Luxemburger Studie:Je mächtiger das Rollenklischee, desto schlechter die Noten

Schüler

Mädchen haben Jungen bei den schulischen Leistungen längst überholt.

(Foto: dpa)
  • Jungen fallen mit ihren schulischen Leistungen immer weiter gegenüber den Mädchen zurück. Eine Studie von Luxemburger und Schweizer Wissenschaftlern hat das erneut bestätigt.
  • Besonders Desinteresse am Unterrichtsgeschehen führt demnach zu schulischem Misserfolg. Jenes Desinteresse ist bei Jungen deutlich stärker ausgeprägt.
  • Zudem führt gerade bei Jungen ein Festhalten an einem patriarchalischen Rollenbild verstärkt zu Problemen im Schulalltag.

Von Matthias Kohlmaier

Sechs von zehn Schülern aus der leistungsschwächsten Gruppe sind Jungen. Sie machen weniger Hausaufgaben als Mädchen und nutzen ihre Freizeit seltener zum Lesen. All diese Erkenntnisse aus einer im März 2015 veröffentlichten Studie der OECD zu Geschlechterunterschieden in der Bildung zeigen unter anderem: Mädchen haben gegenüber Jungs in der Schule massiv auf-, sie in vielerlei Hinsicht überholt.

Entsprechend besagt der OECD-Bericht auch: Jungen fallen mit ihren schulischen Leistungen immer weiter ab. Warum das so ist und wie man gegensteuern könnte, haben nun Forscher aus Luxemburg und der Schweiz untersucht. "Entfremdung von der Schule, patriarchalische Meinung zu Geschlechterrollen und der geringere schulische Erfolg von Jungen", lautet der etwas sperrige Titel ihrer im Journal Masculinities and Social Change veröffentlichten Arbeit.

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick.

Mädchen schlagen Jungen in allen Bereichen

Ab der siebten Klasse werden die Schüler im Schweizer Kanton Bern, wo die Daten erhoben wurden, in drei verschiedene Schulzweige sortiert: Real, Sek und Spezsek; diese entsprechen vom angenommenen Leistungsniveau her etwa der deutschen Aufteilung in Haupt- bzw. Mittelschule, Realschule und Gymnasium. In allen drei Schularten wurden die Prüfungsleistungen der Schüler anhand eines Punktesystem verglichen - und die Mädchen übertrumpften die Jungen auf ganzer Linie.

Nicht nur schnitten sie in den sprachlichen Fächern (Deutsch, Englisch, Französisch) sowie in Musik, Biologie/Chemie und Geschichte besser ab. In der früheren Jungsdomäne Mathematik waren auf niedrigem und mittlerem Bildungsniveau keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu erkennen. Einzig in der Spezsek schnitten die Jungen in Mathematik etwas besser ab als die Mädchen. Die Forscher bewerteten den Unterschied aber nicht als signifikant. Im aktuellen Pisa-Test hatten Jungen OECD-weit noch fast überall bessere Ergebnisse in Mathematik erzielt als Mädchen.

Schulischer Erfolg und Geschlechterrollen

In ihren Hypothesen gehen die Wissenschaftler grundsätzlich davon aus, dass Schüler, die sich an einem patriarchalischen Bild der Geschlechterrollen orientieren, schwächere Leistungen zeigen und eher zu ungebührlichem Verhalten in der Schule neigen.

Und tatsächlich, so Andreas Hadjar, Professor für Erziehungssoziologie und Leiter der Studie, gab es bei den Jungen "einen klaren Zusammenhang zwischen schlechten Leistungen und einer traditionellen Meinung über ihre Geschlechterrolle, nämlich, dass Männer Frauen 'führen' sollen". Jungs mit diesen Merkmalen neigten außerdem eher dazu, den Unterricht zu stören, und schnitten deshalb schlechter ab: Sie erzielten ein um etwa acht Prozent schlechteres Jahresergebnis als der durchschnittliche männliche Schüler im gleichen Jahrgang.

Erfolg hängt vom Lehrer ab

Grundsätzlich scheinen laut der Studie traditionelle Ansichten über die Rollen von Männern und Frauen Schüler beiderlei Geschlechts gleich stark - und zwar negativ - zu beeinflussen. Jedoch ist diese Meinung bei Jungs offenbar viel weiter verbreitet als bei Mädchen und wirkt sich daher in den Ergebnissen auch stärker aus.

Warum sich Kinder von der Schule entfremden

Dass Mathematik und Geschichte mit zunehmendem Alter der Schüler und speziell in der Pubertät immer weniger wichtig für Heranwachsende werden, ist auch ohne wissenschaftliche Erkenntnisse eindeutig. Die Luxemburger und Schweizer Forscher jedoch konnten bei ihrer Untersuchung nachweisen, dass das Interesse am Schulunterricht massiv vom Freundeskreis - der Peergroup - beeinflusst wird. Da sich besonders Jungen nicht durch schulisches Engagement in ihren jeweiligen Peergroups Ansehen erwerben könnten, würden sie selbiges auch seltener zeigen. Zwischen der Einstellung im Freundeskreis und dem schulischen Erfolg konnten die Wissenschaftler jedoch keinen direkten Zusammenhang nachweisen.

Was jedoch in den Studienergebnissen deutlich wird: Je geringer das Interesse an der Schule, desto geringer auch der schulische Erfolg. So weit, so klar. Da mangelnder schulischer Ehrgeiz aber bei Schülern in der Studie häufiger und ausgeprägter auftrat als bei Schülerinnen, sind die recht deutlichen Leistungsunterschiede wenig überraschend.

Lösungsvorschläge

Der Erkenntnis wegen, dass Jungen mit ihren Leistungen gegenüber Mädchen immer weiter zurückfallen, machten sich die Forscher auch Gedanken darüber, wie man gegensteuern könnte. Ihr Vorschlag ist eigentlich eine Binse, aber wohl dennoch die zentrale Herausforderung für alle Lehrenden: Schulischer Erfolg hängt vom Lehrer ab.

Bei ihren Unterrichtsbeobachtungen stellten die Wissenschaftler fest, dass Jungs mit schlechten Leistungen am besten auf autoritative Unterrichtsstile mit einer strukturierten, engagierten, aber kontrollierten Einstellung des Pädagogen reagierten. Dies hat jedoch nichts mit überstrengen, autoritären oder mit harten Strafen verbundenen Methoden zu tun.

Die Studie zeigt ferner, dass unangebrachte Unterrichtsstile - das kann zu viel Strenge oder auch Laisser-faire sein - Entfremdungsgefühle von der Schule bewirken oder verstärken können. "Lehrer mit einem autoritativen Unterrichtsstil interessieren sich klar für ihre Schüler, lenken sie und sind bei Problemen für sie da", sagt Studienleiter Hadjar. "Diese Forschungsarbeit zeigt, dass Lehrer flexibel beim Umgang mit unterschiedlichen Persönlichkeiten sein müssen." Die Folgerung, dass Frontalunterricht gerade bei komplizierten (männlichen) Schülern nicht das Mittel der Wahl sein kann, liegt nahe.

Über die Studie

Durch Fragebögen, Gruppendiskussionen und Videoaufnahmen des Unterrichts sammelten die Forscher Daten von 872 Schülern, die alle im Schweizer Kanton Bern zur Schule gingen. Das durchschnittliche Alter der Studienteilnehmer betrug 14,9 Jahre. Die ermittelten Daten der Schüler verglichen die Wissenschaftler mit Ergebnissen von Tests und Klassenarbeiten.

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