Arbeitsmarkt:Mindestlohn wirkt

Gastgewerbe in Dresden

Straßencafé in Dresden: In der Gastronomie und im Taxigewerbe haben viele wegen der Einführung des Mindestlohns gestöhnt.

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)
  • Eine neue Auswertung der Bundesregierung bestätigt die Wirkung des Mindestlohns.
  • Insgesamt sank die Zahl der Aufstocker um 45 000, seit die 8,50 Euro als Untergrenze für einen Stundenlohn vorgeschrieben sind.
  • Die Bundesagentur warnt davor, die Zahlen überzubewerten.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Wer eine Arbeit hat und zusätzlich Hartz IV bezieht, verdient oft nicht viel. Vor Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro kam ein sogenannter Aufstocker in Westdeutschland auf einen Bruttolohn von durchschnittlich 6,80 Euro die Stunde, zwei Drittel verdienten weniger als 7,50 Euro. In Ostdeutschland brachten Aufstocker im Durchschnitt sogar nur 5,20 Euro nach Hause. Das fand das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) heraus.

In Extremfällen zahlten Arbeitgeber sogar unzulässig niedrige, sittenwidrige Löhne, also nicht einmal zwei Drittel des in der Branche ortsüblichen Lohns. Berühmt berüchtigt wurde so der Besitzer einer Pizzeria in Stralsund. Der Mann hatte für eine Kellnerin, zwei Küchenhelfer und zwei Pizzaboten Stundenlöhne von gerade einmal 1,32 Euro herausgerückt. Das restliche Geld zum Leben sollten sich seine Arbeitnehmer beim Jobcenter holen.

Solche Geschäftsmodelle, in denen Unternehmen Mitarbeiter explizit niedrig bezahlen und dazu auffordern, den Verdienst über einen Antrag auf die staatliche Grundsicherung (Hartz IV) anzuheben, sind durch die allgemeine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro erschwert worden. IAB-Chef Joachim Möller hat jedoch stets betont, dass der Mindestlohn kein Allheilmittel sei, "mit dem sich alle Probleme von Armut und Armutsgefährdung auf einen Schlag lösen ließen". Das bestätigt jetzt auch eine neue Auswertung der Bundesregierung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Sie zeigt: Der Mindestlohn wirkt. Die Zahl der Aufstocker ist zurückgegangen, wenn auch nur in geringem Umfang.

Die Anzahl der Aufstocker fiel um 45 000

Ökonomen gegen schnelle Erhöhung

Wirtschaftsforscher warnen vor einer schnellen Erhöhung des Mindestlohns. "Eine Kombination aus einer sich irgendwann wieder abkühlenden Konjunktur und einem steigenden Mindestlohn könnte sehr gefährlich werden", sagte Ronald Bachmann vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung der Deutschen Presse-Agentur. "Dann würden die Kosten der Arbeit steigen, und die Firmen hätten gleichzeitig weniger Nachfrage", warnte der Arbeitsmarktexperte. Damit würde auch der Bedarf an Arbeitskräften sinken. "Und wenn diese gleichzeitig noch teurer werden, ist die Gefahr von Entlassungen sehr hoch." Auch Ferdinand Fichtner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung wies darauf hin, dass die gute Konjunktur es den Firmen leichter gemacht habe, den Mindestlohn erst einmal wegzustecken. Der Vizechef des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Oliver Holtemöller, sagte, der Mindestlohn wirke sich auf das gesamte Lohngefüge aus. "Alle, die vorher 9,50 Euro verdient haben, wollen auch mehr verdienen, um den Abstand wieder herzustellen. Das heißt, die Lohnstückkosten steigen insgesamt in Deutschland." Die Mindestlohn-Kommission soll erstmals Mitte 2016 einen Vorschlag unterbreiten, wie hoch der Mindestlohn von 2017 an sein sollte. DPA/SZ

Im Dezember 2014, also vor dem Startschuss für die gesetzliche Lohnuntergrenze, gingen 1,268 Millionen Menschen einer Arbeit nach und bezogen zugleich Hartz IV. Im Januar 2015 waren es noch 1,242 Millionen - das sind 26 000 weniger. Im Februar setzte sich dieser Trend fort. Die Anzahl der Aufstocker sank um weitere 19 000 auf 1,223 Millionen. Insgesamt fiel sie also um 45 000, seit die 8,50 Euro vorgeschrieben sind. Auch der Anteil der Aufstocker an den knapp 4,3 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfängern ging von 29,3 Prozent Ende 2014 auf 27,8 Prozent im Februar 2015 zurück. Das geht aus einer Antwort des Arbeitsministeriums auf eine Anfrage des sozialpolitischen Sprechers der Grünen, Wolfgang Strengmann-Kuhn, hervor. Aktuellere Statistiken gibt es nicht. Auch über die Einspareffekte gibt es noch keine Angaben. Das IAB hatte geschätzt, dass die Hartz-IV-Ausgaben für Aufstocker um 700 bis 900 Millionen Euro sinken werden.

Die Bundesagentur warnt jedoch davor, die neuen Zahlen überzubewerten. Eine Sprecherin der BA weist darauf hin, dass es zum Jahreswechsel stets einen Rückgang der abhängig beschäftigten Aufstocker gebe, "vermutlich weil auch Aufstocker von Winterarbeitslosigkeit betroffen sind und deshalb vorübergehend nur Hartz IV erhalten". Da der Rückgang aber stärker als in den Vorjahren ausgefallen sei, deute dies darauf hin, "dass dies mit der Einführung des Mindestlohns zusammenhängt".

Außerdem könnten auch Aufstocker ihren Job verloren haben, weil ihren Arbeitgebern die 8,50 Euro zu viel waren. Die Erwartungen waren ohnehin gering: BA-Vorstand Heinrich Alt hatte noch vor Weihnachten 2014 im SZ-Interview prognostiziert: "Der Mindestlohn wird uns ein Stück weit helfen. Wir werden schätzungsweise 60 000 Aufstocker weniger in der Grundsicherung haben, die als Singles dann so viel verdienen, dass sie nicht mehr zusätzlich auf Hartz IV angewiesen sind."

Bei vielen reicht der Verdienst nicht aus, um Kinder oder Angehörige versorgen zu können

Hinter den Aufstockern verbergen sich nämlich höchst unterschiedliche Haushalte: Fast die Hälfte, etwa 593 000, lebt überwiegend von Hartz IV und verdient sich mit einem 450-Euro-Minijob ein paar Euro dazu. Beim anderen großen Teil, ebenfalls knapp 600 000, ist es eher umgekehrt: Sie haben zum Beispiel einen voll sozialversicherungspflichtigen Job, brauchen aber die Hilfe vom Steuerzahler, weil sie nur Teilzeit arbeiten und damit nicht genug verdienen. Bei vielen reicht auch der Verdienst nicht aus, um Kinder oder Angehörige versorgen zu können. Oder sie leben in einer äußerst teuren Wohngegend wie München und sind daher auf staatliche Hilfe angewiesen. Hinzu kommen Selbständige, die ihre Einkünfte mit Hartz IV ergänzen müssen - und keinen Anspruch auf die 8,50 Euro haben. Für IAB-Chef Möller war deshalb immer klar, dass mit dem Mindestlohn nicht die Aufstocker verschwinden.

Wolfgang Strengmann-Kuhn von den Grünen sagt: Der Mindestlohn gehe an den meisten erwerbstätigen Hartz-IV-Beziehern vorbei, weil er nicht ausreiche, um Teilzeit-Beschäftigte oder Familien aus dem Hartz-IV-Bezug herauszuholen. "Der Mindestlohn ist richtig, aber kein Mittel zur Armutsbekämpfung."

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