Nestle in Indien:"Die Nudel ist sicher"

Der Nestlé-Konzern muss in Indien das Vertrauen in sein Nudel-Gericht zurückgewinnen.

Von Arne Perras, Singapur

Wer zurückblickt, gerät ins Staunen: Das war schon ein großer schweizerischer Eroberungszug. Gerade in Indien, wo ausländische Firmen so viele Hürden nehmen müssen. Lähmende Bürokratie, Steuerwirrwarr, unterentwickelte Infrastruktur. Doch die Maggi-Instant-Nudel aus dem Hause Nestlé war nicht aufzuhalten. Sie hat es geschafft, innerhalb eines Vierteljahrhunderts in Millionen indische Küchen vorzudringen, wo man sie vorher gar nicht kannte. Ein erstaunlicher Weg. Manche würden es eine Win-Win-Situation nennen.

Ein großer Konzern macht Kasse, Millionen Kunden sind satt und zufrieden. All die Jahre ist es also prima gelaufen mit der Zwei-Minuten-Nudel. Doch dann schlug Ende Mai die indische Lebensmittelaufsicht Alarm. Und nun können alle sehen, wie ein so mühsam aufgebauter Markt blitzschnell zusammenbrechen kann. Ohne dass sich absehen lässt, wie lange die Krise anhält.

Indische Behörden haben in Proben von Maggi-Nudeln erhöhte Bleiwerte gemessen und den Verkauf des Produkts daraufhin vorübergehend gestoppt. Der Konzern Nestlé, zu dem die Marke Maggi gehört, erklärte seinerseits, die Nudeln seien sicher. Das Unternehmen, das auch in Indien produziert, verwies auf zusätzliche eigene Untersuchungen und in Auftrag gegebene Tests bei externen Labors, die belegen könnten, dass seine Nudeln die gesetzlichen Vorgaben erfüllen.

Street Food and Maggi Noodles As Nestle SA's Crisis Deepens

Ein Maggi-Shop im indischen Delhi. Seit 1947 gehört die Marke zum Nestlé-Konzern.

(Foto: Kuni Takahashi/Bloomberg)

Doch eine schnelle Klärung des Streits ist im Moment nicht in Sicht. Und überall hat sich Verunsicherung breitgemacht. So hat Nestlé nun damit begonnen, das umstrittene Lebensmittel in Indien zurückzuholen und Nudeln im Wert von mehr als 44 Millionen Euro zu vernichten.

Es ist eine der größten Rückrufaktionen, die es im Lebensmittelsektor jemals gegeben hat. Ausgerechnet die Nudeln von Maggi. In einer Umfrage 2014 glänzte die Marke noch unter den Top fünf im Vertrauen indischer Konsumenten. Und nun sollen die Hersteller plötzlich geschlampt und bleibelastete Produkte in die Regale gebracht haben? Der Streit hat das Vertrauen der Verbraucher erschüttert, der Schaden für den Konzern wächst, solange keine Lösung gefunden ist.

Und das Ausmaß möglicher gesundheitlicher Folgen für die Verbraucher, wenn sich die erhöhten Bleiwerte tatsächlich bestätigen sollten, sind noch nicht absehbar. Eine Anfrage an das Unternehmen Nestlé, aus welchen Regionen die Rohstoffe für die in Indien hergestellten Instant-Nudeln denn überhaupt kommen, blieb unbeantwortet.

Prominente haben schon theatralisch Abschied von ihrem letzten Nudeltopf genommen

Was aber längst ersichtlich ist: Die schnelle Nudel fehlt den Indern schon jetzt. Sie hat die indischen Herzen und Mägen offenbar doch nachhaltiger beeindruckt, als manche das vermutet hätten. Es trifft alle Regionen Indiens, Städte und Dörfer, die Armen und ganz besonders die wachsende Mittelschicht. Und selbst manche Reiche zeigen bereits Entzugserscheinungen. Man kann es an Einträgen in den sozialen Medien sehen, wo Prominente schon theatralisch Abschied genommen haben, indem sie ihren letzten Maggi-Nudeltopf löffelten und Bilder von diesem denkwürdigen Mahl posteten.

Street Food As Nestle SA's Crisis Deepens

Jetzt wurden erhöhte Bleiwerte gemessen.

(Foto: Kuni Takahashi/Bloomberg)

Und was sollen all die Maggi-Mamas jetzt tun, ohne deren Vorliebe der Siegeszug dieser Fastfood-Variante gar nicht denkbar gewesen wäre? Der Erfolg der Instant-Nudel ist nämlich kaum zu trennen vom gesellschaftlichen Wandel Indiens. Nestlé hat im Laufe eines Jahrhunderts viele solcher Veränderungen miterlebt und studiert, der Konzern gehört zu jenen, die schon ganz früh nach Indien strebten und seither einen langen Atem bewiesen haben.

Die Anfänge reichen in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg zurück, damals verkauften die Schweizer nach der Fusion mit einem Konkurrenten ihre Kondensmilch. Mit der legendären Milkmaid wurde Nestlé bekannt. Bis heute hilft sie dabei, alle möglichen indischen Desserts auf den Tisch zu zaubern.

Die Instant-Nudel der eingekauften Firma Maggi brachte Nestlé erst 1983 auf den indischen Markt. Das war für die dortigen Meister des Slow Food erst einmal eine gewöhnungsbedürftige Erfahrung. Aber eben auch eine, die gut passte zu den sozialen Umwälzungen, die Indien nun immer stärker veränderten. Der Kolumnist Bhattacharyya beschreibt, wie die ersten Werbe-Kampagnen für die neue Zwei-Minuten-Nudel offenbar einen Nerv trafen. Denn die Spots führten vor, wie Mütter es nicht nur schafften, sich liebevoll um ihre Kinder zu kümmern, sondern auch noch einen Job zu meistern, was in den Städten nun immer häufiger vorkam. "Es war eine befreiende Botschaft für die Frauen", schreibt Bhattacharyya. Der Nudel sei Dank.

75 Milliarden Euro

Jahresumsatz hat der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé im vergangenen Jahr insgesamt weltweit gemacht. Wegen des Verkaufsstopps der Maggi-Nudeln in Indien werden zunächst Lebensmittel im Wert von umgerechnet etwa 44 Millionen Euro vernichtet. Sollte das Nudel-Geschäft für Nestlé weiter ruhen, dann kommen nach Schätzungen eines Analysten weitere Verluste in Höhe von etwa 24 Millionen Euro monatlich auf den Konzern zu. SZ

Stars der indischen Filmindustrie machten die Nudel in Werbespots immer bekannter. Zum Beispiel die Bollywood-Schauspielerin Madhuri Dixit, die in Indien mindestens so populär ist wie im Westen Julia Roberts. Doch seitdem die Nudel in Verruf gekommen ist, kratzt das auch am Image der Tanz-Diva. Das hat sie und die anderen Werbestars ziemlich kalt erwischt.

Maggi, das bis zur Krise etwa 80 Prozent des Fertignudelmarktes beherrschte, stieß aber auch noch in andere Bereiche vor, mobile Garküchen in allen Regionen entdeckten beispielsweise die praktischen Nudeln, sie sind täglich umlagert von Büroangestellten, Rikschafahrern und Studenten, die alle ein schnelles einfaches Essen brauchen.

Die Nudel machte selbst vor eisigen Höhen nicht Halt, dort wo sich seit Jahrzehnten indische und pakistanische Soldaten belauern. Das höchste Schlachtfeld der Welt liegt auf dem Siachen-Gletscher im geteilten Kaschmir.

Ein harter Dienst auf 6700 Metern über dem Meer. Da freuen sich die Soldaten, wenn sie wenigstens Siachen-Omelette auf den Teller bekommen. Man braucht für dieses Gericht außer Eiern und Salz nur noch eines: Maggi-Nudeln für die Füllung. Was jetzt nach dem Verbot als Ersatz herhalten muss für die Gebirgstruppen, haben die indischen Streitkräfte noch nicht verraten.

Maggi noodles unsafe, says India's Health Ministry

In Bhopal gab es Proteste gegen Nestlé.

(Foto: Sanjeev Gupta/dpa)

Während Verbraucher nach Alternativen suchen, befeuert der plötzliche Nudelentzug auch gesellschaftliche Debatten. So dachte eine Politikerin der regierenden hindu-nationalistischen Partei BJP laut darüber nach, warum Frauen der jüngeren Generationen eigentlich so faul geworden seien und ihren Kindern nur noch zwei-Minuten-Nudeln vorsetzten. Sie habe das noch anders erlebt, sagt die 49-Jährige. Sie empfiehlt ohnehin, all das Instant-Food zu boykottieren.

Oppositionspolitiker nannten die Kritik an den Zwei-Minuten-Müttern lachhaft und respektlos. Der Streit beweist, wie eng die Debatten über die Rolle der Frau mit der Diskussion ums richtige Essen verwoben sind.

Gerade in Indien beklagen Traditionalisten häufig, dass sich die jüngeren Generationen nicht mehr genügend auf ihre eigenen kulinarischen Traditionen besinnen. Auch die Maggi-Nudel verkörpert den Kulturimport aus dem Westen und ein Lebensgefühl, das nicht überall auf Gegenliebe stößt. Doch auch weniger traditionell eingestellte Inder, die auf eine ausgewogene Ernährung achten, sind mit dem Instant-Nudel-Kult nicht glücklich.

Nestlé hat inzwischen damit begonnen, die umstrittenen Nudelpäckchen alle einzusammeln und zu vernichten. 27 420 Tonnen, auf 400 Millionen Päckchen verteilt. Das dauert mindestens 40 Tage lang. 2500 Lastwagen fahren kreuz und quer durchs Land, um die Ware einzusammeln und in mehreren Zementfabriken abzuladen, wo sie dann verbrannt werden.

Solange das Geschäft ruht und die Regale leer bleiben, wird das nach Berechnungen des Analysten Sanjay Manyal Verluste von monatlich umgerechnet etwa 24 Millionen Euro verursachen.

Für einen großen Konzern wie Nestlé mit einem Jahresumsatz von etwa 75 Milliarden Euro im Jahr 2014, ist das über eine kurze Spanne beherrschbar. Aber schwerer wiegt noch der Vertrauensverlust, der nicht so einfach wieder aufzuholen ist. Es geht also doch um viel, vielleicht sogar um die Zukunft des gesamten Indien-Geschäfts des Unternehmens. Die Nudel komme bald wieder, verspricht Nestlé-Chef Paul Bulcke dagegen voller Zweckoptimismus. "Gutes Leben, gutes Essen", lautet der Slogan des Konzerns. Doch die Inder müssen erst mal ihren Schock verdauen. Dann wird man sehen, ob sie wieder Appetit auf Maggi bekommen.

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