Stadtplanung:Gegen den Strich

Stadtplanung: Für die einen ein ständiges Ärgernis, für die anderen eine billige Wohngegend: das Leonhardsviertel in Stuttgart.

Für die einen ein ständiges Ärgernis, für die anderen eine billige Wohngegend: das Leonhardsviertel in Stuttgart.

(Foto: imago stock&people)

Ob St. Pauli in Hamburg oder die Bahnhofsgegend in Frankfurt: In vielen Städten verwandeln sich Rotlichtbezirke in teure Wohnquartiere. Stuttgart will nun das Leonhardsviertel aufwerten - das sorgt für Unruhe.

Von Stefanie Järkel

Ein Kuhfell auf dem Betonboden, daneben liegt weiß gekalktes Eichenholz, an der Decke glitzern Lampen mit Swarovski-Kristallen. Thomas Rodens blickt aus dem Fenster seines Geschäftes "Handwerk mit Stil". "An der Ecke standen sie Spalier wie die Hühner auf der Stange", sagt der 33-Jährige in Jeans und Sakko, die Haare nach hinten gegelt. Noch vor einem halben Jahr reichte der illegale Straßenstrich im Stuttgarter Leonhardsviertel bis kurz vor Rodens' edle Räume in der Katharinenstraße. Polizisten haben die Frauen mittlerweile vertrieben. Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) will das zentral gelegene Leonhardsviertel, das Rotlichtviertel der Stadt, weiterentwickeln. Der illegale Straßenstrich soll aufgelöst werden, die Zahl der Bordelle reduziert und das Viertel wohnlicher werden. Er wolle das Leonhardsviertel "zurückerobern", sagt Kuhn. Mit der geplanten Aufwertung des Rotlichtbezirkes folgt Stuttgart dem Trend in Deutschland.

In vielen Städten wird auch darüber diskutiert, wie die Veränderung aussehen soll. Manche wollen etwa die Bordelle aus den Rotlichtvierteln komplett raushaben, andere stören sich nicht daran. "Das Rotlicht hat sein Schmuddelimage weithin verloren", sagt Peter Lindner, Professor für Wirtschaftsgeografie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. "Es hat etwas Exotisches, Interessantes und etwas Großstädtisches." Statt die Halbwelt aus den Innenstädten zu verbannen, soll sie mancherorts stärker in Wohnviertel integriert werden. In Stuttgart will die Verwaltung für das Leonhardsviertel eine "verträgliche Mischung", wie Claudia Fuhrich vom Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung sagt.

"Rotlichtbetriebe und Wohnen passt nicht wirklich", sagt einer, der lieber anonym bleiben will

Wie sich die Mischung verändern kann, zeigt das Beispiel Hamburg. Dort begann man bereits in den Achtzigerjahren damit, das Vergnügungsviertel St. Pauli aufzuhübschen. Frankfurt folgte vor etwa zehn Jahren mit seinem Bahnhofsviertel. In beiden Städten verlief die Entwicklung schneller als gedacht, nach mancher Auffassung sogar zu schnell. Die Quartiere gehören heute zu den teuersten ihrer Städte.

Auch in Stuttgart ist daher nicht jeder von der Ansage Kuhns begeistert. Es gibt Bordellbetreiber, die halten Rotlicht und Wohnen nicht für miteinander vereinbar - und Hauseigentümer, die von der Stadt endlich einen Bebauungsplan und ein Konzept für das Quartier fordern. Die Prostituierten bieten seit Jahrzehnten ihre Dienste im Leonhardsviertel an. Doch das Milieu hat sich verändert: "Anfang der Neunzigerjahre gab es noch Prostituierte, die auf eigene Rechnung gearbeitet haben", sagt Christina Beutler, Inhaberin der "Weinstube Fröhlich". Heute gebe es alle sechs Wochen einen Wechsel von jungen Frauen aus Osteuropa. Der Straßenstrich dehnte sich weiter aus. Die Anwohner beschwerten sich bei der Stadt. Zu den ursprünglich vier legalen Bordellen im Bezirk kamen illegale Rotlichtbetriebe hinzu. Mittlerweile sind es 13, im ganzen Stadtgebiet 170. Und obwohl im Leonhardsviertel mit nur etwa 850 Einwohnern viel weniger Menschen als in St. Pauli leben, arbeiten im Bezirk täglich circa 200 Frauen in Bordellen, in Wohnungen und auf dem illegalen Strich. In Hamburg geht die Polizei insgesamt von bis zu 400 Frauen aus - und der Strich ist ab 20 Uhr legal. Aktuell streitet sich die Stadt Stuttgart noch wegen neun illegalen Rotlichtbetrieben mit Betreibern und Eigentümern vor Gericht. Im Februar hat ein Bordell zugemacht.

Hamburg hat sich bei der Entwicklung von St. Pauli nicht auf die Verdrängung des Rotlichtmilieus konzentriert. Das war ein Nebeneffekt. Anfang der Achtzigerjahre waren die Häuser in dem ursprünglichen Arbeiterviertel abgewohnt, marode, sanierungsbedürftig. Dazu beharkten sich rivalisierende Banden. "Es war einfach ein Stadtteil, wo man nicht gern hingezogen ist", sagt der Leiter des Bezirksamtes Hamburg-Mitte, Andy Grote. Die Stadt legte Sanierungsgebiete fest, förderte die Erneuerung des Viertels. Mehr als 1500 Altbauwohnungen wurden saniert, mehr als 1200 Sozialwohnungen entstanden. Parallel machten mehr Theater und Bars im Viertel auf. Studenten und Künstler zogen hin, das Rotlicht zog sich zurück. Die Mieten und die Kaufpreise in St. Pauli stiegen dagegen an. Als vor wenigen Jahren ein Großinvestor einen ganzen Häuserblock abreißen und neu bauen wollte, bremste ihn die Stadt aus. Sie legte fest, dass in St. Pauli nur noch nach Absprache mit den Behörden saniert und gebaut werden darf. "Es gibt schon viele, die haben das Gefühl, da ist was schiefgelaufen in den vergangenen Jahren", sagt Grote. Die meisten Wohnungen ohne Sozialstatus würden mittlerweile 12,40 Euro pro Quadratmeter Miete oder mehr kosten.

Einen starken Anstieg der Mieten befürchtet die Stadt nicht: "Das ist nicht wie am Prenzlauer Berg."

Bei den Bordellbetreibern in Stuttgart sorgen die Pläne der Stadt für Unruhe. "Rotlichtbetriebe und Wohnen passt nicht wirklich", sagt einer, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Doch nicht nur das Rotlichtgewerbe murrt, auch Hauseigentümer kritisieren die Stadt - und fordern einen Bebauungsplan für das Viertel. "In dem Viertel weiß keiner, wo die Reise hingeht", sagt Jasmin Gurewitz, die sechs Häuser im Viertel besitzt, davon zwei mit Bordellen. Seit Jahren liegt sie mit der Stadt im Clinch. Für das Leonhardsviertel sieht eine Satzung aus dem Jahr 1935 ein gemischtes Viertel mit Wohnen und Gewerbe vor. Einen Bebauungsplan hält die Stadt nicht für erforderlich. "Es besteht Rechtssicherheit", sagt ein Sprecher. Allerdings arbeitet die Verwaltung derzeit an verschiedenen Regelungen: wo und wie viele Spielcasinos, Wettbüros und Bordelle künftig in der Stadt erlaubt sind, und wie die Häuser im Leonhardsviertel aussehen dürfen, inklusive Werbung. Außerdem will die Stadt ein städtebauliches Entwicklungskonzept erstellen, mit Unterstützung der Bevölkerung. Doch wann das vorliegen soll, ist unklar. Ein Konzept für eine neue Straßenbeleuchtung liegt seit Jahren in der Schublade. Zumindest hat die Stadt mittlerweile geregelt, dass sie bei Verkäufen im Viertel eingreifen und selbst zuschlagen kann. Vorher hatte sie lieber Häuser verkauft - in zwei der Gebäude entstanden anschließend Bordelle.

Das Beispiel Frankfurt zeigt allerdings, wie rasant sich ein Viertel ändern kann. Nachdem die Stadt die Sanierung und den Neubau von Wohnungen mit mehr als 20 Millionen Euro gefördert hatte, zogen viele Einwohner wegen der gestiegenen Wohnungspreise weg. "Die Stadt hat ab einem bestimmten Punkt versäumt zu bremsen und ist, aus meiner Sicht, über das Ziel hinausgeschossen", sagt Professor Lindner. Mittlerweile würden die besten Wohnungen für mehr als 6000 Euro den Quadratmeter verkauft - doppelt so viel wie noch vor wenigen Jahren. Aktuell arbeitet die Stadt an einer Satzung, mit der sie wie Hamburg bei jeder Sanierung und jedem Neubau ihre Zustimmung geben müsste. Die Stadt will zudem, wie in Stuttgart, Häuser wenn nötig kaufen.

Die Mietpreise im Stuttgarter Leonhardsviertel liegen heute schon leicht über dem Schnitt. Doch manch einer lebt hier noch recht günstig. Die 33-jährige Manja Kuhl ist vor zwei Monaten in die Leonhardstraße gezogen. Für ihre Fünf-Zimmer-Wohnung mit Balkon zahlt die Schauspielerin 6,67 Euro auf den Quadratmeter an die Stadt. "Da frage ich gar nicht dreimal, ob ich in die Straße ziehe." Zu stark steigende Mieten und Kaufpreise durch die geplante Aufwertung des Viertels befürchtet die Stadtverwaltung nicht. "Gerade die historischen Gebäude sind sehr klein", sagt Claudia Fuhrich. "Das ist nicht wie am Prenzlauer Berg mit den großen Bürgerhäusern." Ein Sanierungsgebiet inklusive millionenschwerer Zuschüsse für die Erneuerung und den Bau von Häusern sei auch nicht geplant, betont die Stadt. Erst 2012 war ein Sanierungsgebiet ausgelaufen - die Verschönerung des Viertels hielt sich in Grenzen.

Doch ob nun von der Stadt gefördert oder nicht: Der Wandel im Quartier hat schon begonnen. Eigentümerin Gurewitz will in einem ihrer Häuser die ehemaligen Stundenzimmer in Wohnungen umbauen, den Spielclub-Betreiber im Erdgeschoss hat sie bereits herausgeklagt. Im März hat dort die Bar "Paul & George" eröffnet. Samstagabends steht nun das schicke Jungvolk vor der Tür und begehrt Einlass in den Raum mit den rohen Backsteinwänden und der Bar mit mehr als 50 Whiskey-Sorten. "Nach dem Entkernen (des Gebäudes) wurde mir klar, dass dies ein wunderschöner Standort für eine ganz klassische Bar ist", sagt Betreiber Janusch Munkwitz. Die Bordelle um die Ecke gegenüber stören ihn nicht. Im Gegenteil: "Ich will nicht, dass das Rotlicht vertrieben wird, dann ist der Charme gleich weg."

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