Abschied:Der perfekte Quatschmacher

Stefan Raab ist einer der kreativsten und fleißigsten Fernsehmacher. Jetzt mag er nicht mehr, zum Jahresende wird er vom Bildschirm verschwinden. Liegt es am Geld oder gehen ihm die Ideen aus?

Von David Denk und Hans Hoff

Wenn sogar die Börse davon Notiz nimmt, dass ein Fernsehunterhalter seinen Hut nimmt, dann kann das nicht irgendjemand sein. Man bekam am Donnerstag auf diesem Weg einen guten Eindruck von der Tragweite der Entscheidung, die Stefan Raab am späten Mittwochabend über seinen Haussender Pro Sieben verbreiten ließ: Nach der Ankündigung seines Bildschirmabschieds zum Jahresende fiel die Aktie des Privatsenders zwischenzeitlich um 1,25 Prozent auf etwa 41,60 Euro. Der Schlussstrich, der für Raab eine Befreiung sein dürfte, bedeutet für Pro Sieben einen herben Verlust, muss der Sender doch bald ohne sein Zugpferd auskommen, auf das 16 Jahre lang Verlass war.

Es ist ein Rückzug, der die deutsche Medienlandschaft mindestens genauso kalt erwischt hat wie erst neulich der von Günther Jauch als ARD-Polittalker. Im Fall von Jauch wurde flugs Anne Will zur Nachfolgerin bestimmt, kein Problem, es gibt genug Talker in der Republik. Aber es gibt keinen Zweiten wie Raab, den wohl begabtesten Entertainer im deutschen Fernsehen, der bei Pro Sieben fast alles machte von Wok-Rennen bis Politik. "Pro Sieben ohne #Raab? Da kann ich mir ja gleich Big Bang Theory auf DVD holen", wurde bei Twitter im Hinblick auf die Sitcom-Dominanz im Programm gespottet.

Dass er auf dem Bildschirm nicht unbedingt alt werden möchte, hat Raab schon 1998 in einem Spiegel TV-Interview erklärt ("Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mit 50 noch Fernsehen mache"), aber das ist lange her, 17 Jahre, für Fernsehmaßstäbe eine halbe Ewigkeit.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mit 50 noch Fernsehen mache" Stefan Raab, 1998

Dazwischen liegen mehr als 2000 TV total-Sendungen, ein Sieg beim Eurovision Song Contest mit der von ihm entdeckten Lena, alle wichtigen Fernsehpreise sowie ein Kanzlerduell mit Raab als gewitztem Fragesteller. Da war der Mann mit dem Wok auf einmal ganz ernst - wie er überhaupt unglaublich bei der Sache sein kann, wenn es um etwas geht, das ihm wichtig ist. Ob es Musik, Politik oder Quatsch ist.

Nächstes Jahr wird Raab 50 und er hat sich offenbar dazu entschlossen, sein Geschwätz von gestern, das sonst so häufig über Bord geworfen wird, ernst zu nehmen. "Ich möchte nicht irgendwann mal meinen Kindern erzählen müssen: Guck mal, da im Fernsehen, das ist der Papa, der macht da den lustigen Onkel, damit er euch was zum Anziehen kaufen kann", erzählte Raab bei Spiegel TV. Fernsehmoderator sei "ja kein richtiger Beruf". Dafür allerdings hat der Unternehmer Raab damit wirklich sehr gutes Geld verdient. Seine Firma Raab TV soll für den nun auslaufenden Fünf-Jahres-Vertrag mit Pro Sieben 185 Millionen Euro erhalten haben.

Begonnen hat Raabs Fernsehkarriere als junger Wilder vom Dienst Ende 1993 beim Musiksender Viva. In seiner Show Vivasion mussten die prominenten Gäste auf Kinderstühlchen Platz nehmen und sich auch sonst einiges gefallen lassen. Raab verblödelte unter anderem Rudi Carrell und Karl Moik in kleinen Songs, den sogenannten Raabigrammen. Dem damaligen Bundestrainer widmete er den Spott-Rap "Böörti Böörti Vogts", der bis auf Platz vier der deutschen Single-Charts stieg.

Seine ausgeprägte Musikalität bescherte Raab einige seiner größten Erfolge: Lange vor Lenas ESC-Triumph schickte er 1998 Guildo Horn zum Schlagerwettbewerb und landete auf Platz 7, zwei Jahre später nahm er selber teil, natürlich wieder mit einer Eigenkomposition, "Wadde hadde dudde da?", und schaffte es sogar auf Rang fünf. Seine Lieder "Hier kommt die Maus", "Hol mir mal ne Flasche Bier" und "Maschen-Draht-Zaun" kennt in Deutschland jedes Kind. Raab hat die Gabe, aus Quatsch Gold zu machen. Der Spott über Normalos wie die sächsische Hausfrau Regina Zindler und das Model Lisa Loch wurde sein Markenzeichen, kostete ihn aber auch Sympathien.

Die Zeit der großen Provokationen ist lange vorbei, Raab ist ruhiger geworden, man könnte auch sagen: langweiliger, die größte Provokation zuletzt war, mit welcher kaum verborgenen Lustlosigkeit sich Raab durch seine ProSieben-Show TV total schleppt. Das erinnerte fast an Harald Schmidt in seiner Blauen Periode, der späten ARD-Phase.

TV total ist, wie schon Vivasion, von Raabs langjährigen Geschäftspartner und heutigem Chef der Produktionsfirma Endemol Shine Germany, Marcus Wolter, erfunden worden. Es wurde zum Mittelpunkt eines Raab-Universums. Mit Raab TV, seit 2008 einer hundertprozentige Brainpool-Tochter, hat er das deutsche Fernsehen erneuert, indem er etwa den Bundesvision Song Contest entwickelte, allerlei Fun-Sport-Events oder Schlag den Raab, alles Sendungen, für die TV total die Promotionsmaschine ist, eine Dauerwerbesendung in eigener Sache.

Für die anderen prominenten Teilnehmer mögen Veranstaltungen wie die Wok-und die Autoball-WM eine große Gaudi sein, für Raab sind sie immer auch Kampf. Der gelernte Metzger, der parallel zur Ausbildung Jura studierte, ist auf manchmal verstörende Art und Weise ehrgeizig. Der Erfolg von Schlag den Raab beruht nicht zuletzt darauf, dass Raab das Preisgeld mit Zähnen und Klauen verteidigt, so als würde es ihm im Falle einer Niederlage von der eigenen Gage abgezogen. Groß zu denken brachte ihm auch den wohl bedeutendsten Erfolg seiner Fernsehlaufbahn ein: Mit der im Ersten sowie bei Pro Sieben ausgestrahlten Castingshow Unser Star für Oslo etablierte er 2010 eine bislang einmalige Kooperation zwischen Öffentlich-Rechtlichen und Privaten und bescherte dem ESC einen Popularitätsschub.

Er kann aus Unfug Gold machen, aber er ist dennoch kein unpolitischer Eskapist

Widersprüche zu vereinen, war ihm sowieso ein Anliegen: Wer Raab für einen unpolitischen Eskapisten hielt, wurde mit der TV total Bundestagswahl oder der Polittalkshow Absolute Mehrheit eines Besseren belehrt. Es ging um was, das wichtig war.

Ausgerechnet Raabs Homebase TV total verkam angesichts all der anderen Baustellen immer mehr zum Platzhalter, der verglichen mit der neuen Generation von Entertainern wie Joko & Klaas oder Jan Böhmermann zunehmend alt aussah. Raabs einziger Ehrgeiz bei TV total schien zu sein, die Sendung als Werbeplattform zu erhalten.

Spielte es eine Rolle bei Raabs Rückzug, dass es in jüngster Zeit wohl schwieriger wurde, Produktionen noch profitabel zu halten? Mehrfach war zu hören, dass TV total nicht unbedingt mehr zu den Cashcows im Hause Brainpool zählte. Schon seit geraumer Zeit wurde hinter den Kulissen streng gespart.

Von Sparzwängen ist in Raabs Statement keine Rede. Vielmehr betont der Entertainer, dass man ihm ein Angebot zur Vertragsverlängerung unterbreitet habe. Er sagt allerdings nicht, welche Konditionen in diesem Angebot standen. Von anderen Produktionen weiß man indes, dass auf Senderseite die Tendenz immer seltener zum Aufblähen von Etats geht. Vielmehr versuchen die Controller dasselbe Produkt zum wesentlich niedrigeren Preis einzukaufen. Hat Raab bei den Verhandlungen gemerkt, dass er dem Sender seinen Willen nicht mehr so diktieren kann, wie das früher der Fall war?

Raabs Ankündigung gingen Gerüchte über einen Wechsel zu RTL voraus. Gerüchte gibt es zwar viele in der Branche, aber kaum vorstellbar ist es, dass Raab nun tatsächlich zum TV-Frührentner mutiert. Ein Rücktritt vom Rücktritt geht immer im Fernsehen.

Möglicherweise ist aber das Loslassen nun der größte Triumph in Raabs Karriere. Der Moment, in dem sein Überehrgeiz gewichen ist. Vielleicht hat Raab endlich den Raab geschlagen.

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