Pakistan:Hitze bringt Versagen an den Tag

  • Mehr als 830 Hitzetote meldet Pakistan innerhalb von nur vier Tagen. Es ist so heiß, dass manche kaum noch atmen können.
  • Der Ramadan kommt verschärfend hinzu, weil viele Gläubige tagsüber nicht einmal Wasser trinken.
  • Den Menschen im Land wird bewusst, wie ihre Politiker versagen.

Von Arne Perras, Singapur

Wenn die Pakistaner dieser Tage über das Wetter reden, ist das kein belangloser Smalltalk. Es ist bitterernst, es geht um Leben oder Tod, um den Preis der Armut und auch um das offenkundige Staatsversagen, das von vielen Pakistanern mitverantwortlich gemacht wird für die stündlich steigende Zahl von Opfern. Mehr als 830 Hitzetote meldete das Land innerhalb von nur vier Tagen, viele starben in der Hafenmetropole Karatschi. Die Temperaturen klettern auf 45 Grad Celsius. Die Hitze stülpt sich wie eine Glocke über die östlichen und südlichen Regionen Pakistans, vor allem Sindh. Es ist so heiß, dass manche kaum noch atmen können.

Verschärfend kommt hinzu, dass während des Fastenmonats Ramadan viele Gläubige tagsüber nicht einmal Trinkwasser zu sich nehmen.

Die Glut ihrer Sonne ist den Pakistanern vertraut. Aber jetzt, da die Temperaturen so extrem geworden sind, bekommen sie auch umso härter die Schwäche ihres Staates zu spüren. Sie haben das Gefühl, dass er sie im Stich lässt in Zeiten der größten Not. Der Grund: Oft fällt der Strom aus, der helfen könnte, den Menschen Kühlung zu verschaffen. Und sei es nur mit einem alten rostigen Ventilator, der etwas Wind macht und damit Leben rettet.

Die Emotionen gerieten auch im pakistanischen Parlament außer Kontrolle. Nicht, weil dort die Kühlung ausgefallen wäre, sondern weil sich der Oppositionsführer in Rage redete. Kursheed Shah attackierte in einer scharfen Rede den Premierminister Nawaz Sharif von der Muslimliga. Ihre Zusagen, die Energiekrise zu lösen, schiebe die Regierung immer weiter hinaus: "Erst hieß es: in drei Monaten, dann in sechs Monaten, in einem Jahr, in zwei Jahren - und jetzt sagen sie, bis zum Jahr 2018!" Shah forderte, die Regierung solle ihr Versagen eingestehen.

Allerdings wissen die Pakistaner auch, dass Shahs Partei, die Pakistan Peoples Party (PPP), in den Jahren vor Sharif regierte und die Energiekrise auch nicht in den Griff bekam. Viele sind desillusioniert, was die beiden dominierenden Parteien im Land betrifft. Doch das feudale Erbe, die Dominanz von Politikerdynastien und mangelnde Bildung der Massen haben stets der PPP und der Muslimliga dabei geholfen, nahezu im Wechsel die Macht zu erobern. Ein dritte Kraft in Gestalt des Ex-Cricket-Stars Imran Khan hat sich zwar Platz verschafft, aber das alte System nicht aushebeln können.

Die Politiker fördern fast nur kurzfristige Projekte

Zur Hitze kommt der Frust. Und weil die Geduld langsam aufgebraucht ist, gerät Premier Sharif unter Druck. Denn eines seiner großen Wahlversprechen lautete, die Energiekrise zu lösen, den Weg zu ebnen für Aufschwung, der ohne Strom nicht in Gang kommen kann. Schon im März warnten Analysten vor den Folgen enttäuschter Hoffnung. Michael Kugelman vom Woodrow Wilson Center sagte, dass die Energiekrise noch eine Wucht entfalten könnte, der die Regierung womöglich nicht mehr standhalten werde.

Sharif aber wirkt passiv, er vermittelt den Leuten kaum den Eindruck, dass er zupackt in der Krise, die die armen Leute am härtesten trifft. Stattdessen macht die Armee mobil, richtet Notlager ein, das rettet nicht nur Leben, sondern poliert auch das Ansehen der Generäle auf.

Die Energiemisere hat viele Väter: Diebstahl aus dem Stromnetz, Korruption, Missmanagement. Und lähmende Konkurrenz um Projekte unter einzelnen Provinzen und Sicherheitsprobleme. Am schwersten aber dürfte wiegen, dass die Politiker Projekte fördern, die in kurzer Zeit abzuschließen und dem Volk als Erfolge vorzuführen sind. Nichts ist schöner, als eine Brücke im Zeichen des Fortschritts zu eröffnen. Große Dämme aber und Wasserkraftwerke zu bauen, das dauert. Und so kommt es wohl, dass Pakistan sein unermessliches Potenzial in diesem Sektor nie ausgeschöpft hat.

Das rächt sich nun, zum Beispiel im überhitzten Moloch von Karatschi. Ärzte und Pfleger in den Kliniken sind überfordert, sie wissen gar nicht mehr, wo sie die eingelieferten Patienten noch unterbringen sollen: Hitzschlag, Dehydrierung, Kreislaufversagen. Eine Megametropole im Hitzenotstand. Und das Sterben geht weiter.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: