fiskalpolitik und Staatsfinanzierung zu beteiligen. Das Verbot des direkten Ankaufs von Staatsanleihen wurde in die EZB-Satzung aufgenommen. Womit wir beim Kern des aktuellen Streits angelangt wären. Der Geist, den die Europäer zur Einführung einer gemeinsamen Währung geschaffen haben - er hat die Fesseln des Rechts abgestreift und sich zum ökonomischen Regenten Europas aufgeschwungen.

So jedenfalls sieht es das Bundesverfassungsgericht, durchaus mit guten Gründen. Die Grenze zwischen erlaubter Währungs- und verbotener Wirtschaftspolitik der EZB mag unscharf sein, doch dass die Zentralbank mit ihrem Kaufversprechen auch die Finanzierung maroder Staaten beabsichtigte, lässt sich kaum bestreiten. Das jüngst angekündigte "Quantitative Easing" - Anleihenkäufe mit einem Volumen von mehr als einer Billion Euro - wird man als weiteren Beleg für den wirtschaftspolitischen Ehrgeiz der EZB nehmen können. Der CSU-Politiker Peter Gauweiler, einer der Kläger im OMT-Verfahren, hält auch hier eine richterliche Prüfung für nötig.

Es ist ein Kampf unter Ökonomen und Juristen - das Volk sieht zu

Als der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts im Frühjahr 2014 das EZB-Verfahren dem EuGH vorlegte, handelte er in der redlichen Absicht, den Geist wieder einzufangen: Das Handeln der EZB müsse sich - Unabhängigkeit hin oder her - an die rechtlichen Vorgaben der Verträge halten. Oder, um es demokratietheoretisch auszudrücken: innerhalb der Grenzen, die seinerzeit die gewählten Regierungen Europas formuliert haben, bevor sie die Geldpolitik an die demokratisch nicht mehr einzufangende EZB abgetreten haben.

Als Kontrolleure sind nun, und das macht die Sache zusätzlich kompliziert, zwei Gerichtshöfe im Spiel. Das Bundesverfassungsgericht hält die EZB-Aktion für einen "Ultra-Vires"-Akt, also für eine Maßnahme, mit der die Zentralbank den Boden ihrer Zuständigkeiten verlassen hat. Dafür reklamiert Karlsruhe die Letztkontrolle - weil dies nicht nur eine Frage des europäischen Rechts sei, sondern ans Herz des Grundgesetzes rühre. Damit stellen sich für das anstehende Urteil zwei Fragen. Erstens: Setzt der EuGH dem Handeln der EZB Grenzen? Der Generalanwalt des EuGH - eine für den Ausgang des Verfahrens einflussreiche Instanz - hatte sich in seinem Schlussantrag vom Januar dafür ausgesprochen. Er hat das Verbot der monetären Staatsfinanzierung als "fundamentale Regel" bezeichnet. Der EuGH dürfte sich dem wohl nicht gänzlich verschließen.

Besondere Bedeutung für das deutsche Verfassungsgericht

Die zweite Frage lautet: Akzeptiert der EuGH eine Karlsruher Letztkontrolle - begrenzt freilich auf zentrale Fragen der deutschen Verfassungsordnung? Auch hier spricht manches dafür, dass das oberste EU-Gericht einlenkt, weil es sonst einen tief greifenden Konflikt mit dem in Europa einflussreichen Verfassungsgericht riskierte. Für Karlsruhe wäre dies ein Durchbruch: Schon seit 1993 geistert die Ultra-Vires-Doktrin durch die Rechtsprechung - nun hätte das Gericht erstmals einen Hebel in der Hand, um den EuGH in wichtigen Streitfragen herauszufordern. Womit die Karlsruher Skepsis in künftigen Auseinandersetzungen um die EZB mehr Gewicht hätte.

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