Architektur:Häuser auf Stelzen

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Abendstimmung in St. Peter-Ording. Bei Ebbe spiegelt sich der "Seekiste" genannte Pfahlbau in den Pfützen. (Foto: Tourismus-Zentrale St. Peter-Ording/dpa)

Pfahlbauten haben eine lange Tradition. Früher ging es darum, sich vor Gefahren zu schützen. Heute wollen Planer vor allem zusätzlichen Wohnraum gewinnen.

Von Jürgen Hoffmann

Die Insel Baros liegt nur vier Breitengrade vom Äquator entfernt im Nord-Malé-Atoll der Malediven. Vor dem 300 x 350 Meter kleinen Eiland stehen im kristallklaren, türkisfarbenen Wasser des Indischen Ozeans 30 Pfahlbauten. Die ersten Meer-Bungalows des Fünf-Sterne-Resorts wurden 1992, die letzten 2014 vom Unternehmen Universal Resorts errichtet, einer Gesellschaft, der neben Baros vier weitere maledivische Feriendomizile gehören.

Jede der Villen steht auf 22 Betonpfeilern, die einen Umfang von etwa 30 Zentimetern haben, zwei Meter tief in den Meeresboden der Lagune getrieben wurden und mit grauem Kunststoff ummantelt sind. Sie ragen 2,5 Meter aus dem Meer, damit auch Hochwasser den luxuriösen Urlauber-Wohnungen nichts anhaben kann. Jeder Bungalow vor Baros hat nach Angaben von Resort-Manager Ahmed Shuhan etwa 400 000 Euro gekostet: "Holz als Alternative zu den Betonstelzen kam nie infrage: Es verrottet zu schnell und ist auf unseren Inseln hier viel zu wertvoll."

Bauen an Flüssen, in Seen, Sümpfen oder auf dem flachen Meer hat lange Tradition: Schon vor fünf- bis sechstausend Jahren konstruierten Menschen im heutigen Frankreich, in Italien, Lettland, Österreich, Slowenien und der Schweiz Holzbauten auf Pfählen. Diese Architektur sollte vor Raubtieren, feindlichen Nachbarn, Hochwasser und schädlichen Ausdünstungen des Bodens schützen.

An seichten Stellen wurden zehn bis 15 Zentimeter dicke und drei bis fünf Meter hohe Holzpfähle eingerammt. An deren Füßen wurden schwere Steine versenkt, um der Konstruktion Stabilität zu geben. Dieses Prinzip wird auch heute noch in Südostasien, Südamerika und Westafrika, in Chile oder Neuguinea genutzt: Die Pfähle erhalten einen "Fuß" aus Stein oder Beton, der ihnen zusätzlichen Halt gibt.

Zu den berühmtesten Städten am und auf dem Wasser gehört Amsterdam. Die niederländische Metropole ist auf Hunderttausenden Fichtenstämmen gebaut - durchschnittlich 40 stehen unter jedem Haus, 13 600 unter dem Königlichen Palast. Elf Meter tief wurden die Pfähle in den schlickigen Untergrund gerammt, denn erst dort gibt es eine Sandschicht, die stabil genug ist, um die Gebäude zu tragen. Die Holzpfähle müssen komplett unter Wasser sein, an der Luft würden sie innerhalb weniger Jahre verrotten. Deshalb überwachen Beamte den Wasserstand in den Grachten Amsterdams und balancieren ihn aus.

"Bisher sind Schwimmhäuser hierzulande nur eine Nische im hochpreisigen Wohnungsbau."

Weil sich in Holland 400 Einwohner auf einem Quadratkilometer drängeln - in Deutschland sind es "nur" 230 - suchen kreative Köpfe seit jeher Lebensmöglichkeiten auf dem Wasser. So ist östlich von Amsterdam auf künstlich angelegten Inseln das Wohnviertel IJburg für 45 000 Einwohner entstanden. Die Architektin Marlis Rohmer hat in der Nähe 55 schwimmende, dreigeschossige Gebäude bauen lassen, die eine Mischung aus Boot und Haus sind. Um den Bungalows ohne festen Untergrund eine stabile Umgebung zu geben, wurden die "Quartiers-Stege", an denen die Häuser festgemacht sind, mit einem "Vor-Kopf-Gebäude" gesichert. Dieses Gebäude hat noch einen weiteren Vorteil, denn es bietet Stellplätze für die Autos der Bewohner.

Ähnliche "Treib-Häuser" liegen auch auf deutschen Flüssen und Seen, beispielsweise in Hamburg. "Bisher sind Schwimmhäuser hierzulande nur eine Nische im hochpreisigen Wohnungsbau", räumt Jörg Knieling ein, Professor für Stadtplanung an der Hafen-City Universität Hamburg. Das liege auch an den komplexen Planungsanforderungen.

Lange glaubte man, auch Venedig stehe auf einem Wald von Baumstämmen. Doch das stimmt nur zum Teil: Viele Fundamente der Palazzi und Kirchen wurden auf dem Boden der zahlreichen Inseln der Lagune errichtet, meist in vier parallelen, senkrecht zum Kanal angeordneten Mauerreihen. Drei Meter lange Pfähle aus Eiche, Erle und Pappel wurden alle 50 Zentimeter in die Erde gerammt, und die Zwischenräume mit Lehm und Schlick gefüllt. Durch dieses Fundament wird das Abrutschen der Mauern verhindert. Lediglich die Fassaden an den Kanälen ruhen auf Baumstämmen. Das Problem: Durch das enorme Gewicht der Bauwerke werden die Fundamente langsam in den sandigen und matschigen Untergrund der Inseln gedrückt - pro Jahr um einige Millimeter.

Wer nah am Wasser baut, muss auch heute noch aufpassen, nicht ins Schwimmen zu geraten. Ingo Hadrych von der Hamburger H.C. Hagemann Real Estate war am Bau von einem Dutzend Bürohäusern in Wassernähe beteiligt. "Das größte Problem ist fast immer der weiche Baugrund. Wenn wir nicht-tragfähige Schichten vorfinden, ist die Pfahlgründung in der Regel die einzige Lösung." Bei dieser Bauausführung werden die Lasten des Gebäudes in tiefere Bodenschichten getragen. Das Bohren und Rammen der Pfähle führe zu Mehrkosten von etwa zehn bis 20 Prozent, bezogen auf die Rohbaukosten. Andere Projektentwickler sprechen von 400 bis 500 Euro pro Quadratmeter. Neben der Pfahlgründung schlägt die in Nähe von Flüssen und Seen fast immer notwendige "weiße Wanne" zu Buche, die das Gebäude dauerhaft vor dem Grundwasser schützt. Und auch die Tatsache, dass Gebäude, die an Kais oder Ufern errichtet werden, von Baggern oder Lieferfahrzeugen von der Wasserseite nicht angefahren werden können, erhöht die Baukosten - etwa durch zusätzlich benötigte Gerüste und Kräne. Bei einem Bau auf dem Wasser muss jeder Stein und jeder Stahlträger per Boot herangeschafft werden.

Lange glaubte man, Venedig stehe auf Baumstämmen. Doch das stimmt nur zum Teil

Im Nordseebad St. Peter Ording an der Westküste Schleswig-Holsteins baut man deswegen bei Ebbe. An fünf Badestellen stehen 15 Pfahlbauten, auf denen sich Sanitäranlagen und Restaurants befinden. Die Holzstelzen sind bis zu fünf Meter tief im Meeresboden verankert. Querstreben erhöhen die Stabilität. Die an der deutschen Küste einmaligen maritimen Bauten sind zum Wahrzeichen der Hochburg der Surfer, Kitesurfer und Strandsegler geworden. "Verwandte" dieser Bauten stehen an der Ostsee: Die Seebrücken - die bekannteste ist die in Ahlbeck auf der Insel Usedom - wurden ursprünglich aus Holz erbaut, später tauschte man die Pfeiler gegen Eisenträger aus, und heute verwendet man meist Stahlbeton.

© SZ vom 26.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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