Lieder gegen den Kapitalismus (Teil I):Melodien für Rebellionen

Kapitalismus Musik

Von "Brüder, zur Sonne" bis "Ain't That a Bitch": Kapitalismuskritik in Songs

(Foto: Collage SZ.de)

Es fängt an mit "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" und endet bei Peter Licht: Seit 100 Jahren arbeiten sich Songschreiber und Bands am Kapitalismus ab. Eine subjektive Auswahl revolutionären Liedguts.

Von Gökalp Babayiğit, Jonathan Fischer, Sebastian Gierke, Kurt Kister, Andrian Kreye, Lars Langenau

Die britische Musikpresse veröffentlicht gerne Hitlisten für alles mögliche, allen voran der einst legendäre New Musical Express (NME). Es gibt zum Beispiel eine Aufstellung mit den "500 besten Alben aller Zeiten" oder den "100 großartigsten Künstlern aller Zeiten"; die Wendung "of all time" benutzen die NME-Macher gerne. Hätten die Musikjournalisten einmal eine Liste mit den häufigsten Themen in der Musik gemacht, der Kapitalismus läge wohl ziemlich weit vorne, womöglich nur geschlagen von der Liebe.

"Schneller, höher, weiter: Macht uns der Kapitalismus kaputt?" - Diese Frage hat unsere Leser in der neunten Runde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Beitrag ist Teil eines umfangreichen Dossiers, mit dem die Süddeutsche Zeitung diese Frage der Leser beantworten will - mit einer digitalen Reportage zum Thema Ungleichheit in Deutschland, mit Essays zu Verwerfungen und Vorteilen eines umstrittenen Systems und vielem mehr. Alles zur aktuellen Recherche lesen Sie hier, alles zum Projekt hier.

Songs über den Kapitalismus - oder besser: gegen ihn - gibt es schon sehr lange. Spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts, als der Begriff populär und von da an meist mit negativer Konnotation verwendet wurde. Dort beginnend, haben wir im Rahmen der Kapitalismus-Recherche eine Auswahl kapitalismuskritischer Stücke zusammengestellt. Wenn auch Theodor W. Adorno, Mitbegründer der Frankfurter Schule, wichtigster intellektueller Impresario der antikapitalistischen 68er-Bewegung und außerdem einer der bedeutendsten Musiktheoretiker, wohl davon nicht angetan gewesen wäre. Für ihn waren sämtliche "Versuche, politischen Protest mit der popular music, also mit der Unterhaltungsmusik, zusammenzubringen (...) zum Scheitern verurteilt", wie in einer 3-Sat-Dokumentation nachzuhören ist.

Allerdings muss man zur Verteidigung sagen, dass Adorno, gestorben 1969, sich vor allem mit Zwölftonmusik aus Wien beschäftigt hat und nichts ahnte von Ton Steine Scherben oder Rage against the machine. Er konnte nicht wissen, dass das herrschende Wirtschaftssystem, das er in Erwartung seiner baldigen Überwindung Spätkapitalismus nannte, sich so zäh halten und so viele wütende Songs inspirieren würde. Hier also nun eine - wohlgemerkt subjektive und nicht repräsentative - Kompilation antikapitalistischen Liedguts, zusammengestellt von SZ-Autoren.

Herrman Scherchen - Brüder, zur Sonne, zur Freiheit (1918)

Demonstration zum Ersten Mai in Berlin, 1930

Demonstration zum 1. Mai 1930 in Berlin

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

"Einen Finger kann man brechen, aber fünf Finger sind eine Faust!" sagte einst Ernst Thälmann - und kaum ein anderes Lied spiegelt den Widerstand der Arbeiterklasse gegen Ausbeutung so wider wie "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit". Hermann Scherchen (1891-1966) lernte das Lied zu Beginn des Ersten Weltkrieges in russischer Kriegsgefangenschaft kennen und dichtete zu dem russischen Studentenlied 1918 drei deutsche Strophen:

"Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, Brüder zum Licht empor! Hell aus dem dunklen Vergangnen leuchtet die Zukunft hervor. Hell aus dem dunklen Vergangnen leuchtet die Zukunft hervor.

Seht, wie der Zug von Millionen endlos aus Nächtigem quillt, bis eurer Sehnsucht Verlangen Himmel und Nacht überschwillt!

Brüder, in eins nun die Hände, Brüder, das Sterben verlacht! Ewig, der Sklav'rei ein Ende, heilig die letzte Schlacht!"

Der von Leonid Petrowitsch Radin verfasste russische Urtext war noch martialischer ("Tapfer, Genossen, im Gleichschritt ..."). Erstmals gesungen wurde "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" 1898 bei einem Zug von politischen Gefangenen durch Moskau auf dem Weg in die sibirische Verbannung. In Russland wurde es spätestens mit der Oktoberrevolution 1918 zur Hymne. 1920 wurde es auch in der Weimarer Republik populär. Während der Nazi-Diktatur wurde es, umgedichtet mit einer neuen vierten Strophe, sogar als "Kampflied der SA" und Propagandalied missbraucht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg avancierte es neben der "Internationalen" und der SPD-Parteihymne "Wann wir schreiten Seit an Seit" zu einem der meistgesungenen Lieder kommunistischer und sozialistischer Parteien und Organisationen. Die eingängige Melodie und Text erklangen sowohl beim Aufstand in der DDR 1953 als auch bei den Montagsdemonstrationen zur Wendezeit.

Lars Langenau

Bessie Smith - Poor Man's Blues (1928)

Bessie Smith

Bessie Smith auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1920

Als die Blues-Sängerin Bessie Smith 1928 "Poor Man's Blues" war schrieb, war sie längst ein Star. Die Tochter einer verarmten Familie aus dem ländlichen Tennessee lebte in der blühenden Handelsstadt Philadelphia. Sie war die bestverdienende schwarze Entertainerin ihrer Zeit, spielte mit Louis Armstrong und ging in ihrem eigenen Eisenbahnwaggon auf Tour. Gerade deswegen war sie die perfekte Sängerin, um die bittere Anklage gegen die Reichen im Lande zu schreiben.

Bis dahin hatte sich der Blues kaum mit den Realitäten des Kapitalismus beschäftigt. In den Liedern, die vermeintlich um Liebe und Sex kreisten, verbargen sich die großen Themen des Verlusts der afrikanischen Heimat und die Unterdrückung in einem Land, das die Sklaverei zwar abgeschafft, aber den Rassismus immer noch nicht überwunden hatte.

Bessie Smith aber hatte an der Ostküste, am Broadway und in Hollywood die Welt des Reichtums erlebt. "Reicher Mann, öffne Dein Herz und Deinen Geist", sang sie da. "Gibt dem armen Mann eine Chance, hilf, diese harten, harten Zeiten zu beenden. Du weißt ja gar nicht, was harte Zeiten wirklich bedeuten." Das war ein großer Sprung vom Blues-typischen Lamento, dass die Geliebte am Morgen verschwunden ist und nur der Whisky darüber hinweg hilft.

Andrian Kreye

Bob Dylan - The times they are a changin' (1963)

Bob Dylan Joan Baez

Bob Dylan und Joan Baez

(Foto: Globe Photos / Intertopics)

Bob Dylan war in seinem langen Leben bisher so ziemlich alles, was ein Mensch sein kann. Also war er auch mal Kapitalismuskritiker und er ist es, wenn auch in einer eher vagen Ausprägung, bis heute. Danach und dazwischen war er geretteter Christ, Country-Barde, Elektrorocker, Großdichter, Westernheld, Desaparecido, Liebhaber sowie weise Krähe.

In den ersten Jahren seiner Karriere aber war der junge, milchbärtige Dylan das, was man sich unter einem Protestsänger in den Sechzigern archetypisch vorstellte. Er war, wie seine zeitweilige Loverin Joan Baez 1975 sang, the unwashed phenomenon, the original vagabond - das ungewaschene Phänomen, der Ur-Vagabund. Und auch, weil Dylan den alten Country-Sozialisten Woody Guthrie sehr bewunderte, waren seine ersten LPs von einer linken, bürgerrechts- und friedensbewegten Anti-Establishment-Grundhaltung getragen. Manche seiner frühen Songs wurden Hymnen der Protestmarschierer der Sechziger Jahre, etwa "The times they are a changin" (1963) oder natürlich seine Version von "Blowin' in the wind" (1962). Kein anderer Songschreiber hat in diesem Sinne so sehr politisch gewirkt wie damals Dylan - obwohl er selbst dezidiert kein Aktivist sein wollte.

Einer seiner bedeutendsten Songs aus dieser Phase ist "Masters of War", erschienen auf der LP "The freewheelin' Bob Dylan" (1962), die zu den wichtigsten Platten des 20. Jahrhunderts zählt. "Masters of War" ist ein poetischer Hassgesang gegen Kriegstreiber und Waffenhändler. "You that never done nothin' / but build to destroy / you play with my world / like it's your little toy" - Kerle, die unsere Welt als ihr Spielzeug betrachten und nur produzieren, um zu zerstören.

Dylan findet immer wieder neue Bilder, mit denen er die Verwerflichkeit dieser Masters of War beschreibt: Sie lügen wie Judas und behaupten, man könne einen Weltkrieg gewinnen; sie verstecken sich in ihren Villen und schauen zu, "when the death count gets higher"; sie erzeugen die schlimmste Angst, nämlich die Angst davor, Kinder in diese Welt der Masters of War zu setzen. Am Ende des Songs wird Dylan so deutlich wie selten: "And I hope that you die / and your death'll come soon". Er wünscht den Masters of War nicht nur den Tod, sondern will ganz sicher sein: "And I'll stand over your grave/ 'til I'm sure that you're dead".

Kurt Kister

Janis Joplin - Mercedes Benz (1970)

Janis Joplin

Janis Joplin auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1969

(Foto: Getty Images)

"Mercedes Benz" ist das Viagra unter den Anti-Kapitalismus-Liedern: ein Zufallsprodukt, nie im Sinne des Erfinders - und doch eine Berühmtheit von Weltrang. Janis Joplin hatte nie geplant, den Song zu veröffentlichen. Für sie war er eine Eselei, zusammengedichtet in einer durchzechten Nacht, eingesungen in einer Pause während der Aufnahmen für das Album "Pearl". In nur einem Take ohne Instrumente. Und eingeleitet mit dem bedeutungsschwangeren und vor Ironie triefenden "I'd like to do a song of great social and political import. It goes like this".

Die Zeile "C'mon, God, and buy me a Mercedes Benz" von Michael McClure, Poet der Beat-Generation, war ihr Ausgangspunkt. Joplin gefiel die Absurdität, den Herrgott angesichts aller irdischen Ängste und Nöte um eine deutsche Luxuskarre zu bitten. Immer wenn sie albern war, sang sie diese Zeile - seit sie sie einmal zufällig gehört hatte. So erzählte es Bob Neuwirth, einer ihrer Wegbegleiter.

"Mercedes Benz" ist ein Song, dessen Süffisanz als Kritik am Konsumismus interpretiert wurde; jene systemstabilisierende List des Kapitalismus, durch die die Menschen nicht an die ausbeuterischen Renditeziele ihrer Arbeitgeber, sondern an den neuen Flachbildschirm oder eben den Benz denken. Dem Immer-mehr-leisten-müssen und dem konsumgesellschaftlichen Wettbewerb ("My friends all drive Porsches, I must make amends") setzt Joplin nicht etwa schrillen Protest oder Verweigerung entgegen. Sie sendet ein sarkastisches Stoßgebet aus, "I'm counting on you, Lord, please don't let me down". Es ist eben nicht jeder seines eigenen Glückes Schmied im Kapitalismus.

Hätte Joplin bewusst ein Anti-Kapitalismus-Lied geschrieben, ein appellatives, aufwühlendes, wütendes Lied, es hätte wohl nicht die Wirkung und Beliebtheit erreicht wie "Mercedes Benz". Das Auflehnen gegen das System, es kann auch ironisch daherkommen.

Wenige Tage nachdem sie spaßeshalber ihren "Song mit großer sozialer und politischer Bedeutung" einsang, starb Janis Joplin an einer Überdosis Heroin. Zu ihrem Erbe zählt ein Porsche 356c, den sie sich zwei Jahre zuvor gekauft hatte.

Gökalp Babayiğit

Gil Scott-Heron - Whitey On The Moon (1970)

Gil Scott-Heron, AFP

Gil Scott-Heron bei einem Konzert 2010

(Foto: AFP)

Gil Scott-Heron, einer der Ahnen des HipHop, hat diesen Song 1970 als 21-jähriger auf seinem Debütalbum "Small Talk at 125th & Lenox" veröffentlicht. Das Spoken-Word-Stück spießt über einem kargen Percussion-Background die Lebensbedingungen in Scott-Herons Heimat Harlem auf: Kapitalismus und Rassismus zeigen ihre hässliche Fratze - man kann das eine nicht ohne das andere verstehen. Die schwarze Unterschicht ist im postindustriellen Zeitalter aus kapitalistischer Sicht überflüssig geworden - der Mensch zählt nur, soweit mit ihm Rendite zu machen ist.

Entsprechend wütend sind die Verse: "You know, the man just upped my rent last night / 'Cos whitey's on the moon / No hot water, no toilets, no lights / But whitey's on the moon / I wonder why he's uppin' me / 'Cos whitey's on the moon? / Well, I was already givin' him fifty a week / And now whitey's on the moon"

Amerika feierte damals die erste Mondlandung - aber es ist das Amerika der Weißen. Der Fortschritt kommt nur den Privilegierten zugute. Während Milliarden in die Raumfahrt investiert werden, lässt man die schwarzen Bürger Amerikas unter Dritte-Welt-Bedingungen hausen.

Jonathan Fischer

Ton, Steine, Scherben (1971)

Geschrieben von Bert Brecht und komponiert von Hanns Eisler, steht das "Einheitsfrontlied" für den Wunsch, dem Nationalsozialismus ein schlagkräftiges Bündnis aus Kommunisten und Sozialdemokraten entgegenzusetzen. Entstanden ist es im Jahr 1934, als sich Deutschlands Kommunisten und Sozialdemokraten heillos zerstritten und den Kampf gegen den Faschismus verloren hatten. Trotz seines martialischen Titels ist der Text weniger aggressiv als sozialkritisch und steht in Kontrast zur begleitenden Marschmusik. Brechts Humanismus spiegelt sich hier wider ("Und weil der Mensch ein Mensch ist") und seine Hoffnung auf eine vereinigte Arbeiterschaft angesichts ihrer Unterdrückung im kapitalistischen System.

Meine Kinder, 6 und 9, singen es voller Inbrunst gern auch mal auf dem 80. Geburtstag ihrer Oma vor CDU-Mitgliedern. Da lässt sich durchaus beobachten, wie es polarisiert: "Die armen Kleinen, voll indoktriniert" (CDU) bis zu "schön intoniert" (der Vater) und einer Oma mit offenen Mund. Der Text erschließt sich selbst, deshalb sei er hier wiedergegeben.

"Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zu essen, bitte sehr! / Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt, das schafft kein Essen her. / Drum links, zwei, drei! Drum links, zwei, drei! / Wo dein Platz, Genosse, ist! Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront / Weil du auch ein Arbeiter bist." (Anm. d. Redaktion: ab hier im Interesse des Lesers gekürzt)

Der Text von Brecht setzte mit der Musik von Eisler das kommunistische Manifest kongenial in ein eingängiges Lied um. Leider ist die Interpretation von "Ton Steine, Scherben" nicht ihr bestes Stück, aber die Redaktion wollte ein Stück von Rio Reisers Band und nicht etwa von dem genialen Ernst Busch. Deshalb ist das hier mein Stück Widerstand gegen die herrschende Klasse, subversiv und thematisch passend.

Lars Langenau

Fela Kuti - Zombie (1976)

Lieder gegen den Kapitalismus (Teil I): Fela Kuti 1988 in Lagos

Fela Kuti 1988 in Lagos

(Foto: AFP)

Kapitalismus ist auch ein Exportgut. Exportiert wurde er zum Beispiel nach Afrika. Was einst in Italien erfunden wurde, hat nach vielen Entwicklungsschritten die traditionellen Systeme des Wirtschaftens in Afrika längst abgelöst. Fela Kuti steht für den Widerstand gegen diesen Prozess der Verwestlichung. Er wollte Afrika zum kulturellen und geistigen Zentrum der Welt machen, predigte den Panafrikanismus. Und wurde so zum Staatsfeind in seiner Heimat Nigeria.

"Eine neue Art von Musik einzuführen, muss man sich hüten, weil es das Ganze gefährden heißt; denn nirgends wird an den Weisen der Musik gerüttelt, ohne dass die wichtigsten Gesetze des Staates mit erschüttert würden." Platon hat das geschrieben. Ob Fela Kuti den griechischen Philosophen gelesen hat, ist unklar. Aber an den zitierten Grundsatz geglaubt hat der Saxofonist und Sänger - und den Afrobeat eingeführt. Mit dieser explosiven Mischung aus nigerianischer Volksmusik, aus Calypso, Salsa, Funk und Jazz wollte Fela Kuti in geradezu größenwahnsinniger, messianischer Art und Weise die Welt verändern. Was er nicht für afrikanisch hielt, lehnte er ab: Islam und Christentum, Kommunismus und Kapitalismus - allerdings auch Feminismus und Homosexualität.

In dem zwölfeinhalb Minuten langen, sehr funkigen Song "Zombie" kommt diese Ablehnung, die Verachtung für die Machthaber in Nigeria, die für Fela Kuti Erfüllungsgehilfen imperialistischer und kolonialistischer Mächte waren, in besonderer Weise zum Ausdruck. Er vergleicht darin nigerianische Soldaten mit Zombies: "Zombie no go think, unless you tell am to think". Die Regierung reagierte mit maßloser Gewalt. Fela Kutis Kommune Kalakuta in der Hauptstadt Lagos wurde gestürmt und seine Mutter aus dem Fenster geworfen. Er selbst wurde verprügelt. Auch aufgrund dieser Reaktion gerieten der Song und das gleichnamige Album zu einem Fanal des Widerstands.

Sebastian Gierke

Johnny Guitar Watson - Ain't That A Bitch (1976)

Was für ein verdammter Ärger, könnte man den Titel übersetzen, mit dem der Blues-Musiker Johnny "Guitar" Watson 1976 einen seiner ersten Pophits landete. Streng genommen ist "Ain't That a Bitch" eher ein lässiger Disco-Funk, aber im Kern steckt immer noch diese tiefe Verzweiflung des Blues.

In dem Songs versetzt sich Watson in einen Computerprogrammierer, der etwas von Buchhaltung und Psychologie versteht, der Betriebswirtschaft gelernt hat und japanisch spricht. Und trotzdem kann er kaum sein Auto abbezahlen, kann sich höchstens alle zwei Jahre eine Woche Urlaub leisten.

Watson brachte die Stimmung seiner Zeit auf den Punkt: Die Ölkrise hatte das Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre ausgebremst und zum ersten Mal wurde den Normalbürgern klar, dass sie mit ehrlicher Arbeit nicht mehr weiterkommen würden. "Irgendjemand dreht da doch im Regierungsviertel ein Ding", singt er als Seitenhieb auf die Politik. Zu einer Katharsis findet Watson nicht. Zum Schluss bleiben ihm nur das Beten und die Gitarre.

Andrian Kreye

"Schneller, höher, weiter: Macht uns der Kapitalismus kaputt?" - Diese Frage hat unsere Leser in der neunten Runde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieses Dossier soll sie beantworten:

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