USA nach Massaker in Charleston:Die Last nie gelöster Probleme

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Nach dem Massaker in Charleston fragen sich die Menschen dort, was den geständigen Täter antrieb. Es geht aber auch um Grundsätzliches: Wann überwindet das Land Rassismus und Waffengewalt?

Von Sacha Batthyany, Charleston, und Nicolas Richter, Washington

Der Täter ist gefasst worden, und er soll seine Taten gestanden haben. Zwei Tage nach dem Massaker in der Emanuel African Methodist Episcopal Church in Charleston aber versuchen die Menschen in dieser geschichtsträchtigen Stadt im Südstaat South Carolina noch immer zu begreifen, was hier eigentlich geschehen ist. Wen auch immer man in Charleston fragt, die Menschen antworten, sie seien "völlig verstört", "in tiefer Trauer", und sie hätten viele unbeantwortete Fragen.

"Was ging bloß in ihm vor, das möchte ich wissen", sagt der Hausmeister der Universität, die gegenüber der Kirche liegt und vor der schon früh morgens Dutzende Fernsehteams stehen. Der 54-Jährige will nur seinen Vornamen nennen, De Shawn. "Bevor er neun Menschen tötete in der Kirche", sagt De Shawn, "soll er eine Stunde lang mit ihnen im Kreis gesessen haben. Er hat mit ihnen gebetet, vielleicht hielt er ihre Hand?

Was war nur in seinem Kopf los?" Tausend Studenten besuchen die Universität von Charleston, schwarze und weiße, viele sind 21 Jahre alt, so alt wie der mutmaßliche Täter Dylann Roof. Sie alle stünden unter Schock, erzählt De Shawn, sie hätten Kerzen angezündet und Briefe vor die Kirche gelegt. "Man muss jetzt zusammenstehen", sagt der Hausmeister, auch das ist ein Satz, den man in Charleston zur Zeit oft hört, aber wie gut funktioniert dieses Zusammensein im Alltag wirklich?

Trauernde vor der Kirche in Charleston, in der das Massaker geschah (Foto: imago/UPI Photo)

Natürlich, der Amoklauf von Dylann Roof war die Einzeltat eines Rassisten, eines womöglich verwirrten Rassisten, und Hausmeister De Shawn sagt, dass es an der Universität natürlich keine Rassentrennung gebe, was aber nicht bedeute, dass alles immer harmonisch sei. "Es vergeht keine Woche, in der mich nicht eines der Kids Nigger nennt", sagt er. Längst habe er aufgehört, sich darüber zu ärgern, das sei einfach so, das ändere sich nicht. Alltagsrassismus im Süden halt.

"Man muss sich auch fragen, warum wir für zwölf Dollar die Stunde die Schule putzen, während die weißen Männer in den Klassenzimmern 55 000 im Jahr verdienen." Nein, sagt De Shawn im südstaatlichen Sing-Sang, so harmonisch, wie das der Bürgermeister Joseph Riley, der seit vierzig Jahren im Amt ist, im Fernsehen verkündete, sei das Leben in Charleston nicht. So war es hier nie.

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Die amerikanische Öffentlichkeit muss dieser Tage zur Kenntnis nehmen, dass die Tat nicht nur von den persönlichen Verirrungen des mutmaßlichen Mörders Dylann Roof zeugt, sondern auch von den ewig ungelösten, systemischen Problemen der USA - dem hartnäckigen Rassismus, der vor allem die Schwarzen im Land trifft, und der ebenso wenig beherrschbaren Waffenschwemme, die selbst der Präsident mit all seiner Macht nicht eindämmen kann. Manche fragen auch, ob man Taten wie diese nicht schlicht Terrorismus nennen sollte, ein Wort, das Amerikas weiße Elite sonst vor allem für die Taten muslimischer Extremisten verwendet.

Das Profil von Dylann Roof ähnelt dem vieler junger Amokläufer, wobei sich in seinem Fall zusätzlich eine klare politische Motivation offenbart hat. Der Verdächtige gilt als still und schüchtern, gar introvertiert, und bis Mitte dieser Woche auch als weitgehend unauffällig. Er ist in South Carolina aufgewachsen und soll nach der neunten Klasse ohne Abschluss die High School verlassen haben, offenbar setzten ihn seine Eltern kürzlich noch unter Druck, eine Arbeit zu suchen. Zuletzt hat er mehrmals die Aufmerksamkeit der Polizei erregt, weil er sich in einem Einkaufszentrum herumtrieb und den Verkäufern seltsame Fragen stellte, etwa nach ihren Arbeitszeiten. Offenbar hat er sich aber für keine einzige Stelle beworben.

Dylann Roof hat sich womöglich erst in jüngerer Zeit zum Rassisten gewandelt. Inwieweit er auch gesundheitliche oder psychische Probleme hatte, ist noch unklar. (Foto: Chuck Burton/AP)

In jüngerer Zeit fiel er nicht nur durch dieses erratische Verhalten auf, sondern auch durch rassistische und aggressive Sprüche. Sein Freund Joseph Meek erzählte der New York Times, Roof habe darüber gesprochen, "einer Menge Leute wehzutun", und dass die Menschen nach Hautfarbe getrennt werden müssten. Meek berichtet, er sei so besorgt gewesen, dass er Roof sogar dessen Schusswaffe weggenommen habe. Allerdings habe er sie dann zurückgegeben, weil er Angst hatte, selbst in Schwierigkeiten zu geraten wegen Waffenbesitzes. Der spätere mutmaßliche Todesschütze Roof soll die Pistole ganz legal mit Geld gekauft haben, das ihm seine Eltern zum 21. Geburtstag geschenkt hatten.

Ein anderer Freund, Dalton Tyler, erzählte, Roof habe wüst über Schwarze geschimpft und angekündigt, "einen Bürgerkrieg anzuzetteln". Tyler sagt, er habe Roof deswegen zwar "blöd" genannt und ihn für einen Rassisten gehalten, sonst aber nichts unternommen. "Ich möchte andere Leute nicht verurteilen", erklärte er. Aber vielleicht liegt genau hier das Problem - dass Rassismus in Teilen der USA, und vor allem in den Südstaaten wie South Carolina, schweigend geduldet wird oder als Kavaliersdelikt gilt. Im Laufe der Ermittlungen wird sich zeigen müssen, wie viele Menschen im Umfeld Roofs von seiner Einstellung wussten und warum niemand etwas dagegen unternommen hat.

Roof hat sich womöglich erst in jüngerer Zeit zum Rassisten gewandelt. Als seine Facebook-Seite am Donnerstagmorgen noch zugänglich war, fanden sich dort unter seinen etwa 90 Freunden viele Schwarze, womöglich frühere Klassenkameraden. Andererseits zeigte das Profilfoto Roof, wie er mit schwarzer Jacke im Wald steht und finster in die Kamera blickt. Auf seiner Jacke prangen zwei Aufnäher, die Flaggen der früheren Regime in Südafrika und Rhodesien (heute Simbabwe), die im Namen einer weißen Minderheit eine weitgehend schwarze Bevölkerung brutal unterdrückten. Die "white supremacists" in den USA, die sich den Schwarzen überlegen fühlen, halten diese einstigen Regime im Süden Afrikas für vorbildlich und betrauern bis heute deren Ende.

Obama spricht von "Traurigkeit und Zorn"

Am Mittwochabend erschien Roof der Polizei zufolge in der Kirche im Zentrum von Charleston, hörte eine Stunde lang zu und erschoss dann neun Menschen. Als Tatort hatte er eine der ältesten Kirchen im Süden des Landes gewählt, ein Symbol für schwarzen Widerstand gegen weiße Unterdrückung.

Inwieweit Roof auch gesundheitliche oder psychische Probleme hatte, ist noch unklar. Als ihn die Polizei einmal aus einem Einkaufszentrum entfernte, fand sie in seiner Jackentasche Suboxone, ein verschreibungspflichtiges Medikament für Abhängige von Opiaten. Roof konnte dafür kein Rezept vorlegen.

Was auch immer seinen Hass auslöste oder befeuerte: Roof gehört mutmaßlich zu einer gewalttätigen Minderheit, die so genannte Hate Crimes begeht, also Personen angreift, nur weil sie zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe gehören. Einer Statistik der Bundespolizei FBI zufolge sind die Opfer solcher Verbrechen in 33 Prozent der Fälle, und damit überdurchschnittlich oft, schwarze Menschen. Die zweitgrößte Gruppe besteht mit 20 Prozent aus Homosexuellen. Es folgen Weiße und Juden mit je zehn, Hispanics mit sechs und Muslime mit zwei Prozent.

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Der Massenmord in Charleston hat auch die - vorhersehbar folgenlose - Debatte über Amerikas Waffen neu belebt. US-Präsident Barack Obama erklärte im Weißen Haus, er verspüre "Traurigkeit und Zorn" ob der Gewalt. Angesichts der politischen Mehrheiten in Washington gab er sich allerdings nicht optimistisch, die Waffengesetze verschärfen zu können. Obama war damit bereits nach dem Schulmassaker in Newtown Ende 2012 gescheitert, als ein Amokläufer 20 Kinder und sechs Lehrkräfte erschoss. "Wieder einmal wurden Unschuldige getötet, weil es einem Übeltäter leichtfiel, an eine Pistole zu gelangen", sagte der Präsident, "irgendwann muss dieses Land zur Kenntnis nehmen, dass es diese Art von Gewalt in anderen entwickelten Ländern nicht gibt."

Die Republikaner setzen stattdessen lieber auf Abschreckung. Nikki Haley, die republikanische Gouverneurin von South Carolina, verlangte am Freitag sehr dezidiert die Todesstrafe für den Täter.

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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