Aktion des Zentrums für politische Schönheit:Die Mittel schaden dem Zweck

Das Zentrum für politische Schönheit zieht mit Särgen ins Regierungsviertel. Was für ein Spektakel! Doch zum Nachdenken regt die Aktion "Die Toten kommen" nicht an. Vor allem, weil die Aktivisten das Publikum dramatisch unterschätzen.

Kommentar von Hannah Beitzer, Berlin

"Das gibt tolle Bilder", sagt der schwarzgekleidete Mann mit den blonden Haaren, der eng umschlungen mit seiner Freundin auf einem Poller irgendwo zwischen Kanzleramt und Reichstag steht, begeistert. "Tolle Bilder." Er guckt von oben zu, wie einige Dutzend Demonstranten den Zaun niederreißen, der um die Wiese vor dem Reichstag errichtet ist, mehr und mehr Menschen auf diese Wiese strömen und sofort anfangen, zu buddeln. Sie graben Blumen und kleine Kreuze ein, umringt von anderen Demonstranten und Journalisten, die knipsen und filmen, was das Zeug hält.

Eigentlich war geplant, heute vor dem Kanzleramt einen Friedhof zu errichten, gewidmet den Tausenden unbekannten Flüchtlingen, die im Mittelmeer ertrunken sind und immer noch ertrinken. Das Künstlerkollektiv "Zentrum für politische Schönheit" (ZPS) hat dafür in einer viel beachteten Kampagne Leichen von Flüchtlingen aus Italien nach Deutschland geholt. Die Behörden hatten natürlich etwas gegen einen Friedhof vor dem Kanzleramt, mit dem großen Bagger durften die Künstler nicht vorfahren. Und so steht nun eben ein einzelner Sarg ein paar Schritte davon entfernt. Vor ihm posiert eine junge, schwarzgekleidete Frau mit einem Kreuz in der Hand. "Super, Anne", ruft ihre Freundin, die eifrig auf eine Spiegelreflexkamera drückt, als wäre das hier das Set von Germany's Next Topmodel.

Der Zweck heiligt die Mittel

Die Demonstration, die hier zwischen Kanzleramt und Reichstag endet, ist Teil der Aktion "Die Toten kommen", in deren Rahmen das ZPS diese Woche bereits zwei Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertranken, auf Berliner Friedhöfen bestatteten. Zur Abschlussdemonstration, die von Unter den Linden ins Regierungsviertel zog, kamen einige Tausend Menschen mit Schildern, Kreuzen und Holzsärgen. Und auch sonst bekam "Die Toten kommen" jede Menge Aufmerksamkeit. Kurze Zusammenfassung: Es gibt viele, die sie geschmacklos finden, viele, die sie großartig finden und wieder andere, die sagen: Geschmacklos hin oder her, der Zweck heiligt die Mittel.

Für alle Standpunkte gibt es gute Argumente, in Hinblick auf letzteren ist aber nach einer knappen Woche klar: Über den Zweck redet längst keiner mehr, es geht fast ausschließlich um die Mittel. Und nein, dafür sind nicht allein die Medien mit ihrer gern kritisierten Schnappatmungs-Berichterstattung verantwortlich, sondern die Künstler selbst. Wenn sie zum Beispiel genüsslich die ziemlich vorhersehbaren Demonstrationsauflagen der Polizei über Twitter verbreiten oder sich darüber freuen, dass Zeit Online eine Meldung über das Hin und Her mit den Behörden auf ihren Hinweis korrigieren muss. Um nur einige Beispiele zu nennen. Da findet sich jemand ganz schön gut und alle anderen ganz schön dämlich.

Was bleibt aber? Das ZPS will zum Nachdenken anregen, aufrütteln, aufwecken. Nur wen eigentlich? Die Deutschen, die täglich mit dem Schicksal der Flüchtlinge konfrontiert sind, in den Medien, aber vielmehr noch in den Städten und Dörfern, in denen immer neue Unterkünfte gebaut werden? Es entsteht schnell der Eindruck: Die Künstler unterschätzen ihr Publikum. Sie wollen einem Land mit drastischen Mitteln vor Augen führen, worüber es seit Monaten redet. Und wer diese Mittel nicht gut findet, der steht in den Augen der Künstler und ihrer Anhänger schnell als empathielos da oder hat schlicht keine Ahnung davon, was "da draußen" tatsächlich abläuft.

Weniger selbstverliebt wäre schön

Ausdrücklich macht das Zentrum diesen Vorwurf der Bundesregierung, es fordert eine 180-Grad-Wende in der Flüchtlingspolitik. Damit treten die Künstler an Politiker heran, die aus allen Richtungen hören, wie sehr sie in der Flüchtlingsfrage versagt haben - von Geistlichen, Journalisten, der Opposition, zuletzt sogar von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Das macht den Protest des ZPS natürlich nicht überflüssig, steht aber dennoch der Inszenierung entgegen, dass sich außer den Aktivisten niemand der Toten aus dem Mittelmeer bewusst ist.

Warum überhaupt musste das ZPS sich so selbstgewiss als Tabubrecher und Deutschlandaufwecker inszenieren? Die Künstler hätten sich einfach auf ihre in der Tat sehr schöne Grundidee konzentrieren können: Menschen, die an den Grenzen Europas gestorben sind, im Herzen des Kontinents zu beerdigen. Ohne Hashtags, ohne öffentliches Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei, ohne demonstrativ aufgebaute Ehrentribüne für abwesende Politiker, ohne prägnant formulierte Schuldzuweisungen samt Rücktrittsforderungen, ohne das ständige Sich-Selbst-Abfeiern im Netz. Das wäre immer noch spektakulär gewesen und hätte zudem tatsächlich Raum zum Nachdenken gelassen - weil es die einzig wahre und richtige Interpretation der Aktion nicht gleich mitgeliefert hätte.

So aber heiligt nicht der Zweck die Mittel, sondern die Mittel schaden dem Zweck.

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