Berichte von Aussteigern:Albtraum Traumjob

Modenschau der Deutschen Meisterschule für Mode, 2010

"Ich wollte dieses Leben nicht mehr", sagt das Ex-Model.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sie hatten Geld und Ansehen - trotzdem war ihr Arbeitsalltag die Hölle. Ein Pilot, ein Model, ein Banker, ein Lehrer und ein Arzt erzählen, warum sie hingeworfen haben.

Von Michael Kläsgen

Fünf Menschen, fünf Berufe. Alle fünf gelten in der öffentlichen Wahrnehmung als erstrebenswerte Berufe, vielleicht sogar als glamourös. Doch trotz Anerkennung und Erfolg haben diese fünf Menschen ihren Beruf irgendwann an den Nagel gehängt. Überraschenderweise ähneln sich ihre Motive. Der Pilot klagt über "Kostendruck", der Oberarzt über "Ökonomisierung", der Banker über "Profitmaximierung", der Lehrer über Fremdbestimmung und das Model über die Standardisierung ihres Körpers. Ihr jeweiliges Berufsethos, ihre eigenen Ansprüche empfanden sie zunehmend als unvereinbar mit dem Arbeitsalltag. Ihr Traumjob machte sie schließlich krank und wurde zum Albtraum.

Der Pilot

Andreas Tittelbach, 52, war Lufthansa-Pilot, schied aber aus gesundheitlichen Gründen aus. Warum genau, darf er nicht sagen. Ein gerichtlicher Vergleich mit der Fluggesellschaft verbietet es ihm. Das Fliegen findet er nach wie vor faszinierend, aber um den Piloten-Beruf sorgt er sich. "Ich würde meiner Tochter nicht sagen: werde Pilotin." Die Arbeitsbedingungen würden immer problematischer. "Wir haben inzwischen in Deutschland Piloten, die dafür bezahlen, dass sie arbeiten dürfen", sagt Tittelbach. "Bei einer bestimmten deutschen Fluggesellschaft muss man heute Geld mitbringen, um dort als Copilot fliegen zu dürfen. Denn nach der Ausbildung muss jeder, der einen Job haben will, ein paar Hundert Flugstunden nachweisen, sonst wird er nicht angestellt."

Tittelbach nennt absichtlich keine Namen, um keinen Ärger zu bekommen. "Eine andere große europäische Fluggesellschaft, die auch viele deutsche Ziele anfliegt, beschäftigt Piloten sogar als Subunternehmer, um die Kosten zu senken", sagt er. "Wer jedoch zahlt, um eine Maschine zu steuern oder als Subunternehmer arbeitet, trifft keine freien Entscheidungen." Er hält die Entwicklung für besorgniserregend. "Alle Fluggesellschaften müssen darauf achten, dass die Sicherheitsstandards nicht durch den erhöhten Kostendruck unterlaufen werden. Es darf nicht heißen: Das steht zwar auf dem Papier, aber so genau müssen wir es ja nicht nehmen."

Übermüdung sei ein weiteres Thema. Vier oder fünf Flüge am Tag seien zu viel, weil die Piloten beim letzten Flug oft nicht mehr auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit seien. "Mir sind wie vielen anderen Kollegen nicht nur einmal im Flug die Augen zugefallen. Und ich kann mich gut an einen nächtlichen Anflug auf Frankfurt erinnern, bei welchem der Copilot und ich beide bis zur Landung mit dem Schlaf gekämpft haben." Tittelbach sieht hier den Gesetzgeber gefordert. "Die Arbeitszeiten müssen gesetzlich so begrenzt werden, dass nicht regelmäßig übermüdete Piloten im Cockpit sitzen."

Das Model

Catharina Geiselhart, 25, sitzt in einem Pariser Café und sagt: "Wenn mir heute jemand sagt, die Modelwelt sei nicht oberflächlich, dann lache ich mich tot." Das ehemalige Chanel-Model wurde im Bon Marché entdeckt, einem Kaufhaus in Paris. Sie war 14 und in Begleitung ihrer Mutter, als eine Dame sie fragte, ob sie nicht Model werden wolle. Mit 15 ging's los: New York, Mailand, Paris. Ein Leben im Jetset. "Oh, you look so pretty", riefen ihr die Fotografen zu. Sie fühlte sich schön und hatte eine gute Zeit. Einmal traf sie sogar Karl Lagerfeld. Bis sie merkte, wie hohl alles war.

Mit 16 nahm sie die Pille und legte an Oberweite zu, nur ein paar Gramm. In Hongkong passierte es dann. Sie passte nicht mehr in ein viel zu eng geschnittenes Chanel-Shirt. Böse Blicke und Kommentare trafen sie, der Druck war unerträglich. Das Erlebnis verschlimmerte ihre Magersucht. "Die wollen 18- oder 20-jährige Mädchen mit dem Körperbau einer 14-Jährigen, die aber nicht magersüchtig ist", sagt Geiselhart und beißt in ein Stück Kuchen.

Sie war so dürr, dass sie bei Castings abgelehnt wurde. "Essen war wie Gift für mich", sagt sie. "Ich wiege jetzt 58 Kilo und bin 1,76 Meter groß. Als ich magersüchtig war, wog ich 47 Kilo. Ein Kilo weniger, und ich hätte in der Klinik künstlich ernährt werden müssen." Sie fiel oft in Ohnmacht. 20 Castings am Tag, Make-up, das die Haut angreift, das ständige Ziehen an den Haaren, sich nackt ausziehen vor Fremden. "Ich wollte dieses Leben nicht mehr." Und sie hatte es satt, das Mädchen zu sein, das man nie einlädt, weil sie nie etwas isst. Sie wollte wieder Freunde haben.

Mit 19 hörte sie auf, studierte an einer angesehenen Universität in Paris, machte einen Master in Public Affairs und sattelte noch Internationale Finanzen obendrauf. Demnächst will sie nach Berlin ziehen, um dort für einen Stromkonzern zu arbeiten. Sie hat sich selber neu erfunden. "Modelsein", sagt sie, "ist wirklich kein Traum.

"Mitarbeiter wurden wie seelenlose Automaten behandelt"

Der Banker

Alexander Hartmann, 48, war zuletzt Chief Compliance Officer bei der Schweizer Privatbankengruppe Sarasin. Das heißt, er wachte darüber, dass die Bank alle Regeln und Gesetze im In- und Ausland einhielt. Im Jahr 2010 warf er alles hin - und wurde Sozialarbeiter, zunächst als Praktikant.

Hartmann hatte bis dahin eine steile Karriere im Finanzbereich gemacht. Er hatte oft den Arbeitgeber gewechselt und war nun bei Sarasin angelangt. Dort gefiel es ihm so lange sehr gut, wie das Unternehmen von Teilhabern geführt wurde. Dann wurde die Bank in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und aufgekauft. Fortan sei es nur noch um "extreme Profitmaximierung" gegangen, auch persönlich bei den Geschäftsführern. Der Umgang miteinander habe sich dramatisch verschlechtert. "Die Mitarbeiter wurden wie seelenlose Automaten behandelt", sagt er. Der Bank sei es nur noch darum gegangen, so schnell wie möglich zu wachsen, egal wie.

Die Geschäfte seien zwar immer legal gewesen, brachten ihn aber immer mehr in Gewissensnöte. In seiner Funktion geriet er dadurch direkt in Konflikt mit der neuen Geschäftsleitung. Irgendwann litt er auch gesundheitlich und fragte sich, ob er sich das noch 20 Jahre antun wolle. Sein ehrenamtliches Engagement in der Jugendarbeit führte ihn schließlich zum Bürgerlichen Waisenhaus in Basel, wo er, wie er sagt, "das härteste Bewerbungsgespräch" seines Lebens führte und eingestellt wurde. Rückblickend bereut er nichts. Alle körperlichen Beschwerden seien seither verschwunden. "Das ist phänomenal, was da passiert ist", sagt Hartmann. Aber er weiß auch: Ohne seine Frau und seine Freunde hätte er den Wechsel nicht geschafft.

Der Lehrer

Christian Huber, 62, war fast vier Jahrzehnte Lehrer, er unterrichtete an insgesamt drei bayerischen Mittelschulen und musste dann aufhören. Er war depressiv geworden und hatte psychotherapeutische Hilfe gesucht. Aus der Klinik kehrte er zunächst "total euphorisiert" zurück, kollabierte dann jedoch abermals.

Es waren viele Dinge zusammengekommen. Huber ist sehr selbstkritisch. Er sei natürlich immer älter geworden, sagt er. Die Organe, die man zum Lehrersein dringend brauche, hätten gelitten. Das Gehör zum Beispiel. Spät, mit 56 Jahren, sei er nochmals versetzt worden. Zuvor hatte der Schulleiter gewechselt. Auch die Gründung der Mittelschule hat indirekt mit seiner Berufsunfähigkeit zu tun. Huber hatte an der Hauptschule angefangen und war dort zufrieden. Auf der Mittelschule sei es ihm jedoch zunehmend schwergefallen, seine Ansprüche an den Lehrerberuf durchzusetzen und das Leistungsniveau zu halten.

Zudem respektierten ihn einige Schüler auf der neuen Schule wenig. Er macht ihnen keinen Vorwurf. "Schüler sind Produkte ihrer Zeit", sagt er. Im Klassenzimmer kam es zu einigen Vorfällen, die ihn sehr belasteten und ihm seine Ohnmacht vor Augen führten. Auch mit manchen Eltern gab es Schwierigkeiten. Huber begann, an sich zu zweifeln. Er hatte das Gefühl, seine Identität zu verlieren. Dabei ist er gern Lehrer, betont er. Seit einigen Monaten unterrichtet er erwachsene Asylbewerber, und das macht ihm Spaß.

Der Arzt

Klaus Müller, Ende 50, hat viele Jahre als Oberarzt an einer deutschen Uni-Klinik gearbeitet. Seinen richtigen Namen will er nicht genannt wissen, noch befindet er sich in einem Rechtsstreit mit seinem früheren Arbeitgeber. Er hat erlebt, wie die Ökonomisierung seinen Berufsstand erfasste. Besonders in der Pflege sei das Personal heruntergefahren worden. "Die Klinik verlor dabei ihre besten Kräfte", sagt er. Es sei immer weniger Zeit geblieben, den Patienten ihre Sorgen und Nöte zu nehmen. "Die Qualität der medizinischen Versorgung ließ sich immer schwieriger aufrechterhalten."

Müller hatte den Eindruck, "dass wirtschaftliche Zielsetzungen wie eine möglichst gleichmäßige Auslastung, also eine hohe Bettenbelegung, einen mittelbaren Einfluss auf medizinische Behandlungsindikationen haben können". Er meint damit: Es wurde operiert, nicht weil es notwendig war, sondern damit die Klinik möglichst viele Patienten hatte. "Die Gedanken drehen sich im Klinikalltag immer mehr um ökonomische Kennziffern statt um medizinische Fragestellungen." Gezielt würden Kliniken heute wirtschaftlich lukrative Bereiche stärken. Für seinen eigenen Arbeitsbereich, der im bestehenden Abrechnungssystem schlecht repräsentiert war, sah er keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr. Schließlich schied er "aus gesundheitlichen Gründen" aus.

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